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Odenwaldschule

© dpa

Missbrauchsskandal: Kinderschützer und Kinderschänder

Für die einen war es nur eine "Eselei", für die anderen ein gänzlich inakzeptables Vorgehen. In der Debatte um die Odenwaldschule gerät ein Verbandsfunktionär unter Druck.

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Berlin - Für die einen war es nur eine „Eselei“, für die anderen gänzlich inakzeptabl. 1999 hatte sich Florian Lindemann, der spätere Geschäftsführer des Deutschen Kinderschutzbundes in Frankfurt am Main, in die Debatte um sexuellen Missbrauch an der Odenwaldschule eingeschaltet. Der „Frankfurter Rundschau“, die den Skandal um den früheren Schulleiter Gerold Becker damals aufgedeckt hatte, schrieb er einen Leserbrief. Lindemann sprach darin vom „Missbrauch des Missbrauchs“ und kritisierte „profilbedürftige“ Journalisten. Fast zeitgleich veröffentlichte er, damals Vorstandsmitglied im Altschülerverein der Reformschule, einen Text in dessen Postille „Goetheplatz“. Darin warb er einerseits für Aufarbeitung, mahnte aber auch, sich „an die Erfolge und besonderen Vorzüge des Modells Odenwaldschule zu erinnern“.

Jetzt könnte die Angelegenheit für Lindemann, Vorstandsmitglied des Frankfurter Kinderschutzbundes von 1989 bis 1996 und seit 2003 Geschäftsführer, ernste Konsequenzen haben – denn die Organisation will ihren guten Ruf nicht verlieren. Am Dienstagabend wollte sich der amtierende Vorstand zur Krisensitzung treffen. In den Tagen zuvor war der Druck auf den Manager der Organisation, die sich für seelisch und körperlich misshandelte Kinder einsetzt, erheblich gewachsen. Erst traten drei Vorstandsmitglieder des Bezirksverbandes zurück, darunter die Chefin Sylvia Gräfin zu Solms-Laubach. Tenor der intern geäußerten Kritik: Lindemann habe Ex-Schulleiter Becker in Schutz genommen und damit die Missbrauchsopfer missachtet, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihm halten die Kritiker für unmöglich. Daneben gab es öffentliche Angriffe: Ex-Odenwaldschüler Adrian Koerfer sagte der "Frankfurter Rundschau": Er könne sich nicht vorstellen, dass jemand länger in der Becker-Familie lebte und nicht wusste, was los war. Lindemann hätte vom Missbrauch wissen können, weil er selbst zur Becker-„Familie“ am Internat gehört habe. Lindemann bestreitet dies. Lindemann war in den 70er Jahren Odenwaldschüler. Er ist Sohn von Helmut Lindemann, der 1961 bis 1962 Leiter des Internats Birklehof im Schwarzwald war.

Inzwischen hat auch der Bundesverband des Kinderschutzbundes Wind von der Diskussion in Hessen bekommen. Dessen Präsident Heinz Hilgers schaltete sich ein und riet dem Frankfurter Vorstand dringend, dass der Fall für Lindemann arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen sollte. Dem Tagesspiegel sagte Hilgers: „Lindemann hat eine Geisteshaltung, die nicht zum Kinderschutzbund passt.“ Die Organisation stehe eindeutig auf Seiten der Opfer. Der Frankfurter Geschäftsführer habe sich mit diesem Ziel offenbar zu wenig identifiziert. Nach Angaben des Bundesverbandes wird die Kritik vom hessischen Landesvorstand geteilt.

Neuen Ärger ausgelöst hatte das vorerst letzte Interview von Lindemann, das am Wochenende in der „Frankfurter Rundschau“ erschien. Dort hatte dieser zugegeben, es sei an der Odenwaldschule bekannt gewesen, dass Becker „auf Jungs steht“. Damit werde Lindemanns Entschuldigung für seinen 1999 geschriebenen Leserbrief widersprüchlich, meint Hilgers. Ob der Geschäftsführer trotz der Anwürfe bleiben kann, blieb zunächst offen. Der Frankfurter Vorstand bestimmte per Dienstanweisung, dass sich Lindemann vorerst nicht mehr zur Sache äußern darf. Vizechef Ludwig Salgo wollte zu möglichen Konsequenzen vor der Sitzung am Abend nichts sagen.

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