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Politik: „Mitten im Begründungsloch“

Viele in der SPD fürchten, mit den Reformen das Image einer gerechten und sozialen Partei zu verspielen

Von Antje Sirleschtov

Dass sie einen stürmischen Herbst vor sich haben, davon sprachen die Abgeordneten der SPD-Bundestagsfraktion schon, als sie sich vor sieben Wochen in den Sommerurlaub verabschiedeten. Schließlich stehen mit dem Beginn der nächsten Woche in Berlin parlamentarische Beratungen über eine ganze Hand voll Gesetze an, deren Folgen für die Bürger und Unternehmen in jedem Einzelfall gravierend sind.

Dass dieser September aber so richtig frostig werden wird, das ahnen die Fraktionäre erst jetzt, wo es in ihren Wahlkreisen ans Kofferpacken geht. Und anders als in früheren Zeiten, in denen der Streit um diese oder jene Entscheidung ihrer Regierung am Ende immer glimpflich ausging, wollen die Fraktionsmitglieder jetzt mit ihrem Unmut auch nicht mehr hinter dem Berg halten. Und zwar sowohl die, die man eher dem linken – gerechtigkeitsverliebten – Flügel der Fraktion zugeordnet hat, als auch die so genannten Modernisierer.

„Nicht ganz leicht“, sagt etwa der Wirtschaftsexperte Rainer Wend aus Bielefeld zurückhaltend, wenn man ihn fragt, ob all das, was auf die Bürger zukommt, von der Praxisgebühr über die Pendlerpauschale bis hin zum Arbeitslosengeld II auf Sozialhilfeniveau, von den Sozialdemokraten überhaupt noch als sozial ausgewogen verkauft werden kann. Zumal die Kommunen diese Bundesregierung ja mittlerweile offen als Handlanger des Großkapitals bezeichnen, und das auch noch mit Zahlen untermauern können.

Andere werden deutlicher. Von „Sauerei“ ist die Rede, und davon, dass die Regierung im Sommer trotz aller Warnungen leichtfertig das bisschen Vertrauen in der Öffentlichkeit verspielt hat, das der Kanzler mit seiner Agenda-Rede im Frühjahr selbst begründet und das das Kabinett in Neuhardenberg mit der Steuerentlastung gefestigt hatte. Wie ihr das gelungen ist? Der Kanzler hat sich Anfang August von Wirtschaftsminister Wolfgang Clement zu einer Gewerbesteuerreform überreden lassen, die sich jetzt, da sie Finanzminister Hans Eichel in einen Gesetzentwurf gegossen hat, als reine Belastung des kleinen Mittelstandes und Minusgeschäft für die Städte herauszustellen scheint. Im Haushaltsbegleitgesetz legte sich Eichel zudem bei der Senkung der Pendlerpauschale fest, obwohl es klare Absprachen gab, die konkreten Kürzungen zur Finanzierung der Steuerreform erst im Herbst in den Fraktionen zu klären. Und Ulla Schmidt, die Gesundheitsministerin, verhandelt mit der Union ein Kompromisspapier und gibt gleichzeitig zu, dass das erst ein kleiner Anfang ist. „Wir sind mitten in einem Begründungsloch“, stellt Fraktionsvize Michael Müller frustriert fest. Er ahnt schon, dass sich all die vielen kleinen Kürzungen und Streichungen, die jede für sich notwendig und begründbar seien, am Ende hinter dem Schlagwort „unsozial und ungerecht“ versammeln werden. Und sich zu einem einzigen großen Beweis für das Scheitern der Agenda 2010 aufbauschen. Schlimmer noch: Wenn die SPD in diesem Herbst noch dazu aufgerufen wird, sich im Programm von traditionellen Begriffen wie dem „demokratischen Sozialismus“ zu verabschieden, wird es dem politischen Gegner leicht fallen, der SPD nicht nur die wirtschafts- und arbeitsmarkpolitische Kompetenz abzusprechen, sondern auch ihre soziale Substanz, fürchten viele – unter den Linken wie auch den Modernisierern.

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