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Politik: Mit neuem Atem

Von Tissy Bruns

Zwei Jahre sind vergangen seit der letzten, zwei dauert es noch bis zur nächsten Bundestagswahl. Immerhin: Schröders Regierung hat es bis zur Halbzeit geschafft, woran nicht jeder jederzeit geglaubt hat. Schon finden sich die ersten Übermütigen, die im Oktober 2004 nach sechs rotgrünen Jahren nur die erste Hälfte einer lang währenden Epoche erreicht sehen. Die Grünen glänzen sowieso, die Kanzlerwerte ziehen mächtig an, sogar die SPD erholt sich.

Ein Einschnitt für das Regierungsbündnis ist der Herbst 2004 ganz unabhängig davon, wie viele Jahre noch folgen werden. Rot-Grün hat vor anderthalb Jahren gefunden, wonach seine Akteure nicht meinten suchen zu müssen: das Projekt, das aus den irrlichternden rot-grünen Jahren vielleicht doch noch so etwas wie eine Epoche machen könnte. Es heißt: Reform des Sozialstaats. Erst nach diesem bewegten Herbst steht fest, dass von diesem Weg nicht mehr gewichen wird. Weil diese Regierung den Deutschen zudem klar gemacht hat, dass der Krieg als letztes Mittel der Politik nicht ausgedient und der Welt demonstriert hat, dass die Deutschen nicht in jeden Krieg ziehen, kann man sagen: Rot-Grün hat dieses Land verändert.

Nicht wenig für eine politische Führungsriege, die eigentlich glaubte, ihre bloße Anwesenheit auf den Regierungsbänken sei schon Projekt genug, die zu ihrem Kurs spät und nur unter Zwang gefunden hat. Aber überhaupt kein Grund zum Übermut. Denn die Krise, die zur Freude der SPD unvermutet die Union gepackt hat, ist nur ein weiterer Beleg dafür, dass ein gewaltiger Veränderungsdruck auch auf dem politischen Gefüge lastet. Vor allem auf den Volksparteien, die neuerdings Zumutungen verteilen müssen.

Die rot-grüne Zukunft hängt deshalb an der SPD. Nach dem Tiefpunkt bei der Europawahl, dem Fegefeuer von Protestaufschrei und Montagsdemonstration, hat sie zwei Gründe zum Aufatmen. Sie heißen Schröder und CDU. Der Bundeskanzler hat es nach der Europawahl geschafft, ein neues Bild von sich zu zeichnen, mit dem niemand gerechnet hat: das des beständigen Politikers, der aus Überzeugung und unabhängig von scharfem Gegenwind für seine Sache einsteht. Da lohnt immerhin die Frage, ob an der Sache nicht was dran ist. Die CDU wiederum hat in der SPD den alten Kampfgeist wachgeküsst, der in den Wahlkämpfen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen unentbehrlich sein wird.

Mehr aber auch nicht. Der gigantische Vertrauensverlust, den die SPD wegen der Agenda 2010, wegen Hartz IV in ihrer Stammwählerschaft erlitten hat, ist nicht wettgemacht. Wahrscheinlich wird die SPD ihn hinnehmen müssen, weil es im Reformprozess Verlierer geben wird. Allenfalls kann das verlorene Vertrauen durch neu gewonnenes aufgewogen werden, wenn sich erweist: Die Reformen nützen Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt bisher keine Chancen hatten. Schröders Atempause im Reformprozess, die den Menschen Zeit für die praktische Erfahrung mit Hartz IV schaffen soll, ist deshalb einleuchtend. Und riskant. Es können ja sehr schlechte Erfahrungen sein, die angesichts der mageren Wachstumsaussichten 2005 gemacht werden. Und kann Schröder dann nichts nachlegen, dann wird das neue Bild vom standhaften Kanzler schnell wieder verblassen. Denn wer keine Sache hat, für die er steht, der gerät in den alten Verdacht, er kämpfe doch nur für sich selbst.

Es ist höchstens ein vorsichtiges Abwarten, das die potenziellen Wähler der SPD den Reformen entgegenbringen. Überzeugt sind gerade die engeren Anhänger davon nicht; sie beugen sich dem Sachzwang und schicken sich ins Unvermeidliche, wegen der Staatsfinanzen oder der demografischen Krise. Und viele halten Rentenkürzungen und Praxisgebühr unverändert für einen Verrat an sozialdemokratischen Grundsätzen, der nur deshalb zu ertragen ist, weil von der Union das größere Übel droht. Ein sehr dünnes Eis. Wer darauf tanzen geht, muss schon ein ganz und gar übermütiger Esel sein.

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