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Stephan Weil

© Kai-Uwe Heinrich

Ministerpräsident Stephan Weil: "Eine große Koalition muss große Themen anpacken"

Ministerpräsident Stephan Weil sprach mit dem Tagesspiegel über seine Erwartungen an die Regierung, die Rolle der SPD als Juniorpartner und anstößige Parteispenden an die CDU.

Herr Ministerpräsident, ein bekannter Sozialdemokrat hat gesagt: Opposition ist Mist. Liegt Franz Müntefering da richtig?

Im Prinzip ja, weil man aus der Opposition heraus nun einmal nicht gestalten kann. Aber jetzt ist erst einmal der Parteikonvent am Zug. Und ob die SPD im Bund Regierungsverantwortung übernehmen soll, kann man endgültig erst beurteilen, wenn die Ergebnisse von Koalitionsverhandlungen vorliegen.

Warum sollte die Union der SPD entgegenkommen, sie hat weit mehr Prozente?

Weil Frau Merkel feststellen musste, dass sie keine Mehrheit hat. Sie wird sich bewegen müssen. Dieser Regierungsauftrag ist nicht nur eine Freude.

In den Sondierungsverhandlungen hat die Union der SPD keine Zusagen gemacht. Warum empfehlen Sie dem Konvent trotzdem die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen?

Ob das wirklich so ist, werden wir sehen. Ich bin gespannt auf einen detaillierten Bericht am Sonntag im Konvent. Das einstimmige Votum der Verhandlungskommission für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen lässt hoffen, dass die SPD eine reelle Chance hat, wesentliche Punkte ihres Wahlprogramms durchzusetzen.

Was sind die wichtigsten Punkte, die die SPD in Koalitionsverhandlungen nun erreichen muss?

Wir haben im Wahlkampf aus guten Gründen Korrekturen in der Arbeitsmarktpolitik in den Mittelpunkt gestellt. Da gibt es Fehlentwicklungen, die Millionen von Menschen belasten, nehmen Sie die Niedriglöhne oder die Umgehung des Arbeitsrechts mit dem Konstrukt scheinselbständiger Werkunternehmer, eine Entwicklung, die es mittlerweile in hohem Maße in fast allen Industriebranchen gibt.

Und jenseits der Arbeitsmarktpolitik?

Eine große Koalition muss den Mut haben, auch die großen Themen anzupacken. Die größte Herausforderung ist der demografische Wandel. Dabei kommt dem Thema Bildung und Qualifizierung eine Schlüsselrolle zu. Es geht nicht nur um soziale Gerechtigkeit, es geht auch um unsere wirtschaftliche Entwicklung. Wenn wir keine qualifizierten Fachkräfte haben, werden wir nicht mehr wettbewerbsfähig sein.

Bildung und Qualifizierung kosten Geld. Die Union lehnt Steuererhöhungen ab. Woher soll dann das Geld für Zukunftsinvestitionen kommen?

Die Union hat selbst sehr teure Wahlversprechen gemacht. Sie hat aber noch nicht einmal im Ansatz erklären können, wie sie die finanzieren will. Die Länder ächzen alle unter der Schuldenbremse. Und trotzdem müssen wir zu einer großen gemeinsamen Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Gemeinden finden, um den Aufbruch in eine bessere Bildungspolitik zu stemmen. Der Anstoß dafür muss vom Bund kommen.

Die SPD rechnet dafür mit zwölf Milliarden Euro Mehrausgaben jährlich. Nun sagt die Union, Wirtschaftswachstum generiert höhere Steuereinnahmen. Was ist daran falsch?

Diese Aussage ist ebenso richtig wie nichtssagend. Natürlich sorgt eine florierende Wirtschaft für mehr Steuern. Aber ebenso wenig kann man bestreiten, dass es immer wieder konjunkturelle Brüche gibt. Wir können nicht davon ausgehen, dass wir über die nächsten zehn, 15 Jahre hinweg ununterbrochen eine wirtschaftliche Blüte erleben werden. Langfristige Investitionen in Bildung und Infrastruktur brauchen wir aber auf jeden Fall und damit auch verlässliche Steuereinnahmen.

Wir sind bei den Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Können Koalitionsverhandlungen dieses komplizierte Geflecht schon neu sortieren oder wird das ein längerfristiger Prozess?

Koalitionsverhandlungen in Berlin können die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen nicht abschließend klären. Da müssen die Länder mitreden. Aber Union und SPD könnten konkrete Ziele vorgeben. Das Versprechen „Bildungsrepublik Deutschland“ im Koalitionsvertrag von Union und FDP 2009 war richtig. Es ist nur bislang herzlich wenig geschehen. Das muss sich in der nächsten Legislaturperiode dringend ändern!

Die große Koalition würde im Bundestag über eine Zweidrittelmehrheit verfügen, die für Grundgesetzänderungen nötig ist. Wollen Sie diese Mehrheit einsetzen, um die „Bildungsrepublik“ zu ermöglichen?

