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Zahlreiche Prognosen zeichnen ein düsteres Bild von der Arbeitswelt. Doch dass es auch Alternativen gibt, zeigt unser Bericht.

© Tsp

Modell für die Zukunft: Wie wollen wir arbeiten?

Die Gesellschaft wird immer älter, es fehlt an Fachkräften, Beruf und Familie lassen sich oft nur schwer vereinbaren: Zahlreiche Prognosen zeichnen ein düsteres Bild der künftigen Arbeitswelt. Doch es kann auch ganz anders kommen.

Die jüngste Revolution, die sogar die altehrwürdige Gewerkschaft der IG Metall feierte, fand kürzlich in Ditzingen, Baden-Württemberg, statt. Beim Werkzeugmaschinen- und Laserspezialisten Trumpf können sich die Arbeitnehmer künftig ihre Arbeitszeiten selbst zusammenbauen. Der Standardvertrag ist Vergangenheit. Nicola Leibinger-Kammüller, die Vorsitzende der Geschäftsführung, sagt: „Die Ansprüche unserer Mitarbeiter an ihren Arbeitsplätzen verändern sich, vor allem verändern sie sich im Zeitablauf: 25-jährige Hochschulabsolventen möchten anders arbeiten als 40-jährige Väter oder Mütter. Wer auf den Hausbau spart, hat andere zeitliche Wünsche als jemand, der Angehörige pflegen muss.“

Alle zwei Jahre können die Mitarbeiter von Trumpf nun selbst entscheiden, ob sie ihre Wochenarbeitszeit erhöhen oder absenken wollen. Bis zu insgesamt 1000 Stunden können die Mitarbeiter auf ein eigenes Konto legen und die Stunden später für längere Freizeitblöcke wieder abrufen oder Arbeitszeitreduzierungen finanzieren.

Trumpf macht das, was Wissenschaftler seit Jahren predigen. Mehr Flexibilität schaffen. Dieses Wort wird zwar so inflationär gebraucht, dass man müde ist, sich darauf einzulassen, trotzdem ist es ein Schlüsselwort, wenn es um die Zukunft von Arbeit geht. Flexibilität heißt im Idealfall nicht totale Abrufbarkeit des Mitarbeiters, sondern soll ihm – je nach Lebensphase – Möglichkeiten der Ruhe, Weiterbildung oder die Chance geben, andere Prioritäten, als Arbeit zu setzen.

Trumpf ist ein Modell für die Zukunft, die ansonsten gerne düster und bedrohlich beschrieben wird. Gefangen zwischen der demografischen Entwicklung und dem Fachkräftemangel werde das Land in Gefahr geraten, im globalen Wettbewerb abgehängt zu werden, sagen Wirtschaftswissenschaftler. Man dürfe sich von der stabilen Wirtschaft nicht täuschen lassen, denn die großen Probleme kommen erst: ab 2020. Dann werden die letzten Vertreter der Babyboomer-Generation in Rente gehen und die demografische Katastrophe, wie sie auf Buchtiteln genannt wird, nimmt ihren Lauf. 2010 war die Bevölkerung noch so gestaltet, dass Kinder und junge Menschen bis 20 Jahre eine ähnlich große Kohorte bildeten wie die Menschen über 65 Jahre. In der Mitte stellten die Personen im erwerbsfähigen Alter zwischen 20 und 65 Jahren die große Mehrheit. Es war ein gesundes Verhältnis für eine gesunde Volkswirtschaft. Doch schon bis 2030 wird die Zahl der Erwerbsfähigen um sechs Millionen Menschen sinken. Bis zu 21 Prozent wird die Bevölkerung nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts im Jahr 2060 zurückgegangen sein. Die erwerbsfähige Gruppe, die den Berufseinstieg schaffen muss, Kinder bekommen soll und die eigenen Eltern pflegen wird, verwandelt sich schon früher in die kleinste Kohorte. Große Unternehmensberater wie McKinsey haben für 2020 einen Fachkräftemangel von zwei Millionen Personen errechnet, die Wirtschaftsforscher der Prognos AG oder des Roman-Herzog-Instituts gehen bis 2030 von über fünf Millionen fehlenden Fachkräften aus. Die Experten warnen vor „strukturellen Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt“ und einem „bedrohlichen Verlust an Wirtschaftswachstum“ bis 2030.

Um diesen „Megatrend“ umzukehren, benutzen die Experten eine militärische Sprache. Es geht darum, „die letzten Reserven zu mobilisieren“, „brachliegende Ressourcen zu rekrutieren“, um den globalen „War for Talents“ zu gewinnen. Die Zielgruppen dieser totalen Mobilmachung sind Mütter, Migranten, Geringqualifizierte und Alte. Sie sollen Deutschland vor dem Abstieg retten.

