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Politik: Mittenmang und obenauf

Von Gerd Appenzeller

Wer glaubt, die exzentrischsten Typen und internationalsten Figuren dieser Stadt träfe man in der Nationalgalerie, rund um die Hackeschen Höfe oder auf dem Kurfürstendamm, der irrt. Wer Berlin in seiner ganzen Vielfalt, in seiner kleinbürgerlichen Normalität genauso wie in seinem blasierten Wohlstand sehen will, wen der Tourist aus Klein-Kleckersdorf nicht stört und wer den ganzen Wirbel orientalischen Temperamentes erleben will, der muss ins KaDeWe. Dieses Kaufhaus ist so elitär wie bodenständig, hoch-exklusiv, sündhaft teuer und auch günstig, eine immer sprudelnde, glitzernde Warenquelle. Dieses Kaufhaus ist so typisch für Berlin wie der Funkturm und das Brandenburger Tor, wie Hilde Knef und Harald Juhnke. Und jetzt wird es 100.

Ha! wird jetzt der eine oder andere Leser aufschreien, da meldet sich mal wieder das alte West-Berlin, das es nicht mehr gibt. Das stimmt – und liegt doch völlig schief. Es stimmt, weil sich an das KaDeWe natürlich viele typisch West- Berliner Erinnerungen knüpfen. Die Wiedereröffnung im Sommer 1950, zu der 180 000 Menschen kamen. Oder die in märchenhafte Guckkastenbühnen verwandelten großen Schaufenster während der Vorweihnachtszeit, an denen sich Tausende von Kindern die Nasen platt drückten; Kinder, von denen die meisten zu Hause kaum viel Spielzeug besaßen. Aber in all dem steckt nichts Beschränktes, auf sich selbst Fixiertes, sondern die große Strahlkraft der Idee einer freien Welt.

Gerade im Ostteil der Stadt und in der DDR wurde das KaDeWe als Leuchtturm, als Versprechen einer fernen, aber vielleicht doch nicht unerreichbaren besseren Zeit empfunden. Dort gab es all das im Überfluss, was die Mangelwirtschaft des Sozialismus nicht bieten konnte. Gerade darum war ja, als die Mauer noch nicht stand, das Kaufhaus am Wittenbergplatz ein magischer Anziehungspunkt für die Berliner aus der Osthälfte der Stadt. Und dass man in der Vorweihnachtszeit dort West-Schokolade zum Kurs 1 : 1, Ostmark gegen Westmark, einkaufen konnte, war wie eine kleine Anzahlung auf das Einlösen der stillen Hoffnung, dass die Insel wieder Teil eines großen Festlands wird, wie das politische Kabarett „Die Insulaner“ im Sender Rias Woche für Woche sang.

Bei seiner Gründung im Jahr 1907 war es tatsächlich rein geografisch ein „Kaufhaus des Westens“. Aber nach 1949 wurde der Begriff zum Politikum. Und während aus Angst vor dem Berlin-Ultimatum Chruschtschows und in der Sorge, wichtige Aufträge aus dem Rüstungsbereich zu verlieren, renommierte Unternehmen wie Siemens ihre Zentralen abzogen und die Stadt wirtschaftlich auszubluten drohte, wuchs und gedieh das KaDeWe. Sein Ruf sprach sich in ganz Deutschland herum: Hier bekommt man, was man sonst nirgends findet. Zu Zeiten, in denen Fernreisen allenfalls in Form von Expeditionen stattfanden, konnte man sicher sein, in diesem Kaufhaus auch im Juli warme Jacken und im Dezember Shorts kaufen zu können. Der samstägliche Touristentreff in der Feinschmeckeretage gehörte bald zum festen Berlinbesuchsprogramm wie die Visite am Reichstag und der Blick auf die Mauer am Potsdamer Platz. Die Botschaft des KaDeWe an die Welt: Wir leben noch, und wie.

Die Zeiten haben sich geändert, die Stadt ist, wird wieder eins und für Menschen aus aller Welt ein Magnet, stärker denn je. Das KaDeWe erfindet sich gerade wieder einmal neu, so fantasievoll, wie man in der schillernden Welt der renommierten Warenhäuser sein muss, wenn man ganz oben mitmischen will. Aber manches bleibt doch, wie es immer war. Zum Beispiel im sechsten Stock. Ganz unauffällig, zwischen dem französischen Rotwein für 495 Euro die Flasche und den zartesten First-flush-Teeblattspitzen aus dem Hochland am Himalaja, stehen einige Kühlregale mit Säften, Joghurt und Milch, ein Sortiment Tütensuppen und Alltagskram, kurz: alles das, was die Hausfrau von ihrem Lebensmittelhändler um die Ecke erwartet. Denn Kiezkaufhaus für die Welt rund um den Wittenbergplatz will das KaDeWe schon bleiben. So viel Luxus muss sein.

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