Mit Verfassungsänderungen sollte eine große Koalition sehr umsichtig umgehen und schon gar den Eindruck vermeiden, sie würde die Opposition dabei unterpflügen. An einem Punkt sehe ich allerdings gute Chancen, dass man die Verfassung tatsächlich ändern kann und sollte. Wir müssen das unselige Kooperationsverbot endlich abschaffen, das direkte Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern blockiert. Das war eine Fehlentscheidung der letzten Föderalismusreform. Deshalb sollten sich Koalitionsverhandlungen kurzfristig ein Kooperationsgebot zum Ziel setzen, langfristig brauchen wir eine solide Finanzausstattung der Länder zur Finanzierung guter Bildung in Schule und Hochschule aus eigener Kraft.

Der Solidaritätszuschlag läuft 2019 aus. Was soll dann kommen?

Wir sollten den Solidaritätszuschlag ganz sicher nicht abschaffen, sondern weiterentwickeln. Im Moment versickert ein nicht unerheblicher Teil des Soli schlichtweg im Bundeshaushalt. Dafür ist er nicht gedacht. Der Soli steht jedoch auf einer wackligen verfassungsmäßigen Grundlage. Die müssen wir neu justieren.

Die große Koalition 2005 bis 2009 ist für die SPD ein Trauma. Geben Sie Angela Merkel die Schuld daran, dass die SPD nach deren Ende 2009 ihr historisch schlechtestes Ergebnis einfuhr?

Bei allem Respekt für Frau Merkel: Damit würde man ihren Einfluss überschätzen. Die SPD hat es sich in dieser Zeit selbst sehr schwer gemacht. Wir haben damals gewissermaßen im Jahresrhythmus die Vorsitzenden ausgetauscht. Der Streit um die Rente mit 67 hat uns intern sehr blockiert. Unsere Partei hat sich in dieser Zeit wirklich nicht glänzend präsentiert. Dafür waren wir und nicht andere verantwortlich.

Falls es wieder zu einer großen Koalition kommt: An was muss die SPD dann arbeiten, damit sie 2017 besser dasteht als 2009?

Aus den Wahlanalysen ergibt sich eine Aufgabe sehr deutlich: Die SPD hat im Bereich Wirtschafts- und Haushaltskompetenz nicht die Werte, die man braucht, um mehrheitsfähig zu sein. Wir müssen folglich unser Profil gerade im Bereich der Wirtschaft nachschärfen. Die Leute müssen spüren, dass wir die Garanten dafür sind, dass eine erfolgreiche Wirtschaft die Arbeit als Existenzgrundlage der Menschen in diesem Land sichert.

Die SPD hat bei der Bundestagswahl bei Frauen schlecht abgeschnitten. Welchen Schluss ziehen Sie daraus?

Ich kann gut verstehen, dass Frauen sehr genau hinschauen, ob sie in Parteien vertreten sind. Wir müssen jetzt und in Zukunft zeigen, dass die SPD nicht nur aus Menschen wie mir besteht, also nicht nur aus Männern Mitte fünfzig.

Heißt das, Sie verlangen, die Hälfte möglicher Kabinettsposten der SPD mit Frauen zu besetzen?

Mehr Frauen brauchen wir in allen Bereichen, in denen die SPD Posten zu vergeben hat.

Peer Steinbrück ist keine Frau. Trotzdem die Frage: Viele wünschen sich, er solle wieder Minister werden. Sollte er sein Versprechen widerrufen, nie mehr ins Kabinett Merkel einzutreten?

Peer Steinbrück hat sich festgelegt, das sollten wir akzeptieren. Ich habe Respekt vor seiner Entscheidung.

Als Ministerpräsident von Niedersachsen sind Sie Mitglied im Aufsichtsrat von VW. Halten Sie es für anstößig, wenn Großaktionäre von BMW der CDU kurz nach der Wahl eine Großspende von 700 000 Euro zukommen lassen?

Anstößig ist in diesem Fall der auffällige zeitliche Zusammenhang mit Diskussionen auf EU-Ebene über Abgaswerte und dem sehr massiven Eintreten der Bundesregierung für die Anliegen bestimmter deutscher Automobilunternehmen. Zumindest dieser Anschein ist problematisch. Die Politik sollte jeden Anschein der Beeinflussbarkeit vermeiden.

Sind die Interessen, für die sich die Bundesregierung eingesetzt hat, nicht die Interessen von VW?

VW hat sich an dieser Stelle eher neutral positioniert und nicht versucht, die EU- Politik zu beeinflussen.

Das Gespräch führte Hans Monath. Das Foto machte Kai-Uwe Heinrich.

LANDESVATER

Äußerst knapp gewannen SPD und Grüne im Januar die Landtagswahl in Niedersachsen. Wenig später wählten sie Stephan Weil zum Ministerpräsidenten. Im November wird er Bundesratspräsident.

KOMMUNALER

Der heute 55-jährige Jurist war zunächst Stadtkämmerer (1997 bis 2006) und danach Oberbürgermeister in der Landeshauptstadt Hannover.

BASISFREUND

Als OB war Weil direkt gewählt worden, zum Spitzenkandidaten in der Landtagswahl machte ihn ein Mitgliederentscheid. Er empfiehlt das Verfahren nun für die Auswahl des nächsten SPD-Kanzlerkandidaten. hmt

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