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Politik: Mit Mut ins Wespennest

Der Sozialethiker Hengsbach stellt sich an die Seite von Junge-Union-Chef Mißfelder – und widerspricht der Union

Vielleicht sollte die Union noch einmal erörtern, was die tatsächliche Werte-Grundlage ihres Handelns ist. Selten wurden in den C-Parteien die Begriffe „christliches Menschenbild“ und „christliche Soziallehre“ so oft bemüht wie dieser Tage. In Krisenzeiten wollen sich Parteien gerne dessen versichern, was sie im Kern zusammenhält. Aber darüber scheint es nach den umstrittenen Äußerungen des Junge-Union-Vorsitzenden Philipp Mißfelder keinen klaren Konsens mehr zu geben.

Nach dessen Beitrag zur so genannten Generationengerechtigkeit, wonach 85-Jährige künftig keine Hüftgelenke mehr auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen sollen, hatte etwa der CSU-Chef an die katholische Soziallehre erinnert. „Das ist unter aller Sau“, hatte Edmund Stoiber gewettert, dem vor den Landtagswahlen in Bayern ein Rentneraufstand ziemlich ungelegen kommt. „Ich würde Herrn Mißfelder empfehlen, sich erst mal in die Grundzüge der katholischen Soziallehre einzuarbeiten. Dann wird er einen solchen Unsinn nicht mehr von sich geben.“ CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer begründete die Missbilligung von Mißfelders Thesen vor allem „in ethischer Hinsicht“. Und der Chef der Christlich Demokratischen Arbeitnehmer, Hermann-Josef Arentz, tat das Gleiche mit dem Hinweis auf das „christliche Menschenbild der Union“, mit dem Mißfelders Forderung schlicht nicht vereinbar sei. Der Vorsitzende der Senioren-Union der CSU, Gebhard Glück, fordert schließlich sogar den Rücktritt des Jungpolitikers aus christlich-moralischen Gründen: „Von seiner Grundeinstellung her gehört Mißfelder nicht mehr zur Union.“

Vordergründig sind sich die Wichtigen in der Union also einig in der Ablehnung – auch wenn jemand wie Laurenz Meyer nie selbst gefragt wurde, was er denn konkret unter dem christlichen Menschenbild versteht. Aber dann gibt es außer Mißfelder und seinen jungen Verbündeten auch noch andere, die die radikal klingenden Thesen keineswegs als unchristlich bewerten.

Ausgerechnet der christliche Sozialethiker Friedhelm Hengsbach ist den jungen Wilden nun beigesprungen, um sie gegen den Vorwurf der Unchristlichkeit zu verteidigen. „Die Grundidee ist gut“, sagt Hengsbach zur Forderung nach Leistungskürzungen. Allerdings, schränkt Hengsbach ein, dürften Gesundheitsleistungen nicht alleine aus Altersgründen rationalisiert werden. Auch andere Kriterien wie Lebensführung und die jeweilige Lebenserwartung müssten bei den Kürzungsplänen berücksichtigt werden. Insgesamt aber hat sich Hengsbach, der das Oswald-von-Nell-Breuning-Institut leitet und als führender Denker der christlichen Soziallehre gilt, über die „mutigen“ Thesen des Jungkonservativen ziemlich gefreut. „Das war ein richtiger Stich ins Wespennest.“

Anders als Stoiber, Meyer und die immer noch bewusst schweigende Angela Merkel wertet Hengsbach die Äußerungen Mißfelders keineswegs als „Unsinn“ . Auch den Hinweis auf katholische Soziallehre und evangelische Sozialethik hält der Ethiker für unangemessen. „Keine Ethik kann sich der Frage entziehen, wie bei knappen Mitteln das Geld eingesetzt wird“, sagt er. De facto werde ja bereits heute bei den Leistungen rationalisiert, nur liege das im Ermessen der Ärzte. Die Union und die Gesellschaft insgesamt sollten sich darüber mal ihre Gedanken machen, statt Mißfelder kollektiv zu verteufeln. Für dessen Anstoß einer Debatte über Gesundheitsziele jedenfalls „kann man ihm nur dankbar sein“, findet Hengsbach.

Markus Feldenkirchen

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