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Mit Restrisiko: Länder und Opposition klagen gegen längere Akw-Laufzeiten

Als Spätfolge des von der Regierung im vergangenen Jahr ausgerufenen "Herbstes der Entscheidungen" muss sich nun das Bundesverfassungsgericht mit der Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke beschäftigen.

Berlin - Am Montag legten fünf Bundesländer sowie die Oppositionsparteien SPD und Grüne ihre Normenkontrollklagen gegen die Gesetze vor.

Den Ländern geht es nach den Worten der Berliner Umweltsenatorin Karin Lompscher (Linke) darum, „dass die Verfassung eingehalten wird“. Unter Federführung des Landes Rheinland-Pfalz unterstützen neben Berlin auch das ebenfalls rot-rot regierte Brandenburg sowie die rot-grün regierten Länder Nordrhein-Westfalen und Bremen die Normenkontrollklage gegen die 11. Atomnovelle. Die Länder argumentieren, dass der Bundesrat dem Gesetz hätte zustimmen müssen, weil die Atomaufsicht von den Ländern im Auftrag des Bundes erledigt wird. Der rheinland-pfälzische Bundesratsbevollmächtigte Karl-Heinz Klär (SPD) sagte, dass die Atomaufsicht nicht nur zeitlich verlängert werde, sondern wegen der alternden Meiler auch „ganz neue Aufgaben“ zu erledigen seien. Reinhard Loske, grüner Umweltsenator in Bremen, sieht seine Stadt „umzingelt“ von sechs Atomkraftwerken, davon zwei sehr alten. Die Länder hätten wegen der Laufzeitverlängerung viel länger „erheblichen Sicherungsaufwand für Atomtransporte“ zu leisten, sagte er.

Die Fraktionschefs von SPD und Grünen im Bundestag, Frank-Walter Steinmeier und Jürgen Trittin, wollen nicht nur die Nicht-Beteiligung des Bundesrats vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen, sondern auch das in der 12. Atomnovelle im Paragrafen 7d beschriebene „neue Sicherheitsniveau“. Die grüne Fraktionsvize Bärbel Höhn hält den neuen Paragrafen 7d für eine Senkung des Schutzniveaus. Hartmut Gassner, der die Klage für die Abgeordneten vertritt, sieht das genauso. Bisher habe gegolten, dass die „bestmögliche Vorsorge“ für Mensch und Umwelt garantiert werden musste. Die Anlagen sollten auf dem jeweils aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik gehalten werden. Dem Argument von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU), dass mit dem Paragrafen, der eine „weitere Betreibervorsorge“ vorsieht, ein höheres Schutzniveau erreicht werden solle, hält Gassner entgegen: „Was soll denn auf die bestmögliche Vorsorge noch aufgesetzt werden?“ Aus seiner Sicht dient der neue Paragraf 7d dazu, ein „neues Schutzniveau für Altanlagen“ zu definieren. Denn mit dem Atomausstieg 2002 sei festgestellt worden, dass die alten Anlagen eben nicht auf dem Stand von Wissenschaft und Technik zu halten sein würden.

Ähnlich wie SPD und Grüne argumentieren die Anwälte von Greenpeace und neun Anwohnern der ältesten deutschen Atomkraftwerke. Die Kläger hatten teilweise direkt nach dem 11. September 2001 den Widerruf der Betriebsgenehmigung für die Meiler Brunsbüttel, Neckarwestheim 1, Biblis A und B, Krümmel sowie Philippsburg 1 verlangt, weil keines dieser alten Atomkraftwerke über einen Schutz vor Flugzeugabstürzen verfügt. Die Klagen zogen sich jahrelang hin, weil die Anwälte der Kläger von den Betreibern kaum eine Information freiwillig bekamen. Sie mussten sich jede Akteneinsicht erklagen. Allerdings stellte das Bundesverwaltungsgericht im Urteil zum Zwischenlager Brunsbüttel fest, dass die Vorsorge gegen Terroranschläge nicht mehr dem „hinzunehmenden Restrisiko“ zuzuordnen sei. Damit wären Anwohnerklagen auf Nachrüstung gegen Terroranschläge ausdrücklich zulässig – ließen sich aber nicht beschleunigen. Mit dem Paragrafen 7d solle dieses Klagerecht abgeschafft werden, meint Greenpeace.

Die Greenpeace-Klage ist vom 1. Senat (Grundrechte) des Karlsruher Gerichts angenommen worden. Ob die Länderklage, die eher dem 2. Senat (Staatsorganisationsrecht) zuzuordnen wäre, mit den beiden anderen Klagen zusammengefasst wird, oder ob sich beide Senate des Bundesverfassungsgerichts mit der Laufzeitverlängerung befassen werden, ist offen. Klar ist nur, dass es Jahre dauern kann, bis die Klagen entschieden sind. Doch wenn das Gericht zum Schluss käme, dass die Atomnovellen grundgesetzwidrig zustande gekommen sind, müssten die alten Atomkraftwerke sofort stillgelegt werden.

Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, die Frage, ob der Bundesrat hätte zustimmen müssen, sei intensiv geprüft worden. Man sei zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Beschluss ohne Zustimmung der Länderkammer möglich sei.

Das gleichzeitig mit den Atomnovellen beschlossene „Sondervermögen Energie- und Klimafonds“ erweist sich derweil als weniger lukrativ als erwartet. Die Betreiber der Atomkraftwerke sollen für die Jahre 2011 und 2012 rund 300 Millionen Euro in den Fonds einzahlen. Noch im Oktober rechnete das Bundesumweltministerium mit 40 Millionen Euro für das Jahr 2011, die in die Forschung und Entwicklung von erneuerbaren Energien fließen sollten. Diese Zahl nannte eine Ministeriumsvertreterin bei der Jahrestagung des Forschungsverbunds Erneuerbare Energien. Nun zeichnet sich nach Informationen des Tagesspiegels ab, dass für die gesamte Energieforschung 2011 lediglich 68 Millionen Euro vorgesehen sind und nur 18 Millionen Euro an das Umweltministerium fließen sollen. mit dapd

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