Lesen Sie auf Seite 2, auf welche Annahmen sich umgekehrte Prognosen stützen

Aber es gibt auch die umgekehrte Prognosetendenz, hier ist die Zukunft nicht schwarz gemalt, sondern trägt modernes Gewand. Aufgrund der demografischen Entwicklung und des Fachkräftemangels werde sich für qualifizierte Arbeitnehmer eine Win-Win-Situation ergeben, sagen Wirtschaftswissenschaftler. In Zukunft werde es „in der Tendenz attraktiver“, sich am Erwerbsleben zu beteiligen, schreibt das Roman-Herzog-Institut. Die Professionalisierung der Gesellschaft werde die Reaktion sein auf die demografische Alterung und den Fachkräftemangel. Experten träumen von einer „Humanisierung der Gesellschaft“, in der man dem Ideal einer „Work-Life-Balance“ nahekommt – Löhne steigen, Vollbeschäftigung möglich wird und Jung und Alt ihr privates Dasein in Mehrgenerationenhäusern verbringen.

McKinseys Experten sagen voraus, dass das „Personal zur zentralen strategischen Ressource“ aller Unternehmen werde. Nicht mehr der Kunde allein, auch der Mitarbeiter soll König sein. Er entscheidet selbstbestimmt, wann und wie viel er arbeitet und qualifiziert sich als Gegenleistung freiwillig ein Leben lang weiter. Die Avantgarde werden Frauen sein, sagen Zukunftsforscher, deren Kinder im 24-stündigen Krippen- oder Kitabetrieb flexibel aufgenommen oder an den neuen Ganztagsschulen bis 20 Uhr betreut werden.

Beide Szenarien der Zukunft sind keine Fiktion. Alle Details, negative wie positive, könnten 2030 real sein. Wenn man sich anguckt, wie der wissenschaftliche Erkenntnisstand zum Thema Arbeit der Zukunft aussieht, so gibt es kein Problem, keine Entwicklung, die nicht ausgeleuchtet worden ist. Seit Jahren werden Lösungspapiere geschrieben und Studien erarbeitet, in denen alles zusammen gedacht wird: die Demografie, der Fachkräftemangel, das Bedürfnis nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Betreuungssituation von Kindern, die Exklusion von weiten Teilen der sozial schwachen Schichten durch mangelnde Bildung, das Geschlechterverhältnis und die ungleiche Entlohnung von Frauen und Männer.

Alles liegt offen, trotzdem bleibt der Blick in die Zukunft vernebelt, weil in der Praxis bisher zu wenig Sichtbares passiert ist, und weil die Politik den Megatrends der kommenden Epoche hilflos gegenübersteht. Die Autoren des Roman-Herzog-Instituts schreiben: „Es ist zu betonen, dass die Zunahme der Erwerbsbeteiligung eine marktwirtschaftliche Reaktion auf sich verändernde Knappheitsverhältnisse am Arbeitsmarkt ist. Sie ist nicht politisch induziert oder gesetzt.“

So unsicher es naturgemäß ist, Zukunft vorherzusagen, so sicher ist doch, dass sich die Gesellschaft in einem gewaltigen Wandel befindet. Allerdings sind die Bedürfnisse und Wünsche der gesellschaftlichen Gruppen so widersprüchlich wie das reale Leben. Da gibt es die Männer, die mehr zu Hause und bei ihren Kindern sein wollen, aber gleichzeitig noch immer widerstandslos sehr viel Zeit auf der Arbeit zubringen, weil sie Karriere machen wollen. Wenn die Männer zu Hause sind, dann überlassen sie auch weiterhin den Frauen mehrheitlich Erziehung und Haushalt. Alle seriösen Zeitbudgetstudien belegen das. Und da gibt es die Frauen, die mehr arbeiten oder überhaupt arbeiten wollen, die aber viel schlechter verdienen als Männer, bis zu minus 23 Prozent, und zugleich fürchten, ihre Kinder zu vernachlässigen. Das schlechte Gewissen ist noch immer bei den Frauen zu Hause und das, obwohl das Bild der Frau als Hausfrau historisch gesehen erst einen kleinen Zeitabschnitt prägt: die Zeit seit den 1950er Jahren. Davor waren Frauen und Männer in der Geschichte meistens Doppelverdiener.

