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Politik: Mit vertauschten Rollen

Gipfeltreffen in Madrid: Die Euro-Zone kriselt – Lateinamerika boomt

Wie sich die Zeiten ändern: Wenn sich an diesem Dienstag und Mittwoch Europas und Lateinamerikas Staats- und Regierungschefs in Madrid zum sechsten Gipfel treffen, wird die Krise in der Euro-Zone das bestimmende Thema sein – während die ehemaligen Kolonien in Süd- und Mittelamerika mit neuer wirtschaftlicher Stärke auftrumpfen. In diesem Jahr dürfen sie nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) ein durchschnittliches Wachstum von vier Prozent erwarten. „Wir können der Motor für die wirtschaftliche Entwicklung Europas sein“, sagte Mexikos Außenministerin Patricia Espinosa selbstbewusst vor ihrem Abflug am Sonntag. Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva stellte dem IWF sogar 286 Millionen Dollar für den Rettungsfonds für Griechenland zur Verfügung.

Da aber im Zuge der Euro-Krise auch die Börsen des südamerikanischen Giganten in Mitleidenschaft gezogen wurden, könnte dem Brasilianer durchaus wieder ein süffisanter Seitenhieb auf die „verantwortungslosen blonden Männer mit blauen Augen“ herausrutschen, wie vor anderthalb Jahren anlässlich der von den USA ausgelösten, weltweiten Finanzkrise.

Wie stark sich Lateinamerika fühlt, wurde schon im Vorfeld klar. Die Europäer hatten ursprünglich auch Honduras’ neu gewählten Präsidenten Porfirio Lobo eingeladen, um die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Mittelamerika krönend abzuschließen. Doch Honduras ist für die meisten Staaten Lateinamerikas wegen des Putsches im vergangenen Juni weiter ein Paria. Sollte Lobo nach Madrid reisen, werde Südamerika dem Gipfel fernbleiben, drohten Lula und die Präsidenten aus Ekuador, Bolivien und Venezuela – und die EU gab nach. Lobo kommt nun nur zu einer Sitzung der EU mit Mittelamerika am Mittwoch.

Ob das Freihandelsabkommen mit Mittelamerika unterzeichnet werden kann, ist freilich ungewiss: Wenige Tage vor dem Gipfel meldete sich El Salvadors Präsident Mauricio Funes mit Einwänden. Wenn in dem Abkommen nicht die Asymmetrie der Volkswirtschaften anerkannt werde, verweigere er seine Unterschrift, drohte er. „Die Produkte der EU sind hoch subventioniert, das ist ein klarer Wettbewerbsnachteil für uns, der anerkannt werden muss“, sagte Funes. Differenzen zwischen beiden Seiten gibt es unter anderem noch bei den Quoten für Landwirtschaftsprodukte und den Herkunftsbezeichungen für Textilien.

Abgespeckt kommt auch das Abkommen mit den Andenländern daher, das in Madrid unterzeichnet werden soll: Von den ursprünglich fünf Partnerländern blieben nur noch Peru und Kolumbien übrig.

Fraglich ist auch, ob die seit 2004 stockenden Verhandlungen mit dem Mercosur (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) wieder in Gang kommen. Brasilien ist nicht bereit, den Agrarprotektionismus der EU hinzunehmen, und die Argentinier haben gerade erst Importbeschränkungen für Lebensmittel verhängt, die unter anderen die EU treffen. Immerhin entschied die EU am Montag in Madrid bei einem gemeinsamen Treffen mit dem Mercosur, die Vertragsverhandlungen wieder aufzunehmen.

Auch in Sachen Drogenbekämpfung könnten auf die Europäer unangenehme Momente zukommen. Nachdem die USA ihren seit 40 Jahren andauernden Drogenkrieg offiziell beendeten und durch eine neue, integrale Strategie ersetzten, die mehr Wert legt auf Konsumdämmung und Prävention, erhoffen sich die Lateinamerikaner ähnliche Schritte von der Europäischen Union. Kolumbiens Vizepräsident Francisco Santos sagte, er erwarte nun ernsthafte Anstrengungen zur Minderung des Konsums von Europa, dem „am schnellsten wachsenden Absatzmarkt für Kokain“.

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