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Politik: „Mit Machtworten geht da nichts“

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble über die Gesundheitsreform, Opern – und Loyalität

Herr Schäuble, die Koalition wirkt ungesund in diesen Tagen.

Da empfehle ich Ihnen den Blick aufs Ganze: Familienpolitik, Außen- und Sicherheitspolitik, Haushaltskonsolidierung: Wir haben schon einiges von dem geschafft, was wir uns vorgenommen haben.

Gesundheitsreform, NPD-Verbot, Unternehmensteuerreform, Erbschaftsteuer, alles kommt nicht.

Also mal langsam. Die Gesundheitsreform macht Schwierigkeiten. Das ist ein dicker Brocken. Aber schließlich lagen Union und SPD hier bei ihren Vorstellungen am weitesten auseinander.

Aber sie haben sich geeinigt – und dann hat die Union die Einigung wieder infrage gestellt. Kann man so regieren?

Ich hatte diese Einigung nicht so verstanden, dass nach dem Spitzengespräch im Juli die Arbeiten am Ende seien. Dort ist eine Linie besprochen worden, an der entlang weitergearbeitet wird.

Eckpunkte gelten nur unter Vorbehalt?

Die Umsetzung in konkrete Rechtsnormen ist etwas anderes. Und obwohl wir ein gutes Verhältnis unter den Innenpolitikern der Koalition haben, müssen auch wir ständig Gespräche führen. Ich versuche dabei immer, ein Klima des Vertrauens zwischen den Parteien, aber auch mit den Ländern zu schaffen. Und ich versuche zu erreichen, dass wir mit Problemen die Öffentlichkeit erst befassen, wenn wir sie gelöst haben.

Der Gesundheitsstreit findet im vollen Scheinwerferlicht statt. Ist er überhaupt noch zu lösen?

Ich habe mit den Einzelheiten nichts zu tun. Aber meine Überzeugung ist: Wir müssen das schnell zu einer Entscheidung bringen. Nach den Regeln der Klugheit, aber auch danach, dass dieses Land eine Regierung verdient, die der Bevölkerung den Eindruck vermittelt, dass die Regierung – nein, nicht alles richtig macht, das kann keine Regierung; aber dass sie vieles besser kann, als viele ihr vorhergesagt haben. Deshalb müssen wir uns rasch abschließend einigen.

Die Kanzlerin sagt: Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Kein Widerspruch?

Damit hat sie genau so recht. Gründlich haben wir nun aber gearbeitet. Jetzt brauchen wir eine Entscheidung. Nächsten Mittwoch soll die Koalitionsrunde diese Entscheidung ja auch treffen.

Sie lassen sich in Ihrer Loyalität zur Bundeskanzlerin nicht übertreffen!

Och, das ist ein edler Wettbewerb! Aber im Ernst: Die Menschen erwarten von den Mitgliedern der Regierung, dass sie nicht ihre persönliche Profilierung im Kopf haben, sondern dass sie sich darauf konzentrieren, das zu tun, was ihre Aufgabe ist: so gut wie möglich das Land zu regieren.

Und wie passen in dieses schöne Bild die Ministerpräsidenten der Union? Muss die Kanzlerin nicht ein Machtwort sprechen?

Sie reden mit dem Verfassungsminister! Als solcher kann ich Ihnen sagen, dass die demokratische Ordnung generell weniger auf Machtworte angelegt ist, sondern auf Diskurs, Wettbewerb, Mehrheitsentscheidungen. Außerdem haben wir eine föderale Ordnung. In der ist jeder Ministerpräsident zunächst den Interessen seines Landes verpflichtet. Mit Machtworten geht da nichts.

Also kann die Kanzlerin ihre Parteifreunde einfach nur nicht richtig überzeugen?

Die Bundeskanzlerin hat gesagt, dass es ihr vor allem anderen um eine richtige Lösung geht. Das ist schwierig. Das Regierungsbündnis ist ja keine Wunschehe. Wir, die Union, haben vor der Wahl für eine völlig andere Gesundheitsreform gekämpft, und die SPD ebenfalls. Wir haben für unsere Vorstellung 35 Prozent der Stimmen bekommen und die SPD für ihre Vorstellung auch ungefähr 35 Prozent. Das heißt, es gibt für die eine wie für die andere Vorstellung keine Mehrheit. Das erschwert den Weg zur Lösung.

Es wäre doch aber bestimmt einfacher, wenn die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende wenigstens ihre eigene Partei geschlossen hinter sich hätte?

