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Politik: Mit Gewalt gegen den modernen Islam

BOMBEN IN DER TÜRKEI

Von Christoph von Marschall

Und jetzt auch noch Istanbul, die wunderschöne Stadt am Bosporus mit ihren berühmten Moscheen, Kirchen, Synagogen. Eine blutige Spur des Terrors zieht sich durch die muslimischmediterrane Welt von Nordafrika bis zur Ägäis und zum Schwarzen Meer: Marokko, das tunesische Djerba, Ägypten, Palästina und nun die Türkei. Wo kann man überhaupt noch hinfahren?

Allem Anschein nach waren Touristen diesmal nicht das Ziel. Die beiden Autobomben, die schreckliche Zerstörungen im Gassengewirr nahe dem Galataturm anrichteten und ganze Straßenzüge nahezu verwüsteten, galten wohl den beiden Synagogen. Doch das sind Vermutungen, und auch wenn sie sich bestätigen, fällt es schwer nachzuvollziehen, warum an diesem Sabbat in Istanbul so viele Menschen sterben mussten. Die täglichen Anschläge im Irak, die Selbstmordattentate in Israel, die mörderischen Bomben in Ausländervierteln der saudischen Hauptstadt Riad – dafür haben viele Europäer sich Erklärungsmuster zurechtgelegt: Widerstand gegen Amerikas falschen Krieg im Irak, gegen Israels Besatzungsmethoden in Palästina, gegen die doppelzüngigen, korrupten Regime der Ölscheichs, die mit den USA paktieren und ihre Bürger unterdrücken. Das meint man zu verstehen, auch wenn das keine Rechtfertigung sein kann. Doch was können türkische Juden für Scharons Politik? Und die Türkei: Die schickt doch jetzt endgültig keine Truppen in den Irak.

Gut möglich, dass sich die Bomben von Istanbul gegen die türkisch-israelische Annäherung richten, die enge Zusammenarbeit bei der Wasserverteilung im Nahen Osten, bei Tourismus, Erdbebenhilfe und Militär. Und besonders verwerflich aus fundamentalistischer Sicht, dass die neue islamische Regierung der Türkei unter dem gläubigen Muslim Erdogan das fortsetzt, was die säkularen, religionsfeindlichen Vorgänger begonnen hatten. Bei den demokratischen Reformen hat er sogar das Tempo erhöht. Spätestens da aber müsste Europas Bereitschaft, die mutmaßlichen Motive der Terroristen nachzuvollziehen, in Empörung umschlagen. Und in entschiedene Parteinahme für den Kurs des Muslims Erdogan.

Denn das sind doch zwei Grundpfeiler der ersehnten Friedensordnung im Nahen Osten. Erstens die Verständigung arabischer und generell muslimischer Staaten mit Israel. Und zweitens die Demokratisierung der erstarrten islamischen Gesellschaften, die sich mit der überfälligen Modernisierung so schwer tun. Im Vergleich mit den Schauplätzen anderer schwerer Bombenanschläge der jüngsten Zeit, Saudi-Arabien zum Beispiel am letzten Wochenende, wird so recht deutlich, was Europa, was der Westen an der Türkei hat. Ein Vorbild, wie sich islamische Traditionen allmählich mit den Werten unserer Zivilgesellschaften versöhnen lassen – ohne gewaltsame Eruptionen. Ein Land, in dem es keine nennenswerten Gruppen gibt, die mit dem Ziel einer fundamentalistischen Ordnung sympathisieren. In dem Versuche, eine islamistische Revolution herbeizubomben, von vorneherein zum Scheitern verurteilt sind. Weil die Menschen sehen, dass bei den Anschlägen – was auch immer die angeblichen Ziele waren – vor allem Türken sterben, Muslime. Und das soll sich gegen den Westen richten?

In Saudi-Arabien dagegen, von wo der Al-Qaida-Terror stammt, fehlen solche Einsichten. Das heuchlerische Regime hat den Fundamentalismus als Blitzableiter für den Unmut der Massen missbraucht und wenig dagegen getan, solange sich die Gewalt gegen Amerika und Israel wandte. Obwohl auch bei den Anschlägen dort fast nur Muslime umkommen, steht die entscheidende öffentliche Klärung noch aus: Die arabischen Bürger müssen begreifen, dass dieser Terror nicht nur den Westen bedroht, nicht einmal in erster Linie. Sondern ihre eigenen nichtfundamentalistischen Lebensformen. Die islamische Öffentlichkeit muss endlich für den Kampf gegen Al Qaida gewonnen werden: mental und emotional.

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