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Politik: Mit Grüßen vom KGB

Ehepaar soll in Deutschland jahrzehntelang für den russischen Geheimdienst gearbeitet haben

Berlin - Es klingt wie eine Geschichte aus dem Kalten Krieg: Ein Ehepaar führt ein perfekt getarntes Doppelleben in der deutschen Provinz, bis eines Tages im Morgengrauen ein Kommando des Bundeskriminalamtes vor der Tür steht. Zum Zeitpunkt der Festnahme sitzt Heidrun A. vor einem kleinen Funkempfänger, über den sie gerade verschlüsselte Botschaften auf Kurzwelle erhält. Das Paar soll nach einem Bericht des „Spiegel“ für den russischen Geheimdienst gearbeitet haben – und das möglicherweise schon seit mehr als 20 Jahren. Damit hätte diese Spionagegeschichte bereits zu einer Zeit begonnen, als die Mauer noch stand, die Sowjetunion noch existierte und Moskaus Geheimdienst noch KGB hieß.

Andreas A. und seine Frau Heidrun wurden nach Angaben der Bundesanwaltschaft am vergangenen Dienstag wegen des „dringenden Tatverdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit“ festgenommen. Jetzt sitzen sie in Untersuchungshaft. Sie sollen bereits seit längerer Zeit für einen ausländischen Nachrichtendienst gearbeitet haben. Das Paar lebte im Marburger Stadtteil Michelbach, Andreas A. arbeitete dem „Spiegel“ zufolge für einen Zulieferer der Automobilindustrie im schwäbischen Balingen.

Die deutschen Ermittler sollen durch einen Hinweis aus den USA auf die beiden Verdächtigen aufmerksam geworden sein. Dort wurde im vergangenen Jahr in einer spektakulären Aktion ein russischer Agentenring enttarnt, in dessen Mittelpunkt die Spionin Anna Chapman stand. Andreas und Heidrun A. sollen nach einem Bericht des „Focus“ regelmäßig Kontakt mit Anna Chapman gehabt haben.

Die russischen Nachrichtendienste sehen Deutschland nach Angaben des Verfassungsschutzes weiterhin als „wichtiges Aufklärungsziel“. In der Regel sind die Agenten als Diplomaten oder Journalisten getarnt. Die russische Botschaft in Berlin sei für den zivilen Auslandsgeheimdienst SWR wie auch den militärischen Nachrichtendienst GRU der Hauptstützpunkt in Deutschland, berichtet der Verfassungsschutz. Außerdem sind in der Bundesrepublik offenbar Agenten stärker präsent als in anderen EU-Ländern: „Die russischen Dienste unterhalten an den Auslandsvertretungen in Deutschland eine starke – im europäischen Vergleich überproportionale – Personalpräsenz“, heißt es im Verfassungsschutzbericht 2010. Darüber hinaus halte der SWR aber auch an seinem „Illegalenprogramm“ fest: Geheimdienstoffiziere erhalten eine falsche Identität und werden für einen langfristigen Einsatz ins Land geschleust.

Die Geschichte von der erfolgreichen Festnahme der Spione wirft allerdings Fragen auf. So wundern sich Experten darüber, dass verschlüsselte Botschaften per Funkempfänger über Kurzwelle übermittelt worden sein sollen. „Solche archaischen Methoden sind den heutigen Realitäten nicht angemessen“, sagte der frühere KGB-Abteilungsleiter Wladimir Rubanow der Zeitung „Iswestija“. Neben den aktiven Agenten gebe es in Europa noch sogenannte Schläfer, sagte eine Quelle aus Kreisen des Auslandsgeheimdienstes dem Blatt. Diese Leute seien bereits in der Sowjetunion aktiv gewesen, hätten die Verbindung zu den Geheimdiensten nicht verloren und würden als „Briefkästen“ eingesetzt: Sie versendeten und empfingen Nachrichten. „Wir lassen sie nicht im Stich“, sagte der Geheimdienstler.

Noch ist unklar, wie es nun weitergeht. Anders als Agenten mit Diplomatenpass stehen Andreas und Heidrun A. nicht unter dem Schutz diplomatischer Immunität, sie könnten vor ein deutsches Gericht gestellt werden. Anna Chapman und den anderen in den USA enttarnten Spionen blieb ein Prozess erspart. Ganz wie im Kalten Krieg wurden sie gegen mutmaßliche US-Agenten ausgetauscht. Nach ihrer Rückkehr traf sich Premier Wladimir Putin mit den russischen Agenten und sang mit ihnen patriotische Lieder. Der frühere Chef des Geheimdienstes FSB, der vor dem Mauerfall im Dienste des KGB in Dresden stationiert war, lobte demonstrativ ihren Einsatz. Chapman bekam eine eigene Fernsehshow und trat in eine kremlnahe Jugendorganisation ein.

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