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Politik: Mit Allah an die Macht

Iraks Schiiten können ihren Glauben wieder öffentlich zeigen. Iran fürchtet nun um seine Vormachtstellung

IRAK ZWISCHEN KRIEG UND FRIEDEN

Hunderttausende Schiiten sind in den vergangenen Tagen in die irakische Stadt Kerbela gekommen, um dort zum ersten Mal seit einem Vierteljahrhundert wieder eines der wichtigsten Feste des schiitischen Kalenders zu begehen. Doch die Freude über die neu gewonnene Freiheit wird überschattet von Protesten gegen die amerikanischen Besatzer. Und von einem inner-schiitischen Machtkampf hinter den Kulissen, dem schon einige Geistliche zum Opfer gefallen sind – etwa der moderate Abdul Madschid al Khoi, der nach seiner Rückkehr aus dem Londoner Exil in der Hauptmoschee von Nadschaf ermordet wurde. Ein Grund, warum viele herausragende schiitische Gelehrte es vorziehen, nicht an den Feierlichkeiten in Kerbela teilzunehmen - es ist ihnen schlicht zu gefährlich.

Viele Gruppen außerhalb und innerhalb des Irak versuchen nun das Machtvakuum zu füllen, das die Jahrzehnte der Unterdrückung und der Fall des alten Regimes hinterlassen haben. Der Kampf um die Seelen der Schiiten ist voll entbrannt. Nicht nur, weil sie mit 60 Prozent die größte Bevölkerungsgruppe im Irak stellen. Auch für das Nachbarland Iran steht viel auf dem Spiel: der Führungsanspruch unter den Schiiten in der Region, den Teheran seit der Revolution von 1979 beansprucht. Denn hochrangige irakische Schiiten waren immer schon gegen das iranische Modell, in dem der geistliche Führer auch der politische ist. Und zunehmend lässt offenbar auch die Anziehungskraft nach, die einst von der iranischen Revolution ausging. Die offensichtliche Korruption, die Tyrannei der Mullahs und die negative wirtschaftliche Entwicklung – all das hat das Modell Iran für viele Muslime entwertet.

Das iranische Modell war auch innerhalb der Schia von Anfang an umstritten. Der Großajatollah Montazeri stand in Iran deshalb lange unter Hausarrest. Zu prominenten Gegnern des Teheraner Kurses zählt auch Ajatollah Sajed Ali Sistani im irakischen Nadschaf, der Stadt, die traditionell mit dem iranischen Quom um den Rang des ersten religiösen Zentrums der Schiiten ringt. Sistani und seine Schüler favorisieren die Trennung von Staat und Religion. Teheran fürchtet nun, dass sich im Irak die Sistani-Schule durchsetzt. Denn dann wäre der Alleinvertretungsanspruch Teherans in der schiitischen Welt in Frage gestellt. Und das Mullah-Regime würde weiter unter Druck geraten, den Zugriff auf die iranische Gesellschaft und Politik zu lockern.

Um den Zusammenbruch der alten Strukturen im Irak zu nutzen, hat der iranische Religionswächter Ajatollah Ali Chamenei laut westlichen Geheimdienstberichten vor etwa einem Jahr eine Religionsschule für irakische und arabischsprachige Studenten eingerichtet. Aus Gründen der Geheimhaltung wurde die Schule nicht in Quom, sondern im iranischen Maschhad eröffnet und mit 20 herausragenden irakischen Absolventen der besten Religionsinstitute aus Quom besetzt. Die wurden unter der Aufsicht der Revolutionswächter dazu ausgebildet, als Geistliche im Irak eine Art Keimzelle iranischen Einflusses zu bilden. Bisher scheinen die in Maschhad ausgebildeten Geistlichen zumindest größere Moscheen zu meiden, um nicht die Aufmerksamkeit der Alliierten zu erregen.

Seit Ende Februar sandte Iran nach Geheimdienstinformationen Hunderte Agenten in den Südirak und die schiitischen Stadtteile Bagdads. Sie sollten schiitische Institutionen infiltrieren und so den Einfluss Teherans erhöhen.

Teheran übt auch über den von Ajatollah Mohammed Bakir al Hakim geleiteten „Hohen Rat für die Islamische Revolution im Irak“ (Sciri) Einfluss im Irak aus. Sciri hat etwa das erste von den USA einberufene Treffen irakischer Oppositionsgruppen boykottiert. Und das, nachdem sich die Organisation in den vergangenen Monaten mit Forderungen nach einer Theokratie zurückgehalten hat, um sich als gemäßigt zu präsentieren. Der Einfluss iranfreundlicher Kreise wird auch in vielen schiitischen Demonstrationen im Irak sichtbar, etwa in der Kundgebung vor dem Haus Ajatollah Sistanis. Die Demonstranten forderten ihn zum Verlassen des Landes auf. Sistani meidet seitdem die Öffentlichkeit, wahrscheinlich, um nicht ebenfalls einem Attentat zum Opfer zu fallen. Einer seiner Vertreter hat jetzt die Amerikaner zum Verlassen des Irak aufgefordert. Denn gerade die moderateren Geistlichen können es sich in der momentanen „revolutionären“ Situation kaum leisten, im eigenen Land als Kollaborateure der Alliierten dazustehen.

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