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Politik: Mobil und flexibel - trotz Kindern. Junge Deutsche sind bereit, sich dem Wettbewerb zu stellen - aber nicht auf Kosten der Familie (Kommentar)

Wie ist Deutschland auf die Globalisierung vorbereitet, ist die Gesellschaft bereit, sich auf internationalen Wettbewerb einzulassen? Erkennt das Land darin eine Chance oder setzen sich die Bedenkenträger durch?

Wie ist Deutschland auf die Globalisierung vorbereitet, ist die Gesellschaft bereit, sich auf internationalen Wettbewerb einzulassen? Erkennt das Land darin eine Chance oder setzen sich die Bedenkenträger durch? Welche Veränderungen kommen auf die Bundesrepublik zu und welche Risiken? In einer gemeinsamen Serie mit DeutschlandRadio Berlin gehen prominente Autoren dieser Frage nach. DeutschlandRadio Berlin sendet die Beiträge jeweils am Sonntag um 12 Uhr 20 (UKW 89,6) in der Reihe "Signale - Gedanken zur Zeit".

In keiner Rede fehlt heute der Hinweis, dass wir alle flexibler und mobiler werden müssen. Nur der "flexible Mensch" werde den Herausforderungen am Beginn des 21. Jahrhunderts gerecht. Globalisierung meint nicht nur die Beschleunigung und Internationalisierung von Entwicklung. Sie verlangt auch eine besondere Beweglichkeit, sich auf mehrere Berufe im Laufe eines Lebens einzustellen, lebenslang zu lernen und mit immer Neuem fertig zu werden. Sie verlangt die Bereitschaft zu häufigerem Ortswechsel und ist mit der Erwartung verbunden, dass diejenigen, die erwerbstätig sind, so oft wie möglich verfügbar bleiben.

Solche Mobilität ist anstrengend - besonders für diejenigen, die mit Kindern leben. Das aber ist der Wunsch der allermeisten Menschen. Das gilt auch für Jugendliche, wie aus der jüngsten Shell-Jugendstudie deutlich wird. Die Familie hat in der Werteskala junger Menschen einen hohen Stellenwert: Familie als Ort der Partnerschaft und des Zusammenlebens mit Kindern; Familie als Raum für Verlässlichkeit, Treue und Beständigkeit. Über die Hälfte der befragten Jugendlichen wollen zwei Kinder. Jugendliche möchten Familie gründen. Das sehen sie nicht anders als ihre Eltern und Großeltern. Das entspricht einem generationenübergreifenden Konsens in unserer Gesellschaft. Die Vielfalt familialer Lebensformen, die geringere Kinderzahl im Vergleich zur Generation der Großeltern, die schon bei den Eltern erlebten Schwierigkeiten in der Vereinbarkeit zwischen Familie und Erwerbsarbeit und die hohen Scheidungsziffern ändern nichts an diesem Konsens. Und klar ist für die jetzt junge Generation: Familien- und Berufsorientierung sind keine alternativen Optionen, sie will beides miteinander vereinbaren. Dabei tun sich Spannungen und Widersprüche auf. Diese Lasten dürfen nicht einfach privatisiert werden. Zu den typischen Merkmalen der Industriekultur des 20. Jahrhunderts gehörte die nahezu vollständige Trennung von Familie und Arbeitswelt. Das war eine wichtige Voraussetzung für die enorme Wohlstandsentwicklung in den letzten 50 Jahren. Niemand will dahinter zurück. Aber damit einher gingen zunehmende Belastungen für die Familien. Der Soziologe Franz Xaver Kaufmann hat schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass die Teilhabe an der Wohlstandsentwicklung höchst unterschiedlich verteilt ist zwischen Paaren mit Kindern und solchen ohne Kindern - zugunsten der Kinderlosen.

Am Beginn des 21. Jahrhunderts spitzen sich die Konflikte noch einmal zu: Manchmal scheint es so, als sei der ständig verfügbare und mobilitätsgewohnte Single der Prototyp für Erfolg, auch materiellen Erfolg.

Zugleich wird anerkannt: Die in den Familien geleistete Arbeit ist bedeutsam, auch in ökonomischer Hinsicht. Zudem ist der Mensch kein autonomes Subjekt, zu seiner Entwicklung gehören auch die Entwicklung von Bindungsfähigkeit und tatsächlich gelebte Bindungen. Was aber tun wir, um ein Leben mit Kindern zu fördern?

Wir sind auf dem Weg von der Industriegesellschaft in eine Dienstleistungs-, Wissens- und Informationsgesellschaft. Neue Formen der Arbeit entstehen. Lassen wir zu, dass der Wunsch junger Menschen nach einem Leben mit Kindern noch schwieriger wird? Reformen in Deutschland müssen es ermöglichen, dass sich der Wunsch nach menschlichen Bindungen und der damit verbundenen Beständigkeit und Zuverlässigkeit vereinbaren lässt mit den neuen Erfordernissen der Arbeitswelt. Familie und Arbeit müssen wieder näher zueinander rücken. Familie darf vom öffentlichen Leben nicht ausgeschlossen sein.

Familienbewusstsein muss gefördert werden, das Bewusstsein für die Erfordernisse eines Lebens mit Kindern im Alltag. Unternehmen dürfen sich nicht allein für die Arbeitskraft ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter interessieren, sie müssen auch deren familiale Bindungen im Blick haben. Familienpolitik beschränkt sich nicht allein auf materielle Förderung, sie muss vielmehr Brücken bauen zwischen öffentlichem, beruflichem und privatem Leben.

Konkrete gesellschaftspolitische Herausforderungen ergeben sich vor allem aus den Bedürfnissen und Lebenslagen von Kindern. Wir brauchen in Deutschland mehr Betreuungsangebote - nah an der Familie, aber auch nahe an den Orten, an denen Eltern erwerbstätig sind. Wir müssen bei allen Reformen unseres Bildungswesens darauf achten, dass ein Schulwechsel nicht zum Fiasko für Schülerinnen und Schüler wird. Wir sind im Blick auf die Teilzeitarbeit immer noch ein Entwicklungsland. Es fehlen nicht nur konkrete Angebote. Teilzeitarbeit versperrt immer noch den beruflichen Erfolg.

Zeiten des Umbruchs eröffnen immer auch Chancen zur Korrektur unerwünschter Entwicklungen. Die sollten wir nutzen. Wir sollen dafür sorgen, dass Familienbindungen und die Übernahme von Verantwortung für Kinder kein Hinderungsgrund sind für die Teilhabe am Wohlstand. Die Globalisierung darf nicht zur Falle für die Familien werden. Sie müssen vielmehr Anteil haben an den damit verbundenen Chancen. Dazu braucht es nicht die Alternative zwischen Flexibilität oder Familie; dazu braucht es flexible Wege zur Gestaltung von Lebenszeit, Arbeitszeit und Familienzeit.Aus der Serie "Reformwerkstatt Deutschland - Wettbewerb Deutschland" - Teil 2

Die Autorin hat Erziehungswissenschaft und Theologie studiert. Sie ist Kultusministerin von Baden-Württemberg und stellvertretende CDU-Vorsitzende.

Annette Schavan

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