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Israel setzt seine Luftangriffe auf Gaza unvermindert fort. Eine Bodenoffensive soll aber verschoben werden, um Verhandlungen über einen Waffenstillstand zu ermöglichen.

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Update

Mögliche Bodenoffensive in Gaza: Israel gibt Verhandlungen über Waffenstillstand mehr Zeit

Die Verhandlungen über einen möglichen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas laufen auf Hochtouren. Die israelische Regierung verschärfte ihre Drohung, mit einer Bodenoffensive in Gaza einzugreifen, will aber noch abwarten.

Israel hat eingewilligt, den Vermittlungsbemühungen vorerst noch eine Chance zu geben. „Wir wollen aus verschiedenen Gründen keine Bodenoffensive, unter anderem wegen der möglichen Verluste auf beiden Seiten“, sagte ein Sprecher des israelischen Außenministeriums am Montag. „Aber wenn Hamas nicht gewillt ist, den Raketenbeschuss Israels für eine lange Zeit zu stoppen, sind wir bereit, den Einsatz zu einer Bodenoffensive auszuweiten.“ Israel habe ein klares Ziel: den ständigen Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen stoppen. Sollte dies mit einer in Kairo ausgehandelten Waffenstillstandsvereinbarung mit der Hamas gelingen, umso besser. Die diplomatischen Bemühungen um eine Waffenruhe zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas sind am Montag auf Hochtouren gelaufen. In Kairo wurden unter Ägyptens Vermittlung Gespräche mit Vertretern beider Seiten fortgesetzt, während unter anderen Außenminister Guido Westerwelle (FDP) zu einem Besuch in den Nahen Osten reiste. Israel setzte seine Angriffe auf den Gazastreifen fort, bei denen rund 15 Palästinenser getötet wurden.

Ägyptischen Angaben zufolge empfing Präsident Mohammed Mursi in Kairo neben einem israelischen Vertreter den Exilchef der Hamas, Chaled Meschaal, sowie den Anführer der Gruppe Islamischer Dschihad, Abdallah Tschallah. Die israelische Zeitung „Jediot Ahronot“ sprach von einem „Wettlauf gegen die Zeit“, derzeit entscheide sich, ob es zu einer militärischen Eskalation oder zu einem Waffenstillstandsabkommen kommen werde. Westerwelle warnte vor seiner Abreise nach Israel vor einem „Flächenbrand“ in der Region. „Die Lage ist außerordentlich ernst“, sagte er in Brüssel.

Alle Seiten müssten daher „mit Besonnenheit und Verhältnismäßigkeit handeln, um einen Waffenstillstand zu ermöglichen“. Westerwelle wollte am Dienstag mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und Präsident Schimon Peres zusammentreffen, danach wollte er in Ramallah im Westjordanland mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sprechen.

Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) habe in Telefonaten mit Mursi und Netanjahu ihre Besorgnis über die aktuelle Entwicklung zum Ausdruck. Der fortwährende Beschuss Israels mit Raketen aus dem Gazastreifen sei „durch nichts zu rechtfertigen“. Israel habe das Recht, seine Bevölkerung zu schützen. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan warf hingegen der UNO Einseitigkeit vor. Der UN-Sicherheitsrat „schließt die Augen“ vor dem Leid der Muslime, sagte er in Istanbul. Er forderte von der UNO eine „ernsthafte Aktion“, um den israelischen Angriffen ein Ende zu bereiten. Die türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtete, Außenminister Ahmet Davutoglu wolle am Dienstag in den Gazastreifen reisen. Auch der Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil al-Arabi, wurde dort erwartet.

Bei neuen israelischen Luftangriffen wurden am Montag mindestens 15 Palästinenser getötet. Israel störte nach Angaben der Armee den offiziellen Sender der Hamas, Al-Aksa TV, um „Warnungen“ zu verbreiten. In Gaza-Stadt nahmen am Montagmorgen hunderte Menschen an der Beerdigung von neun Mitgliedern einer Familie teil, deren Haus am Sonntag von einer Rakete getroffen worden war. Unter den Toten waren vier Kinder. Seit Beginn der israelischen Offensive „Säule der Verteidigung“ am vergangenen Mittwoch wurden rund 90 Palästinenser getötet. Auf israelischer Seite starben drei Menschen. Israel traf seitdem mehr als 1350 Ziele im Gazastreifen, in derselben Zeit wurden aus dem Palästinensergebiet wiederum mehr als 850 Geschosse abgefeuert. Ein Krieg birgt auch für Israel große Risiken. Käme es zu großen Verlusten auf der israelischen Seite, könnte die Welle der Zustimmung für Netanjahus Regierung brechen und in herbe Kritik umschlagen. Dies kann sich der Regierungschef kurz vor den Wahlen im Januar nicht leisten. Außerdem: Je mehr Opfer es auf palästinensischer Seite gibt, desto weniger Verständnis hat auch der Westen für das israelische Vorgehen. Katastrophal war bereits der Luftangriff auf das Haus der Familie Dalu in Gaza, bei der am Sonntag elf Menschen getötet wurden, darunter neun Mitglieder der Familie. Fünf Kinder waren unter den Toten, die erschütternden Bilder gingen um die Welt. Zum politischen Preis des Konflikts kommen immense Finanzkosten für einen Staat, der ohnehin mit sozialen Protesten zu kämpfen hat. Jeder Kampftag koste Israel umgerechnet 60 Millionen Euro, rechnete ein Wirtschaftsexperte am Montag im israelischen Rundfunk vor. Nach Informationen der Wirtschaftszeitung „The Marker“ beliefen sich die Kosten für eine neue Gaza-Offensive auf mehrere Milliarden Schekel. Der letzte Gaza-Krieg zur Jahreswende 2008/2009, der 22 Tage dauerte, kostete Israel 3,8 Milliarden Schekel (etwa 700 Millionen Euro). Israel Hightech-Waffen sind effektiv, aber teuer: Allein eine Flugstunde für einen israelischen Kampfjet kostet nach Angaben des Wirtschaftsblatts 15 000 Dollar.

