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Politik: Mit Bildung nicht im Bunde Von Gerd Appenzeller

Kann eine Reform, die von 90 Prozent der betroffenen Fachleute abgelehnt wird, eine gute Reform sein? Theoretisch ja, zum Beispiel, wenn die Neuerung den Experten persönlich ans Geld geht.

Kann eine Reform, die von 90 Prozent der betroffenen Fachleute abgelehnt wird, eine gute Reform sein? Theoretisch ja, zum Beispiel, wenn die Neuerung den Experten persönlich ans Geld geht. Und natürlich muss die Politik immer wieder unbequeme, neue Wege zu gehen wagen, wenn sie das Gemeinwesen voranbringen will. Dabei sollte man sie sogar ausdrücklich ermutigen. Bei der Reform des Föderalismus ist diese Ermutigung der Innovationsfreude auch von allen Seiten gekommen – mit einer Ausnahme: Was die Politiker bei der Bildungsreform ausgeheckt haben, stößt auf den geballten Widerstand fast aller Sachkundigen, und dies nicht deshalb, weil es an ihre Portemonnaies geht, sondern weil sie Schlimmes für die Bildung in Deutschland befürchten.

Die Politik scheint das nicht zu schrecken. Sie will offenkundig, frei nach der Devise: Es geht ums Prinzip, die Sache durchziehen. Die Sache – das ist eine strikte Trennung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern in der Bildungspolitik. In den Schulen hat der Bund künftig nicht mehr mitzureden, in der Hochschullehre auch nicht. Allenfalls bei der Forschung arbeitet er weiter mit den 16 Bundesländern zusammen, darf anregen und anteilig finanzieren. Bislang, seit 1969, zählt der Hochschulbau zu den Gemeinschaftsaufgaben, die zu 50 Prozent vom Bund finanziert werden, wenn das jeweils von den Geldern profitierende Land seinerseits 50 Prozent dazuzahlt. Damit wäre nun Schluss. Zwar gibt es Übergangsfristen, aber schon für diese Phase fürchten Fachleute, dass die ohnedies ziemlich kleinteilige deutsche Bildungslandschaft noch mehr zerfleddert wird. Arme Länder, warnen sie, werden in den Hochschulbau nicht mehr investieren, und das angesichts einer in den kommenden Jahren dramatisch anwachsenden Zahl von Studenten.

Nicht nur hier, sondern generell herrscht demnächst ein Kooperationsverbot. Selbst wenn ein Bundesland und der Bund die gemeinschaftliche Finanzierung einer Bildungseinrichtung für richtig hielten, dürfen sie es nicht mehr. Die Union findet das gut. Sie jubelt über ein künftiges „Korruptionsverbot“. Aus der SPD hingegen kommt ein Stöhnen, dies sei „die Stiefmutter aller Reformen“. Wenn die Töne so schrill werden, kann man davon ausgehen, dass diese Reform traumatische Erfahrungen der Politik berührt. So ist es auch. Da gab es einmal die Tendenz sozialdemokratisch geführter Regierungen zur Ausschöpfung von Bildungsreserven durch Gesamtschulen. Dagegen stand die christdemokratische Überzeugung, dass nur ein stark gegliedertes Schulsystem geeignet sei, Bildungsqualität zu bewahren und zu Spitzenleistungen anzuspornen. Seit Pisa wissen wir, dass jede fast schon ideologisch-enge Schulpolitik in Fehlentwicklungen endete. Eine Gesamtschule ohne anerkannte Qualitätsstandards führt zur Verdummung unter dem Deckmantel netter, aber wertloser Noten. Das klassische Gymnasium hingegen lässt Kinder aus bildungsfernen Familien links liegen, Kinder, von denen es auch durch die nicht zur Kenntnis genommene Einwanderung der letzten zwanzig Jahre immer mehr gibt.

So prinzipiell richtig es in einem föderal organisierten Staat ist, ein ausdifferenziertes Bildungssystem zuzulassen, so falsch ist es, dem Bund jede Möglichkeit zu nehmen, bei neuen Entwicklungen im Einvernehmen mit den Ländern Impulse zu geben. Das Projekt der Ganztagsschulen, die seit 2003 und bis 2008 vom Bund mit vier Milliarden Euro gefördert sind, ist ein gutes Beispiel. Dass ganztätige Schulbetreuung das schulische Niveau steigern kann, war auch eine Erkenntnis der Pisa-Studien. Die Zuschüsse aus Berlin ermöglichten den Ausbau der Schulen und ließen den Ländern das Geld, um Lehrer einzustellen. Damit ist es vorbei, wie auch mit jeder Unterstützung beim Hochschulbau. Von der zwingend notwendigen Finanzreform, die den Ländern einmal mehr Mittel an die Hand geben könnte, ist weit und breit noch nichts zu erkennen. Die Prognose sei also gewagt, dass diese Bildungsreform gegen die gesamte Fachwelt ein Erfolg der politischen Prinzipienreiterei ist, in der Sache aber ein eklatanter Fehlschlag wird.

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