Ich will da an die Vorgeschichte erinnern. Wir haben die Kommission unter Vorsitz des früheren Bundespräsidenten Roman Herzog gehabt, die für die CDU ein Modell entwickelt hat. Dann hatten wir gewisse Diskussionen innerhalb der Familie der beiden Unionsparteien. Jetzt sind wir dabei, in der großen Koalition eine Lösung zu finden. Es ist immer ein Stück weit eine Versuchung für diejenigen, die nicht so nah an der Notwendigkeit sind, eine Lösung zustande zu bringen, dass sie stärker die Prinzipien der Partei hochhalten. Daraus kann man aber der Bundeskanzlerin keinen Vorwurf machen.

Dann muss man es den Ministerpräsidenten vorwerfen?

Lassen Sie uns doch einmal ohne Vorwürfe auskommen. Es ist ganz normal, dass etwa der Ministerpräsident von Baden-Württemberg – der im Übrigen einer der loyalsten ist, das ist bei uns Baden- Württembergern allgemein so – in diesem Prozess auf die Interessen seines Landes und seiner Bürger besonders achtet. Daraus ergibt sich dann eine gesunde Auseinandersetzung in der Union. Das ist nicht tragisch.

Es gibt Baden-Württemberger, die sehen das anders. Heiner Geißler etwa.

Es schmerzt mich sehr und ärgert mich auch, dass bei den Bürgern ein völlig falscher Eindruck entsteht. Aus dem Streit über die Gesundheitsreform ein Urteil über die Regierungsfähigkeit dieser Koalition abzuleiten, ist einfach falsch. Und wir würden einen Fehler machen, wenn wir zu lange den Eindruck entstehen ließen, dass es so wäre. Wenn Heiner Geißler das kritisiert, hat er recht. Aber wenn man sich aus eigener Entscheidung aus der Politik zurückgezogen hat, soll man auch ein bisschen darauf achten, dass man nicht zu sehr den Eindruck erweckt, man bereue das.

Sie sagen, der Gesundheitsstreit verdecke die Erfolge. Aber ist es nicht so, dass Ihre Islamkonferenz der größte Erfolg der Regierung seit Wochen war?

Die Islamkonferenz war ein guter Auftakt, das ist wahr. Aber es ist auch ein großer Erfolg , dass die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Ein großer Erfolg ist, dass es mit der Wirtschaft aufwärtsgeht. Dass es die Bundeskanzlerin geschafft hat, eine anfangs 80-prozentige Ablehnung eines deutschen Libanon-Einsatzes in eine breite Zustimmung auch bei der Bevölkerung zu verwandeln – das ist eine große Leistung. Das hat uns hohes Ansehen international verschafft. Das nützt dem Land. Wir sind viel besser, als wir selbst glauben.

Da Sie als Zuständiger für die Polizei das deutschen Engagement in Afghanistan mitverantworten – können Sie uns noch mal erklären, warum wir dort sind?

In Afghanistan beteiligen wir uns an der schwierigen Mission, diesem Land, das einmal Basis für den organisierten Terrorismus war, eine stabile Zukunft zu geben. Es gibt Rückschläge, aber es ist nicht hoffnungslos. Das wird mehr Geld brauchen, für Straßenbau zum Beispiel oder für die Bezahlung der Polizei. Aber wir kämpfen dort für die Sicherheit der Menschen in Deutschland und in Europa. Unser Einsatz ist alternativlos notwendig.

Kein Preis wäre zu hoch?

Man muss immer abwägen. Bis jetzt ist das, was wir und andere in Afghanistan tun, ohne vernünftige Alternative. Es wird noch für eine längere Strecke schwierig bleiben. Und gefährlich. Die Nato führt einen Krieg im Süden Afghanistans. Das ist kein Polizeieinsatz. Das ist ein Krieg. Aber die Nato wird ihn gewinnen.

Warum gehen unsere Soldaten nicht mit in den Süden?

Wir haben den Auftrag übernommen, den Norden zu stabilisieren. Das machen wir sehr gut. Ich bin, als ich gerade in Amerika war, natürlich auf diese Frage angesprochen worden. Ich habe dann immer gesagt: Wir haben eine andere Geschichte. Wir haben einen langen Weg in einer kurzen Zeit zurücklegen müssen. Dass die Bundesrepublik sich mit offensiven Kampfeinsätzen noch schwerer tut als andere, ist Teil dieses Prozesses.

Es gibt einen direkten Zusammenhang dieser Fragen mit der Islamkonferenz. Ist es ein Ziel dieser Konferenz, dass einmal auch die deutschen Muslime sagen, das ist richtig, was wir in Afghanistan machen?

