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Politik: Mit Tempo in die Kurve

Der Kanzler will die Sozialsysteme umbauen so rasch es geht – bevor sich die eigenen Genossen so richtig erheben

In der SPD gibt es dieser Tage zwei Wahrheiten. Glaubt man dem Parteivorsitzenden Gerhard Schröder, dann steht sein jüngstes Reformpaket auf einem hohen demokratischen Sockel. In der Geschichte der Republik habe es „selten eine größere Legitimationsbasis“ für ein Reformwerk gegeben, frohlockt der Kanzler am Mittwoch. Schließlich habe bereits das SPD-Präsidium einstimmig und der größere Parteivorstand mit nur vier Gegenstimmen für seine „Agenda 2010“ votiert. Zudem solle es Ende April vier Regionalkonferenzen der SPD geben, bei denen er die Inhalte seiner Agenda selbst erläutern wolle. Wo ist also das Problem?

„Was Schröder mit uns macht, ist Volksverdummung und hochgefährlich für die Partei“, wettert einer aus dem SPD-Vorstand und glaubt, damit das Unbehagen vieler Genossen zu artikulieren. Nicht nur einzelne Reformpläne, sondern auch das einigen autoritär vorkommende Verfahren sorgt für Aufregung in der SPD. „Man darf keine Politik per Dekret machen“, klagt Juso-Chef Niels Annen. Genau dies sei aber geplant. Schröders Umgang mit der Partei nach dem Motto „Friss oder stirb“ sei „hochproblematisch“ und „wenig demokratisch“. Der Kanzler stelle die Partei vor die Frage: „Stützt ihr euren Vorsitzenden oder nicht?“ Einigen Punkten könne die Partei aber gar nicht zustimmen, weil Schröder einen „mehrfachen Bruch von Parteitagsbeschlüssen und Wahlversprechen“ vorhabe, sagt Annen. In der Tat hatte etwa der Nürnberger Parteitag im Herbst 2001 beschlossen, dass die Arbeitslosenhilfe nicht auf Sozialhilfeniveau sinken dürfe, wie nun geplant. Annen warnt, dass Schröder die Loyalität der SPD zu ihm nicht mit der Zustimmung zu seinen Reformen verwechseln dürfe. „Bei diesem Vorgehen erwarte ich erhebliche Kritik von der Basis“.

Noch gefährlicher für Schröder könnte aber der bereits angekündigte Widerstand aus der eigenen Fraktion werden. „Es wird ein definitives Nein etlicher Abgeordneter gegen einige Eckpunkte des Kanzlers geben“, prophezeit etwa der bayerische SPD-Parlamentarier Hans Büttner. Sechs bis acht Abgeordnete hätten sich jetzt schon festgelegt, „genügend, um eine eigene Mehrheit zu verhindern“. So könnten etwa die Änderungen beim Kündigungsschutz „so nicht stehen bleiben“. Auch bei der verkürzten Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes wollten er und Kollegen nicht mitmachen, sagt Büttner. „Ich bin überzeugt, dass wir am Ende bei der jetzigen Regelung bleiben werden.“ Ein untragbarer Eckpunkt sei auch die Absenkung des Arbeitslosengeldes auf die Höhe der Sozialhilfe. „Hier wird die Regierung die größten Probleme mit uns bekommen“, sagt der Sozialpolitiker. Auch die Privatisierung des Krankengeldes werde so nicht durchgehen, weil sie „den Einstieg in die Abschaffung der Lohnfortzahlung“ bedeutete.

Der Kanzler will sich von dieser Kritik jedoch nicht stoppen lassen und so schnell wie möglich Reformfakten schaffen. Bis zur Sommerpause sollen zu allen Änderungen in den Bereichen Gesundheit, Arbeitsmarkt und Gemeindefinanzen Gesetze vorliegen. Von 30 Vorhaben seien 24 bereits so weit entwickelt, dass der Zeitplan bis zur Sommerpause eingehalten werden könne, verkündet Schröder nach einer Sitzung seines Kabinetts. Und auch die restlichen sechs Projekte, für die man noch die Arbeit der Rürup-Kommission zur Erneuerung der Sozialsysteme abwarten muss, sollen vor den Sommerferien fertig sein. Deshalb muss das Experten-Gremium sein Arbeitstempo noch einmal beschleunigen. An den Professoren soll die Reform im Temporausch also nicht scheitern. Die wahre Gefahr sind die eigenen Genossen.

Markus Feldenkirchen

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