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Politik: Mit ganz normalen Regeln

EU-KONFERENZ IN ROM

Von Albrecht Meier

In der Hölle, heißt es, sind die Briten für die Küche, die Italiener für die Regelung des Verkehrs und die Deutschen für den Humor zuständig. Nun hat die Politik zwar weder Himmel noch Hölle vor Augen, dafür aber, bezogen auf Europa, einen Idealzustand. Und der wiederum sieht so aus: Alle gemeinsam, Deutsche, Franzosen, Polen und all die anderen, sitzen in der Regierung, teilen die Macht gerecht untereinander auf und sind – oh Wunder – auch noch beseelt von denselben Werten: überwiegend Christentum, ein bisschen Kopftuch.

Nun herrscht aber nicht der Idealzustand, sondern das, wofür es im Europa Jargon das Wort „Regierungskonferenz“ gibt. Die Konferenz, die am heutigen Samstag in Rom beginnt und deren zeitliches und inhaltliches Ende offen ist, muss aus dem Entwurf des EU-Konvents für eine europäische Verfassung einen beschlussfähigen Text machen. Im Grundsatz geht es darum, die Institutionen und Entscheidungsmechanismen der Europäischen Union so effizient zu gestalten, dass auch eine EU mit 25 Mitgliedern nicht aus dem Ruder gerät.

Auf der aktuellen politischen Bühne geht es dabei so zu, wie es auf dem EU-Basar immer zugeht: Da institutionelle Fragen Machtfragen sind, wird gefeilscht. Vor allem die beiden mittelgroßen Staaten Spanien und Polen ringen darum, in ihrem Einfluss künftig nicht deutlich hinter die „Großen Drei“, also Deutschland, Frankreich und Großbritannien, zurückzufallen. Vor allem Berlin und Paris, denen der vorliegende Verfassungsentwurf das nötige Gewicht in einer hauptsächlich aus kleinen Mitgliedstaaten bestehenden EU zusichert, wollen das Paket des Verfassungsentwurfs nicht mehr aufschnüren. Ganz anders sehen das zahlreiche kleinere EU-Staaten, angeführt von Österreich, Ungarn und Finnland. So weit, so unübersichtlich.

Dabei sind alle Probleme, die jetzt wieder auftauchen, 16 Monate lang vom Verfassungskonvent hin und her gewendet worden. Das Gremium wurde zwar von einem Adligen in Gestalt des Franzosen Valéry Giscard d’Estaing geleitet – was aber nichts daran ändert, dass im Konvent neben den üblichen Brüsseler Verdächtigen erstmals alte und neue EU-Mitglieder, Regierungs- und Oppositionspolitiker sowie Verbandsvertreter über die Verfassung diskutierten. Diese demokratische Breite wird die nun beginnende Regierungskonferenz nie erreichen.

Der Verfassungsentwurf des EU-Konvents macht es zugegebenermaßen den Kritikern leicht, die das ganze Bündel wieder aufschnüren und neu verhandeln wollen. Denn der Entwurf beschreibt eben nicht Europas Idealzustand, sondern einen klassischen Kompromiss. Unbefriedigend ist dieser Kompromiss in vielfacher Hinsicht: Die Machtaufteilung zwischen der Brüsseler Kommission und den Mitgliedstaaten ist ungeklärt; die Zuständigkeit des künftigen EU-Außenministers bleibt vage; in mehreren Politikfeldern ist das Blockade-Potenzial für jedes einzelne der demnächst 25 Mitglieder gewaltig. Aber immerhin erhalten die EU-Bürger mit der neuen Verfassung dann doch eine Idee davon, dass die EU am Ende dieses Jahrzehnts so etwas wie eine eigene Regierung haben könnte – mit eigenem Präsidenten, eigenem Außenminister und einem gestärkten Europaparlament.

Zu den Vorzügen des EU-Verfassungsentwurfs, so wie er jetzt vorliegt, gehört auch ein Prinzip, das für alle nachvollziehbar ist: Je größer die Bevölkerung eines Mitgliedslandes ist, desto mehr Einfluss hat dieser Staat auch in der EU. Wer das Paket an dieser Stelle aufschnürt, riskiert, wieder jene nebulöse Regelung einzuführen, die beim EU-Gipfel von Nizza beschlossen wurde. An der Côte d’Azur verkrachten sich seinerzeit in der Frage der Stimmengewichtung nicht nur Kanzler Schröder und Frankreichs Präsident Chirac. Der deutsche Regierungschef billigte damals wider Willen auch eine Lösung, die den Polen denselben Einfluss wie den Spaniern garantiert. Überdies haben Warschau und Madrid in der EU derzeit mehr Gewicht, als ihnen nach der Größe ihrer Bevölkerung eigentlich zusteht. Wer es gut mit der EU meint, sollte diesen Zustand ändern. Auch im Interesse derjenigen, die die EU endlich einmal verstehen wollen – und zwar als Teil ganz normaler, irdischer Politik, mit ganz normalen Regeln: mehrheitlich, demokratisch, gut.

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