Die Führungen der Palästinensergruppen Fatah, Hamas und Islamischer Dschihad riefen bei einer Kundgebung im Westjordanland zur Einigkeit auf. „Aus Ramallah verkünden wir mit den Führern der anderen Bewegungen, dass wir der Spaltung ein Ende machen“, sagte der ranghohe Fatah-Führer Dschibril Radschub.

Ex-Botschafter warnt vor Bodenoffensive

Ein durch israelische Angriffe zerstörtes Haus.
Ein durch israelische Angriffe zerstörtes Haus.

© Reuters

Noch aber bereitet sich Israel auf eine mögliche Bodenoffensive vor. Der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Shimon Stein, sieht das kritisch. Die Regierung müsse sich fragen, ob sie ihre Ziele nicht auch anders erreichen könne, sagte Stein am Montagmorgen im Deutschlandfunk. Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Ruprecht Polenz (CDU): Eine Bodenoffensive könne zu einerweiteren Eskalation führen, sagte er dem Sender. Auch die israelische Blockade des Gazastreifensspiele in dem Konflikt eine Rolle. Solange es wirtschaftlich für die 1,5 Millionen Palästinenser dort keine Perspektive gebe, werde der Gazastreifen immer ein Nährboden für Gewaltbleiben, sagte Polenz.

Die israelische Luftwaffe griff am Montag zwei Fahrzeuge in der Stadt Gaza an. Dabei wurden mindestens vier Menschen getötet. Auch im Süden des Gazastreifens starben nach Angaben von Sanitätern mindestens zwei Menschen bei Luftangriffen.

Augenzeugen in Gaza berichteten, die Häuser militanter Mitglieder der im Gazastreifen herrschenden Hamas seien gezielt angegriffen worden. Die israelische Armee bestätigte, es seien Gebäude von Hamas-Mitgliedern beschossen worden, „die als Kommandoposten und Waffenlager benutzt werden“. Seit Beginn des Einsatzes seien 1350 Ziele im Gazastreifen bombardiert worden. Am Sonntag waren bei einem Luftangriff auf ein Gebäude in Gaza mindestens elf Mitglieder der Familie Dalu getötet worden, darunter mehrere Kinder. Zunächst hatte es geheißen, der Angriff habe einem Raketen-Kommandeur der Hamas gegolten. Ein Armeesprecher sagte am Montag, man prüfe Berichte, die Luftwaffe habe versehentlich das falsche Haus bombardiert. In der israelischen Küstenstadt Aschkelon traf eine Rakete am Montag eine leerstehende Schule. Seit Mittwoch haben militante Palästinenser mehr als 1000 Raketen auf Israel abgefeuert, drei Menschen wurden getötet und etwa 50 verletzt. Etwa ein Drittel der Raketen werden von dem Abwehrsystem Iron Dome (Eisenkuppel) abgefangen. Der israelische Vize-Außenminister Danny Ajalon sagte dem Zweiten Israelischen Fernsehen am Montag: „Unsere kategorische Forderung ist ein vollständiger Stopp der Raketenangriffe.“ Es müsse im Rahmen einer Waffenruhe auch dafür gesorgt werden, dass die radikalislamische Hamas im Gazastreifen sich nach Ende der Konfrontationen nicht wieder neu bewaffnen könne. Hamas fordert als Bedingung für eine Waffenruhe ein Ende der israelischen Angriffe im Gazastreifen und der gezielten Tötungen sowie eine Aufhebung der Blockade des Palästinensergebiets. Israels Armee setzte am Montag die Vorbereitungen für eine mögliche Bodenoffensive im Gazastreifen fort. Nach Angaben des israelischen Rundfunks sind etwa 40 000 Reservisten einberufen worden.

Währenddessen steigen die Ölpreise: Sie erhöhten sich am Montag wegen Sorgen vor einer Eskalation der Lage im Nahen Osten. Ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent zur Januar-Lieferung kostete am frühen Morgen 109,64 US-Dollar. Das waren 69 Cent mehr als am Freitag. Der Preis für ein Fass der amerikanischen Sorte West Texas Intermediate (WTI) zur Dezember-Lieferung stieg um 1,22 Dollar auf 86,67 Dollar.

„Der Markt ist besorgt über den Konflikt zwischen Israel und der palästinensischen Hamas-Organisation“, sagte ein australischer Rohstoffexperte. Im Gaza-Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern ist trotz internationaler Vermittlungsbemühungen kein Ende der Gewalt in Sicht. (AFP, dpa, dapd)

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