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Interview mit Lothar Bisky: "Momentan ist die Linke in einer schlechten Form"

Der frühere Parteichef der Linken, Lothar Bisky, spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über den Zustand der Linkspartei, besserwisserische Genossen und die Querelen im Wahlkampf.

Von Matthias Meisner

Herr Bisky, was unterscheidet die Linkspartei von einem schlechten Film?

Auf Anhieb nichts. Die Absichten sind ja immer gut.

Ein schlechter Film hat zuweilen wenigstens ein Happy End.

Das erhoffe ich mir auch für die Linke, und nicht nur am Ende drangepappt wie beim schlechten Film. Eine Partei hält zum Glück viel aus. Die Linke ist nicht in Not. Sie gerät in Not, wenn die Mitgliedschaft wackelt. Aber noch haben wir zehntausende Mitglieder, und die sind einiges gewöhnt, die haben eine gewisse Beharrlichkeit entwickelt. Warum sollten diese Mitglieder ihre Partei jetzt aufgeben?

An der Basis spüren Sie keine Verunsicherung?

Nein, aber sehr wohl Verärgerung. Und verärgert bin ich auch. Eine Partei ist ja ein bisschen so wie eine Geliebte. Man liebt sie und ärgert sich zu Tode über sie. Aber nur die Geliebte bringt einen zu solch hoch gesteigertem Ärger. So ähnlich geht es auch der Mitgliedschaft mit ihrer Partei: dass sie mit ihr leidet, wenn es ihr mal nicht so gut geht.

Oskar Lafontaine hat Sorge, dass das „große Projekt“ Linkspartei scheitern könnte. Teilen Sie diese Befürchtung?

Das ist nicht aus den Fingern gesogen. Solche Sorgen hatte ich allerdings bei der PDS früher auch schon immer mal wieder.

Außerhalb der Partei gibt es kaum jemand, der den Niedergang der Linken so richtig bedauert.

Das war noch nie so. Ich gehe davon aus, dass wir in einer Mediokratie leben – also in einer Gesellschaft, in der die Medien die Regeln des Politischen bestimmen und nicht umgekehrt. Mediokratisch lag die Linke immer schlecht. Zurzeit liegt sie mediokratisch sehr schlecht.

Lesen Sie auf Seite 2, wie Bisky den Wahlkampf der Linken bewertet.

Wieso profitiert die Linke nicht von der Finanzkrise?

Erstens sind richtige Antworten der Linken wenig bekannt. Das liegt an der Linken, auch an mir. Es liegt an allen Funktionsträgern, dass wir unsere Kernpunkte nicht laut genug rüberbringen. Der zweite Punkt: Vielleicht gibt es ja doch so etwas wie eine aktuelle Form, die die Leute bewerten, um eine Partei für interessant zu halten oder nicht. Momentan sind wir in einer schlechten Form.

Fühlen Sie sich erinnert an die Lage der Linken nach der verlorenen Bundestagswahl 2002, die Führung von Gabi Zimmer?

Nichts wiederholt sich in der Parteiengeschichte. Aber ein merkwürdiges Gefühl habe ich, das will ich gar nicht abstreiten.

Die Wahlkämpfer in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern sind genervt. Stichworte Antisemitismusdebatte, Mauerbau, Brief an Castro.

Ich verstehe sehr gut, dass sie genervt sind. Die Querelen sind im Wahlkampf nicht hilfreich.

2003 haben Sie in der Notlage der PDS noch einmal die Führung übernommen. Jetzt geht es darum, ob Oskar Lafontaine zurückkehren oder Gregor Gysi den Parteivorsitz übernehmen soll. Wäre das die Rettung?

Eine gute Idee wäre es, wenn die älteren Damen oder Herren – in Bezug auf Spitzenparteifunktionen – den Hut nehmen würden. Die Partei hat ausreichend gute junge Leute, um eine Führung zu stellen, ohne ein Recyclingprogramm bis zur Peinlichkeit zu treiben. 1989 sind wir angetreten, um die alten Säcke aus dem Politbüro zu vertreiben. Haben wir das vergessen? Ich wäre froh, wenn junge Leute sagen: Wir übernehmen. Und dann muss die Partei so viel Mumm haben, dass sie sagt: Wir lassen euch auch ran.

