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Um den Jahreswechsel herum wuchsen die Zweifel am Willen der Regierungschefin Hannelore Kraft.

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Ministerpräsidentin von NRW: Hannelore Kraft - eine Landesmutter dreht wieder auf

Ihre Koalition steht in Umfragen ohne Mehrheit da. Auch die Wirtschaftsdaten in NRW sind mau. Doch Hannelore Kraft ficht das nicht an.

Die Kritik kam dieses Mal nicht von der Opposition. „Nordrhein-Westfalen bringt sein Potenzial nicht ein“, urteilte der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann jetzt in Düsseldorf, als er einige Anmerkungen zum 70. Jahrestag des größten Bundeslandes machte, und fügte auch noch an, worauf er diese Beobachtung stützt: Hannelore Kraft habe eine Bundeskarriere ausgeschlagen und begnüge sich mit „Stippvisiten“ in der Bundeshauptstadt.

Die beiden Oppositionsführer Armin Laschet von der CDU und Christian Lindner von der FDP sprangen dem Wissenschaftler, der üblicherweise nicht zu ihrem Freundeskreis zählt, sofort bei und fügten noch an, dass die „Selbstverzwergung“ der sozialdemokratischen Regierungschefin überall zu besichtigen sei. „Starkes Land, schwache Regierung“, schleuderte Christian Lindner der Amtsinhaberin kürzlich entgegen, „außer bei Staus, Schulden und Straftaten liegt NRW nirgendwo vorne.“

Hannelore Kraft lächelt inzwischen nicht einmal mehr gequält ob solcher Anwürfe, sie holt sofort zum Gegenschlag aus. „Natürlich muss man die Punkte thematisieren, an denen es nicht läuft, aber Sie zeichnen ein Zerrbild des Landes, wir haben in weiten Teilen eine Wirtschaft, die brummt.“ Wenn man sie nach ihrem Einfluss in der Hauptstadt fragt, verdreht sie die Augen und zählt dann auf, was sich in den zurückliegenden Jahren geändert habe: Beim Länderfinanzausgleich werde NRW profitieren wie nie zuvor, beim Straßenbau kämen endlich jene Milliarden im größten Bundesland an, die früher nach Bayern flossen. Und aus ihrer Abneigung gegen den an Eitelkeiten reichen Berliner Politikbetrieb macht sie keinen Hehl: Sie brauche das alles nicht.

Das Ansehen der Regierung sank unter die Marke von 50 Prozent

Dabei ist es noch gar nicht lange her, dass Hannelore Kraft auch auf die eigenen Leute kraftlos wirkte. Um den Jahreswechsel herum wuchsen die Zweifel am Willen der Regierungschefin, die Dinge im Land entschlossen voranzutreiben. Sie reagierte nicht nur nach den Ereignissen in der Silvesternacht seltsam zögerlich. Das Ansehen der Regierung sank unter die Marke von 50 Prozent, was auch jene bekümmerte, die zu ihrem engsten Unterstützerkreis zählten. „Du musst mehr machen, Hannelore“, bekam sie mit auf den Weg.

Ausgerechnet in jener Zeit wurde auch eine erste Schätzung zum Wachstum aus dem vergangenen Jahr publik: Nordrhein-Westfalen schnitt unter allen Bundesländern mit null Prozent am schlechtesten ab. So sehr man sich auch mühte, auf bemerkenswerte ausländische Direktinvestitionen hinzuweisen, der Eindruck blieb verheerend. „Die Landesregierung hat keine Ideen“, attackierte Laschet, dessen Umfragewerte stiegen und in der Union die Hoffnung keimen ließen, Rot-Grün bei der Wahl im Mai des kommenden Jahres ablösen zu können. Inzwischen hat sich die Stimmung aber wieder gedreht.

Es gibt erste Anzeichen, dass das Land im laufenden Jahr sogar wieder ein kräftiges Wachstum ausweisen könnte. Die Zahlen sollen bald vorgelegt werden. Dass die Armutszahlen ebenfalls – vor allem im Ruhrgebiet – gestiegen sind, bleibt damit zwar richtig. Doch das muss nicht nur auf die Landesregierung zurückfallen. Hannelore Kraft verweist in diesem Zusammenhang gerne auf den Widerstand der Opposition gegen den Mindestlohn, der die Lebenssituation von 800.000 Menschen in Nordrhein-Westfalen verbessert habe.

An diesem Wochenende gibt es einen wichtigen Parteitag

Das ist die Ausgangslage, mit der Kraft an diesem Wochenende in einen wichtigen Parteitag geht. Zentrales Thema: die Schulpolitik, genauer die Frage, ob das Abitur nach acht oder neun Jahren absolviert wird. Der grüne Koalitionspartner tagt ebenfalls, die grüne Schulministerin Sylvia Löhrmann hat hier andere Vorstellungen als die SPD. Überhaupt: Acht Monate vor der Wahl stellen beide Partner auf mehreren Politikerfeldern die Unterschiede stärker in den Vordergrund. Kürzlich attackierte der sozialdemokratische Bauminister Michael Groschek die „durchgrünte“ Gesellschaft und die vielen Hemmnisse bei Straßen- und Wohnungsbau, was zu empörten Reaktionen des Koalitionspartners führte. „Wir sind zwei verschiedene Parteien, mit verschiedenen Programmen“, antwortet Hannelore Kraft, wenn man sie danach fragt, besonders zu beschäftigen scheint sie das nicht.

Krafts zur Schau getragene Gelassenheit hat auch mit den jüngsten Umfragen zu tun, bei denen Rot-Grün zwar knapp die Mehrheit verfehlt, die SPD aber zum Teil nah an 35 Prozent lag. Armin Laschet dagegen geriet unter Druck, weil seine CDU nur noch wenig über dem katastrophalem Wert von 26 Prozent lag, die Norbert Röttgen 2012 eingefahren hatte. Die AfD wird den Christdemokraten wohl deutlich mehr abnehmen als den Sozialdemokraten.

Da in NRW niemand eine große Koalition will, dürfte es bei fünf bis sechs Parteien im Parlament auf eine Dreierkonstellation hinauslaufen. Welche? „Es gibt keine Koalitionsaussagen vorab“, hämmert Kraft ihren Leuten ein. Und niemand widerspricht.

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