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Politik: Mit Gas in den Wahlkampf

Das Abkommen mit Moskau stürzt die Ukraine in eine Regierungskrise

Seine Verärgerung über den Coup der ukrainischen Opposition konnte der gereizte Staatschef selbst einen Tag später kaum verbergen. Als „unverständlich, unlogisch und falsch“ geißelte Präsident Viktor Juschtschenko am Mittwoch im fernen Kasachstan das erfolgreiche Misstrauensvotum gegen die Regierung seines Parteifreundes Juri Jechanurow: „Die ukrainischen Wähler hätten es verdient, dass die Parlamentswahlen in einer Atmosphäre der politischen Stabilität stattfinden.“ Doch von Stabilität ist die Ukraine wieder einmal weit entfernt. 80 Tage vor dem Urnengang hat die Opposition mit dem Beschluss zur Absetzung des Kabinetts dem Land eine handfeste Regierungskrise beschert.

Vordergründig steht das Gaspreisabkommen mit Moskau im Mittelpunkt der Kiewer Politik-Turbulenzen. Doch tatsächlich ist der vermeintlich beigelegte Nachbar-Streit ums Gas längst zum Teil des ukrainischen Wahlkampfs geworden. International wurde der vergangene Woche geschlossene Gasfrieden zwischen Kiew und Moskau eher als Erfolg der Ukraine bewertet. Und auch in der Heimat konnte der seit Monaten schwächelnde Juschtschenko die Vereinbarung mit der russischen Gasprom, die statt der geforderten Verfünffachung nur die Verdoppelung des Gaspreises vorsieht, zunächst als Sieg verkaufen. Doch neben der heimischen Presse nahm auch seine frühere politische Verbündete und heutige Widersacherin Julia Timoschenko das Abkommen rasch kritisch ins Visier.

Nicht nur die Preiserhöhung, sondern auch die Einschaltung der als mafiös verrufenen Handelsgesellschaft Rosukrenergo sowie die für die Kiew nachteilige Festlegung der Vertragsdauer der Transit- und Gaspreise macht sich Timoschenko als Wahlkampfmunition zunutze. Im Parlament, in dem sich das Minderheitskabinett bisher nur dank Unterstützung des Kreml-Günstlings Viktor Janukowitsch halten konnte, fand die Ex-Regierungschefin willige Unterstützer: Fast einstimmig brachte die keineswegs homogene Opposition das Kabinett ins Straucheln.

Gestürzt ist die Regierung aber noch keineswegs. Weil das Parlament noch keine neuen Verfassungsrichter eingesetzt hat, herrscht in Kiew Verwirrung über die Gültigkeit des Misstrauensvotums. Praktisch dürfte sich ohnehin wenig ändern. Jechanurow wird bis zur Wahl weiteramtieren. Und für danach gilt eine Versöhnung der einstigen Revolutionshelden weiter als keineswegs ausgeschlossen.

Thomas Roser[Warschau]

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