Seite 3: Sinkende Anzahl von Mitarbeitern in Unternehmen als Chance

Arno Nehls kennt diese Welt der Widersprüchlichkeiten und des Wandels. Vor ein paar Monaten erst ist Nehls in den Ruhestand gegangen, zuvor hat der gelernte Industriekaufmann seit 1988 die Personalabteilung von BSH, Bosch Siemens Haushaltsgeräte, in Spandau und später in Nauen geleitet. BSH hat weltweit 40 000 Mitarbeiter, 10 000 in Deutschland und 600 in Nauen, wo man Waschmaschinen herstellt. Probleme wie Fachkräftemangel und Bildungsverlierer sind in Nauen schon angekommen. Seit eineinhalb Jahren gehen dem Betrieb nämlich die Montierer aus.

Es ist eigentlich eine einfache Arbeit, man braucht keine besondere Qualifikation, nur eine „gute Kinderstube und Fleiß“, wie Arno Nehls sagt. Anscheinend fehlt es aber den ungelernten Deutschen oft an diesen Eigenschaften. Das ist Nehls Erfahrung. Ein Zukunftsproblem. Die sehr einfachen Jobs für Ungelernte werden erstens weniger und zweitens steigt das Anspruchsniveau auch bei solchen Arbeiten an. Umso mehr Nichtqualifizierte oder Geringqualifizierte sich ein Land leistet, umso schwieriger wird es, überhaupt Arbeit für sie zu finden.

Klaus F. Zimmermann, Direktor am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA), sagt: „Ein Problem der Zukunft ist, dass der Anteil an potenziell Geringqualifizierten zunimmt. Wer nichts gelernt hat, wird in Zukunft noch weniger Chancen haben.“

Nehls und BSH haben deshalb das gemacht, was jetzt viele Unternehmen beginnen. Sie bemühen sich strategisch um die Anwerbung oder Weiterqualifizierung dieser ungelernten Gruppen. Große Unternehmen wie etwa die Telekom haben spezielle Programme entwickelt, um Ungelernte zu qualifizieren und als Mitarbeiter zu gewinnen. Es sind erste Reaktionen auf die Welt der Zukunft. In dieser Zukunft, sagen die Leute vom Roman-Herzog-Institut, werde vereinfacht ausgedrückt fast jeder, der arbeiten kann, auch arbeiten müssen.

Nehls kann aber auch den Satz der McKinsey-Leute unterschreiben, nach dem das Personal in Zukunft als wichtigste Ressource behandelt werden müsse. Neben der Qualifizierung ist für Nehls „gute Kommunikation“ der Schlüssel für die Zusammenarbeit von Unternehmen und Arbeitnehmern, für Produktivität und Gesundheit.

Es gibt Beispiele am Markt, die das Denken von Unternehmen revolutioniert haben. Einer der Pioniere dieser Entwicklung ist das IT-Unternehmen IBM. 1991 beschloss man in Deutschland gemeinsam mit seinen Mitarbeitern den festen Arbeitsplatz aufzugeben. Telearbeit hört sich heutzutage als Begriff antiquiert an, in Wahrheit wird sie einen großen Anteil an der Arbeit der Zukunft haben. Es gibt Arbeitsexperten, die sagen, dass wir 2030 mehr als die Hälfte unserer Arbeitszeit zu Hause verbringen werden.

Die sinkende Anzahl von Mitarbeitern durch die demografische Entwicklung ist also auch eine Chance. Sie zwingt Unternehmen dazu, sich ehrlicher mit den Bedürfnissen ihrer Mitarbeiter zu beschäftigen und führt im besten Falle dazu, dass die neuen Strukturen wettbewerbsfähiger sind. So wie bei Trumpf. Klaus F. Zimmermann, dessen Beruf zusagen die Zukunft der Arbeit ist, ist dennoch zurückhaltend mit euphorischen Prognosen, er sagt: „Noch ist der Druck auf die Unternehmen nicht groß genug, grundsätzlich die Weichen für die Zukunft zu stellen.“ Und Carlotta Köster-Brons, Geschäftsführerin des Verbands deutscher Unternehmerinnen (VdU), findet: „Wegen des demografischen Wandels und dem Fachkräftemangel wird es keinen Automatismus dahingehend geben, dass mehr Führungspositionen mit Frauen besetzt werden. Das System Mann ist da sehr hartnäckig.“

Seite 4: Es geht um Rendite und Wettbewerb

Trotzdem glauben beide, dass der Wandel nur noch eine Frage der Zeit sei. In komplizierten Studien haben Experten herausgefunden, dass beispielsweise Kriterien wie Familienfreundlichkeit zu einer höheren Produktivität und zu höheren Gewinnen führen. Das Investment in die neuen Arbeitsstrukturen lohnt sich, finden Unternehmen, die investiert haben. Darunter sind große Player wie die Telekom, die Commerzbank oder die Deutsche Bahn. Gerade im Süden und Südwesten des Landes, wo jetzt schon Fachkräfte rar werden, ist diese Art des „War for Talents“ täglich Brot. Es gibt Unternehmen, bei denen sind die Arbeitszeitmodelle so umfangreich wie Menükarten im Restaurant, selbst im Metallgewerbe haben es Unternehmen schon geschafft, Teilzeitarbeit im Schichtbetrieb durchzusetzen, der Industriesensorikhersteller Sick AG stellt in strategisch wichtigen Unternehmensbereichen altersgemischte Teams zusammen, andere Firmen leisten sich ein eigenes Gesundheitsmanagement für ihre Mitarbeiter oder eigene Kindertagesstätten und Schulen.