Wenn man die schwierige Lage der Linken personifiziert, denkt man zuerst an das Duo Klaus Ernst und Gesine Lötzsch. Welche Verantwortung tragen die Vorsitzenden für die Krise der Partei?

Es wäre unanständig, wenn ich als Alter, der gegangen ist, nun die Arbeit meiner Nachfolger kommentieren würde. Wenn es Schwierigkeiten in der Partei gibt, sind die meistens nicht nur durch die Spitze bedingt.

Lesen Sie auf Seite 3, was Bisky zu den Flügelkämpfen bei den Linken sagt.

Wächst die Partei zwischen Ost und West noch zusammen? Warum will ständig ein Flügel den anderen unterbuttern?

Ich komme auch aus dem Osten, aber das Denken in Kategorien wie „Wir Ossis“ ist mehr wie das Denken in den Kategorien einer mythischen Religionsgemeinschaft. Das hat in einer Partei nichts zu suchen.

Aber immer wieder will doch ein Flügel gegen den anderen gewinnen.

Diese Beobachtung habe ich auch gemacht, leider. Ich sehe bloß keinen guten Grund dafür: Die Leute müssen doch die Partei gemeinsam tragen, warum will einer über den anderen siegen? Sonst verliert man nur gemeinsam. Die Partei gewinnt nicht, wenn der Osten über den Westen siegt oder umgekehrt. Immer ist es die Niederlage eines großen Teils der Mitgliedschaft. So eine Niederlage kann sich kein vernünftiger Mensch wünschen.

Nach dem Mauer-Titelblatt der „Jungen Welt“ hat Fraktionschef Gregor Gysi einen Anzeigenboykott gegen dieses Blatt angekündigt, in der Fraktion wurden 30 Unterschriften dagegen gesammelt.

Ein solches Titelblatt noch zu honorieren, halte ich einfach nur für peinlich.

Kürzlich haben Sie erklärt, bei den Linken führten zu viele „Ideologie-Ajatollahs“ das Wort. Können Sie das erklären?

Viel zu oft dünkt es die Genossen, sie seien besser und klüger als andere, als wären sie ein kleiner islamischer Rechtsgelehrter. Oder wie ein Lin Biao, der die Lehre Mao Tse Tungs auslegt – und immer weiß, was der große Vorsitzende meint. Oder die in den Schriften Rosa Luxemburgs nachweisen, dass man immer schon besser oder klüger denkt als der oder die jeweils andere.

So erleben Sie den typischen Genossen?

Das ist eine Krankheit, wahrscheinlich durch ideologische Viren übertragen, die wir einfach nicht loswerden. Mich ärgert das wahnsinnig. Was haben wir davon, wenn manche Genossen denken, sie würden die reine Lehre vertreten? Das ist absurd. Die Geschichte der Linken kennt blutige Beispiele, wie so etwas ausgehen kann. Die Linke muss mit den ideologischen Kämpfen gegeneinander aufhören, diese Aggressivität darf nicht länger gepflegt werden, wir müssen sie bekämpfen. Diese ganzen Geschichten von linken Linken, Parteirechten, von guten und schlechten Linken, von lahmen und flinken Linken – es ist einfach Schwachsinn.

Fürchten Sie, dass die Partei auseinander bricht?

So blöd kann ja keiner sein. Das wäre doch für lange Jahre mindestens die Selbstkastrierung der Linken. Was soll das? Dann muss man eben mit den Ayatollahs so lange streiten, bis eine Klärung erzielt ist. Aber Spalten hat keinen Sinn. In meiner Fraktion im Europäischen Parlament sind 17 verschiedene Linksparteien. Alle Spaltungen haben der Linken verheerende Verluste gebracht. Wenn die deutsche Linke diesen Weg geht, könnte sie verschwinden.

Sind Sie froh, dass Sie mit den Problemen Ihrer Partei nur noch am Rande zu tun haben?

Ich lebe seit ein paar Jahren in Schildau in Sachsen. Ich stehe nicht im Zentrum des Geschehens. Die Schildbürgerperspektive gefällt mir ganz gut.

Das Gespräch führte Matthias Meisner.

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