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Politik: Mitgewusst, mitgefangen

Von Malte Lehming

Die Affäre um geheime Flüge der Amerikaner über Europa ist ein Symptom. Sie belegt, wie tief viele Europäer der gegenwärtigen US-Regierung misstrauen. Gewinnen kann Washington die Herzen seiner engsten Verbündeten nicht mehr. Das ist bitter, aber nicht unverschuldet. Guantanamo und Abu Ghraib markieren die Sündenfälle. Von da an ging’s bergab, wann der jüngste Skandal begann, ist unklar.

Der US-Auslandsgeheimdienst CIA nutzt Flughäfen in Europa für Zwischenlandungen. Das weiß man, es ist legal. Passagierlisten liegen nicht vor. Terrorverdächtige haben ausgesagt, von der CIA zu Geheimgefängnissen geflogen worden zu sein. Die Existenz solcher Gefängnisse wird von den USA weder bestätigt noch dementiert. Man darf annehmen, dass es sie gibt. Die Inhaftierten behaupten, gefoltert worden zu sein. Die US-Regierung versichert, weder selbst zu foltern noch foltern zu lassen. Allerdings hat sie eine sehr viel engere Definition von Folter als die Europäer.

Deutschland als Drehscheibe für US-Folterflüge: Dieser Vorwurf belastet nun den geplanten Neuanfang der transatlantischen Beziehungen. Die Merkel-Regierung wurde davon kalt erwischt. Statt frühzeitig Vernunft in die Debatte zu bringen, schlüpfte sie zunächst in die Rolle des Anklägers. Statt zuzugestehen, dass der Kampf gegen den Terrorismus natürlich auch mit geheimdienstlichen Mitteln geführt werden muss, nährte sie den Eindruck, CIA-Flüge an sich seien unmoralisch. Statt einzuräumen, dass die eigenen Geheimdienste erheblich von Informationen der CIA profitieren, spielte sie die Unschuld vom Land.

Das rächt sich jetzt. Oder, anders gesagt, die US-Regierung rächt sich. Unmittelbar vor dem Besuch von Condoleezza Rice wurde das Gerücht verbreitet, Ex-Innenminister Otto Schily sei über einen besonders brisanten Entführungsfall informiert worden. Mitgewusst, mitgehangen, mitgefangen – um sich selbst zu entlasten, wird die Gegenseite in den Verdächtigungsstrudel hineingezogen. Das könnte so weitergehen, mit verheerenden Folgen. Denn selbstverständlich wissen auch andere Protagonisten der Schröder/Fischer-Regierung mehr, als sie je zugegeben haben, möglicherweise sogar Personen, die in der neuen Regierung Verantwortung tragen. Darin steckt eine große Gefahr. Trotz der transatlantischen Dissonanzen im Vorfeld des Irakkrieges haben die Geheimdienste stets gut zusammengearbeitet. Hinter den Kulissen wurde der Terror oft wirksamer bekämpft als in Kabul oder Bagdad. Sollte der Streit über die CIA-Flüge eskalieren, könnte diese Zusammenarbeit leiden, zum Nachteil aller. Der Erregungspegel muss gesenkt werden – ohne sich zum Vertuschungskomplizen zu machen.

Notwendig ist aber vor allem, dass Deutsche und Europäer jene Debatte führen, die das Fundament des Konflikts bildet: Wie sollen Terroristen behandelt werden – als gewöhnliche Kriminelle, Kriegsgefangene oder etwas Drittes? In Amerika tobt der Streit darum seit „Nine-Eleven“. Meist siegte die Devise, der Zweck heiligt die Mittel. Diese Einstellung führte zu Guantanamo und Abu Ghraib. Europa war zu Recht empört. Doch die Moral ist das eine, Terrorabwehr das andere. Sind die Genfer Konventionen unsere einzige Richtschnur, wenn ein Anschlag vereitelt werden soll? Die US-Regierung hat es wahrlich verdient, kritisiert zu werden. Aber aufs hohe Ross zu klettern und gleichzeitig Nutznießer ihrer Methoden bleiben zu wollen, ist wohlfeil.

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