Die Liste der Schlagworte für neue Arbeits- und Organisationsformen ist länger als das ABC, sie lauten etwa: Vertrauensarbeitszeit, Gleitzeitkonto, Gleitzeit-Kernzeit-Kombi, Angehörigenpflege, Jobsharing, Schulferienbetreuung, Teilzeitmodelle, Eltern-Bonuszahlung, Gesundheitsprogramm, Transportservice, Coaching, Patenprogramm während der Elternzeit, Wiedereinstiegsprogramm, offene Kommunikation, lebenslange Fortbildung, Auszeitenmodelle. Wenn Carlotta Köster-Brons in die Glaskugel gucken könnte, wüsste sie, was sie gerne sehen möchte: „Im Idealfall bekommen wir noch flexiblere Arbeitsformen, sind nicht mehr in starren Präsenzzeiten gefangen, arbeiten an verschiedenen Orten in gemischten Teams aus Frauen und Männern und werden insgesamt produktiver, weil die Zufriedenheit am Arbeitsplatz steigt. Und so steigern wir auch unsere Wettbewerbsfähigkeit als Standort Deutschland.“ Der Traum von dieser harmonischen Arbeitswelt muss nicht wahr werden. Und würde er wahr, könnte er sich als Albtraum entpuppen. Denn der bisherige Wandel beruht nicht wirklich auf Freiwilligkeit, es geht um Rendite und Wettbewerb. Auch deshalb stehen neuerdings bei den Unternehmen die Mütter und die Alten sehr hoch im Kurs, auch deshalb muss die Lebensarbeitszeit, das sagt sogar die EU, mindestens auf 70 Jahre steigen.

Akribisch haben Experten aufgelistet, was möglich ist. Eine stärkere Erwerbsbeteiligung Älterer könnte laut Bundesagentur für Arbeit bis 2025 ein Potenzial von 1,2 Millionen Fachkräften ergeben, mehr Frauen und Mütter in Vollzeitstellen würden nach anderen Schätzungen sogar 2,1 Millionen weitere Fachkräfte bringen. Auch deshalb sollen Krippen- und Kitaplätze geschaffen und neue Ganztagsschulen mit langer Betreuungszeit gebaut werden. Auch deshalb sollen Mitarbeiter körperlich und geistig „fit“ gehalten werden.

Laut Lissabon-Strategie von 2001 gehen alle europäischen Regierungen davon aus, dass die wirtschaftliche Entwicklung nur dann gesichert werden könne, wenn in allen europäischen Ländern mindestens 70 Prozent der Frauen und Männer in den Arbeitsmarkt integriert sind. Jüngere Berechnungen, vor allem für Deutschland, verlangen noch viel mehr Mütter in Vollzeitstellen.

Die Frage ist, ob trotz des demografischen Wandels eine Alternative zu dieser strikten gesellschaftlichen Arbeitsmarktorientierung existieren kann. In einem Beitrag des Roman-Herzog-Instituts zu diesem Thema wird vor einem „Imperialismus ökonomischer Effizienzkriterien“ gewarnt, die „Effizienzlogik des Marktes“ und damit dessen „zentrales Gesetz von Angebot und Nachfrage“ dürfe nicht als einziges Paradigma zum Verständnis gesellschaftlicher Prozesse angewendet werden.

Familienfreundliche Arbeitsorganisation, flexible Arbeitszeiten, Gesundheitsmanagement und lebenslanges Lernen können als gut gemeinte Instrumente auch dazu führen, dass sich das Privat- und Familienleben gänzlich den Bedürfnissen der Unternehmen unterordnet. Die Gefahr besteht deshalb, sagen Soziologen wie Hans Bertram, weil die Lebenszufriedenheit der Menschen und vor allem der Männer noch immer von der vollständigen Integration in den Arbeitsmarkt abhänge.

Wenn wir wissen wollen, wie wir in Zukunft arbeiten, dann müssen wir die wichtigste Frage beantworten können: Wie wichtig sind uns als Gesellschaft in Zukunft Muße, Solidarität, familiärer Zusammenhalt und Fürsorglichkeit?

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