Der Afghanistan-Einsatz ist richtig, unabhängig davon, ob bestimmte Bevölkerungsteile das so sehen. Nun soll und wird sich die Islamkonferenz nicht in erster Linie mit solchen Fragen beschäftigen, sondern mit dem Zusammenleben zwischen Muslimen und nichtmuslimischen Deutschen hier. Aber je besser das gelingt, desto mehr kann es natürlich dazu beitragen, dass radikale Islamisten eine kleine Minderheit bleiben unter den etwa 3,5 Millionen Muslimen in Deutschland.

Müssen die Muslime in Deutschland mehr als bekunden – nämlich beurkunden –, dass sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung akzeptieren?

Es geht nicht um bekunden und beurkunden. Es geht darum, dass es so ist. Ich hatte bei allen, die bei unserer Auftaktveranstaltung dabei waren, nicht den geringsten Zweifel daran. Das Grundgesetz gilt, das ist nicht verhandelbar. Es geht jetzt darum, dass wir es auch umsetzen.

Woran denken Sie da?

Wir haben zum Beispiel darüber gesprochen, dass diejenigen, die zu potenziellen Gefährdern eine größere Nähe haben als, sagen wir, ein Winzer aus dem Ortenau- Kreis, auf bedrohliche Anzeichen achten. Es gab in Deutschland Ende der 70er Jahre eine klammheimliche Sympathie mit einer anderen Form des Terrorismus in Teilen der deutschen Bevölkerung. So etwas soll sich nicht wiederholen. Das ist auch im Interesse der Muslime, weil wir so gemeinsam vermeiden, Muslime in Deutschland unter Generalverdacht zu stellen.

Zum Generalverdacht gehören zwei. Zeigt nicht die Absage der „Idomeneo“-Oper, dass Nichtmuslime inzwischen das größere Problem mit Selbstsicherheit haben?

Ich habe schon in der Patriotismusdebatte gesagt: Wer seiner selbst nicht sicher ist, ist für seine Nachbarn schwer erträglich. So ist es auch im Verhältnis zwischen den Religionen. Natürlich hilft uns die Debatte mit unseren muslimischen Mitbürgern dabei, eigene Defizite zu erkennen.

Alle kritisieren die Absetzung dieser Oper im Namen der Kunstfreiheit. Politiker aus C-Parteien haben bei anderer Gelegenheit aber ebenfalls auf Grenzen gepocht, weil sie ihren Glauben beleidigt sahen.

Ich habe gerade in einem Feuilletonbeitrag gelesen, man solle nicht so schnell beleidigt sein. Die Kunstfreiheit ist ein hohes Gut. Die Kunst kann anstoßen und kann auch beleidigen. Aber es darf nicht sein, dass man Opern nicht mehr aufführen kann aus Angst vor Anschlägen. Dem muss man mit großer Entschiedenheit entgegentreten. Deshalb bin ich auch froh, dass wir in der Islamkonferenz mit ganz großer Einmütigkeit gesagt haben: Wenn wir es organisatorisch hinkriegen, gehen wir da hin und schauen uns das an. Darüber gab es ganz große Einmütigkeit zwischen allen Beteiligten am Tisch.

Nur dass hinterher der Chef des Islamrates gesagt hat, da geht er lieber doch nicht hin .

Das schmälert meine Freude über das Ergebnis nicht. Schließlich ist es auch Teil der Kunstfreiheit, eine bestimmte Aufführung nicht zu besuchen.

Kritik gab es an Ihrer Einladungspolitik zu der Konferenz: zu wenige, die falschen, zu viele Einzelpersonen.

Bei einer begrenzten Teilnehmerzahl ist solche Kritik normal und verständlich. Ich halte die Entscheidung aber für richtig, dass wir neben großen Verbänden auch Menschen eingeladen haben, die in der öffentlichen Debatte ein wichtiges Wort mitreden. Ich habe am Ende der Konferenz gefragt: Machen wir auf dieser Basis jetzt weiter? Es hat niemand einen Einwand erhoben.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum, Stephan-Andreas Casdorff und Stephan Haselberger. DER MENSCH

Wolfgang Schäuble wurde am 18. September 1942 in Freiburg geboren. Er ist evangelisch, verheiratet und hat vier Kinder. Schäuble studierte Rechts- und Wirtschaftswissenschaften.

DER POLITIKER

Seit 34 Jahren ist Schäuble Mitglied des Bundestages. Unter Kohl war er Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes. Sein jetziges Amt hatte er bereits von 1989 bis 1991 inne.

DER FASTKANZLER

Vor Merkel war er Bundesvorsitzender der CDU und hatte alle Chancen auf eine Kanzlerkandidatur. Im Zuge der Spendenaffäre musste er sein Amt und seine Ambitionen aufgeben.

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