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Politik: Mit falscher Zunge

Von Stephan-Andreas Casdorff

Was da auf der Konferenz in München geschehen ist, war aufregend, in jeder Hinsicht. Der russische Präsident hat den Westen rhetorisch überfallen – und der hat die Herausforderung ohnegleichen nicht bestanden. Wladimir Putin hat gewissermaßen mit dem Schuh auf den Tisch geschlagen; die Rede des russischen Präsidenten im sowjetischen Imperialgehabe an die Adresse der USA war eine Frechheit. Und keiner der Großen, die außerdem eingeladen waren, hat es mit ihm intellektuell und rhetorisch aufgenommen. Wie schwach das wirkt. Schon gar vor dem Hintergrund, dass keiner weiß, was nach Putin kommt.

Der russische Präsident hat geredet, als könne er den Maßstab für richtiges, angemessenes, ja demokratisches Verhalten bestimmen. Als dürfe er den Bündnispartnern der Amerikaner vorwerfen, dass sie ihre Meinungsfreiheit gegenüber der Bush-Administration nicht wahrnehmen. Es geht um die Attitüde und den Plan hinter seiner Rede: Herrschaftsgebaren. Und die Runde blicket stumm … Das zeigt Schwäche just in dem Moment, der von jedem, der Demokratie im Blut hat, verlangt hätte zu widersprechen. Denn da ist mehr als ein Maßstab verrückt worden.

Diesen Unterschied gilt es immer zu beachten: Amerika ist eine Demokratie, zweifelsfrei, sie war und ist ihre Vormacht. Man kann George W. Bush und seinen Gefolgsleuten vorhalten, dass sie die falsche Politik in Nah- und Mittelost, gegenüber Lateinamerika und in Asien betreiben; man muss sie hart kritisieren dafür, in aller Offenheit, unter Demokraten. Hier gibt es Versäumnisse, beklagenswerte, vor allem bei denen, die sich viel auf ihr Verhältnis zu Bush zugute halten.

Aber nicht Putin. Nicht ausgerechnet er. Und nicht so. Es wird nicht dadurch richtig, dass es der Falsche sagt. Das lehrt erstens die Geschichte, zweitens die Gegenwart. Russland ist heute eine „gelenkte Demokratie“, eher eine Demokratur. So ähnlich haben auch alle Experten in den vergangenen Monaten gesprochen, die jetzt in München und danach schwiegen. Russland, das ist eine Petromacht, die diese kalt ausnutzt. Ist ein Land, das mit Krieg in Tschetschenien von sich reden macht. Oder durch herrischen Umgang mit Abchasien, Inguschetien und Georgien. Das den Iran unterstützt. Es ist das Land Putins, in dem der Mord an der Journalistin Politkowskaja, die ihre Meinung schrieb, nicht aufgeklärt ist. Das Land, in dem „Rechtsstaat“ noch ausbuchstabiert werden muss. Russland ist vieles, aber keine lupenreine Demokratie. So viel hat jüngst auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier als ehemaliger Schröder-Adlatus gesagt.

Die freie Gesellschaft, eine Wertegemeinschaft, hat zugelassen, dass ihre Orientierungsmacht angegriffen wird, als gäbe es Gleichheit zwischen den USA und Russland; hat zugelassen, dass der Unterschied in der öffentlichen Wahrnehmung eingeebnet wird. US-Verteidigungsminister Robert Gates war so klug, Putin ironisierend zu antworten, von Agent zu Agent. Das ist in dem Moment souverän. Wer sich verteidigt, klagt sich an. Und Amerika durfte sich nicht selbst verteidigen müssen. Umso mehr waren die anderen gefordert. Eben weil Russland ein Machtfaktor sein will.

Wirklich miteinander ins Gespräch kommen die, die Respekt voreinander empfinden. Die hochmögenden Herr- und Damschaften haben dagegen die Strategie der vorbeugenden Einschüchterung hingenommen – und nebenbei offenbart, dass ein Putin sie jederzeit überraschen kann. Der ist stets gut vorbereitet, hart, klar. Ihm zu begegnen, erfordert mehr als Sprechzettelwissen und ein diplomatisches Korsett. Es erfordert die nötige Kenntnis, um sofort parieren zu können, so im Fall der Raketenabwehr, und immer die Haltung tiefer demokratischer Gesinnung und Gesittung. Ja, und wenn dann Putin sagt, er wolle offen reden – dann hätte man das als Einladung begreifen müssen, jetzt auch offen über Russlands allseits beklagte Defizite zu reden. Auf hoher Ebene. Die Krisenherde dieser Welt erfordern möglichst gemeinsames Handeln, aber eines aus demselben Geist.

Nicht immer dürfen die Klügeren schweigen.

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