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Politik: Mit beschränkten Mitteln bereitete die erste frei gewählte DDR-Regierung die deutsche Einheit vor

Wenn Markus Meckel sich an den 12. April 1990 erinnert, beschleicht ihn ein "Gefühl der Besonderheit".

Wenn Markus Meckel sich an den 12. April 1990 erinnert, beschleicht ihn ein "Gefühl der Besonderheit". Der vollbärtige Politiker spricht mit leuchtenden Augen von der ersten frei gewählten DDR-Regierung, die am 12. April 1990 ihr Amt antrat. Schon bei der Konstituierung stachen die Besonderheiten des Kabinetts ins Auge. Fast zwei Dutzend Ministerinnen und Minister waren versammelt, um ein halbes Jahr lang die DDR abzuwickeln. Kaum eine Regierung hatte so viele Minister, kaum eine Regierung hatte so kurze Zeit zum Handeln. Der mecklenburgische Pfarrer Meckel wurde damals Außenminister. Er bringt seine 130-tägige Amtszeit auf die kurze Formel: "Kein Apparat, wenig Zeit und kaum Zeit für Gefühle."

Angesichts dieser Voraussetzungen muteten die außenpolitischen Ziele Meckels fast illusorisch an. Er strebte ein europäisches Sicherheitssystem unter dem Dach der KSZE an und stellte die Abrüstung in den Vordergrund. Trotz seiner freundlichen Aufnahme im internationalen Kreis bekam Meckel Widerstände zu spüren: "Einen eigenständig handelnden Akteur auf der Bühne wollte eigentlich keiner haben." Der Mechanismus der "Zwei-plus-vier"-Verhandlungen war bereits einige Tage vor Antritt der DDR-Regierung festgelegt worden.

"Wir hatten eine unkonventionelle Auffassung von Politik", resümiert der damalige Regierungschef Lothar de Maiziere. Schon in seiner Regierungserklärung mahnte er auch eine wertorientierte Politik an: "Wer glaubt, wir müssten uns vom Ideal der sozialen Gerechtigkeit, der internationalen Solidarität und der Hilfe für die Menschen verabschieden, der irrt sich." In Bonn stießen solche Töne auf Skepsis. Das abfällige Wort von der "Laienspielerschar" schallte aus der Bundeshauptstadt über die ehemalige Mauer hinweg. Angesichts manch ungewöhnlicher Stellungnahmen aus dem Ostteil Berlins war das nicht einmal verwunderlich. So überraschte etwa Regierungsmitglied Peter-Michael Diestel (DSU) zum Amtsantritt mit der Aussage, er würde die DDR-Gesetze nicht anerkennen. Für einen Innenminister sicher keine glückliche Formulierung.

Im Blickpunkt stand jedoch die Sacharbeit. Vor allem ging es darum, die deutsche Einheit herbeizuführen und Bedingungen wie den finanziellen Umtauschkurs von 1 : 1 zu formulieren. Ein wichtiges Instrument war dabei der Koalitionsausschuss, in dem die Fraktionsspitzen von CDU, SPD, DSU, Liberalen und Demokratischem Aufbruch ihre Streitfragen schlichteten. Rainer Ortleb, damals Fraktionschef der Liberalen, erinnert sich: "Bei jedem Treffen überlegten wir, wie lebendig der Patient DDR noch ist." Angesichts des rapiden Entwicklung in Richtung deutsche Einheit seien für manche Entscheidung "gerade einmal fünf Minuten Zeit gewesen", sagt Ortleb. In seiner späteren Tätigkeit als Bundesbildungsminister und als Bundestagsabgeordneter habe er das nicht mehr erlebt: "Bonner Sitzungen waren oft langweilig, Entscheidungen nahmen Monate in Anspruch." Ein wenig Bitterkeit schwingt in Ortlebs Stimme mit. Entnervt hatte er 1994 seinen Ministerposten abgegeben und - auch wegen privater Probleme - der Politik den Rücken gekehrt. Heute vergleicht er das Schicksal vieler ostdeutscher Politiker mit dem Kampf einer Infanterie: "Die erste Reihe fällt, die zweite hat es schon besser und die dritte bleibt am Leben."

Auch Lothar de Maiziere hat sich von der politischen Front zurückgezogen, nachdem er 1990 mit Stasi-Vorwürfen konfrontiert wurde. Er arbeitet in Berlin als Anwalt und denkt "ohne Wehmut" an die Regierungsaufgaben zurück. Die wichtigsten Punkte in seinem Regierungsprogranmm sieht er als erfüllt an: eine Neuordnung der Kommunen, die Wiedereinführung der Länder und die Schaffung einer Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion mit der Bundesrepublik. Nur ein Vorhaben konnte die DDR-Regierung nicht umsetzen. Die Olympischen Spiele konnte sie nicht nach Berlin holen, "aber das haben andere verbockt". Insgesamt ist de Maiziere stolz auf die Arbeit. 759 Vorlagen habe das Kabinett bearbeitet, und das trotz vorzeitigen Ausscheidens von Liberalen und SPD im Zuge des Wahlkampfs.

Markus Meckel versucht weiterhin, Politik zu machen. In der SPD-Bundestagsfraktion kümmert er sich um die Außenpolitik, außerdem will er mit der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur "Erinnerungen wach halten". Dass es noch keine Literatur über das Wirken der letzten Volkskammer gibt, empfindet er als Mangel. "Eigentlich", so resümmiert er, "waren wir eine ganz fitte Truppe."

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