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Pascale Hugues.

© Thilo Rückeis

Mon BERLIN: Die Anarchie der Grünpflanzen

In vielen Verwaltungsbüros steht Nippes. Sie sind kleine Fluchten in die Freiheit. Eine Kolumne

Eine Kolumne von Pascale Hugues

Mein Büro soll schöner werden – eine Devise, die den Mitarbeitern ehrwürdiger demokratischer Institutionen in diesem Land am Herzen zu liegen scheint.
Nehmen Sie den Bundesrat. Letzte Woche lief ich durch die Gänge dieser Hochburg des deutschen Föderalismus. Ein minimalistisches, schnörkelloses Design, wie gemacht für effiziente Arbeit im Dienste des Staates. Doch plötzlich, die Neutralität des Orts brechend: ein Dschungel aus Grünpflanzen, der sich ausbreitet, eine Fensterbank nach der anderen überwuchert, ein vegetatives Chaos in dieser ansonsten so rational gestalteten Räumlichkeit. Die Pflanzen scheinen in die angrenzenden Büros hineinzuwachsen. Als rührendes Zeichen der Pflege, mit der man die Pflanzen umhegt, steht eine spießige Gießkanne aus grünem Plastik zwischen den Palmen und Kakteen, sie kontrastiert scharf mit der Feierlichkeit der Umgebung. Die Sekretärinnen, die ihre Tage an den Computerbildschirm gefesselt verbringen, scheinen sich auf diesem Weg ein Stück öffentlichen Raum anzueignen, um etwas Leben in diese düsteren Flure zu bringen.

Das gemütliche Gesicht der Demokratie

Auch die Empfangsdame des Bundesrats hat ihren Aufgabenbereich erweitert. Manchmal verlässt sie ihre Loge, um ihrem gestalterischen Talent freien Lauf zu lassen. Sie hat es sich zur Pflicht gemacht, jede Woche den Kaffeetisch in der Ecke zu schmücken, wo Besucher auf ihre Verabredungen warten. Ein kleiner Strauß Trockenblumen auf einer bunten Papierserviette, zu Ostern Hasen-Arrangements im Strohnest, zu Weihnachten Tannenzweige und Glitzer ... So sieht es aus, das gemütliche Gesicht der Demokratie. Man kann etwas lernen beim Betrachten dieser kleinen, unauffälligen Gegenstände auf dem Schreibtisch des eigenen Chefs oder Arztes, der Krankenkassensekretärin oder des Steuersachbearbeiters. Kinderbilder sind der Klassiker. Der Herr Doktor, der Sie mit strenger Miene abhorcht, offenbart auf dem Familienfoto sein verborgenes Gesicht, er öffnet den Vorhang, hinter dem sein Privatleben liegt – ein Mann wie du und ich, ein hingebungsvoller Familienvater, dieser Halbgott in Weiß. Und der mitleidlose Sachbearbeiter im Finanzamt? Ist in Wirklichkeit ein vor Glück sabbernder Großvater, der sich von seiner rothaarigen Enkelin um den Finger wickeln lässt.

Besonders beliebt sind Fotos von Haustieren

Unmittelbar nach den Kindern kommen, anders als man denken könnte, nicht die Ehemänner und -frauen, sondern die Tiere, und zwar in dieser Reihenfolge: Hund, Katze, Pferd. Ich erinnere mich an einen kämpferischen Gewerkschafter von der IG Metall. Er brüllte hinter seinem Schreibtisch, versprach einen Streik, einen Sturm! Doch mit einem Schlag entwich die Luft aus diesem aufgeblasenen Finsterling, als ich in seinem Regal einen großen Teddybär aus himmelblauem Plüsch entdeckte – sein Maskottchen. Vor meinen Augen verwandelte sich dieser breitschultrige Krieger plötzlich in einen kleinen, ängstlichen Jungen, der es nie übers Herz gebracht hatte, sich von seinem Kindheitsschatz zu trennen.
Alle diese Grünpflanzen, Fotos, Maskottchen, Puppen, Muscheln, Töpfereien, Makrameekissen, getrocknete Blumen und was weiß ich noch alles sind eine Nabelschnur, die das Äußere mit dem Inneren verbinden, die Welt der Arbeit mit dem Zuhause, das wir morgens hinter uns lassen. Ihre Vertrautheit beruhigt. Und gleichzeitig hat diese Zurschaustellung von Intimität eine exhibitionistische Funktion. Ich möchte meinen Besuchern zeigen, dass ich existiere, dass ich kein unsichtbarer Befehlsempfänger bin. Ja, ich habe einen Haufen Kinder! Einen liebevollen Ehemann! Einen Hund, der mir am Abend den Kopf in den Schoß legt! Ja, ich habe den Mont Blanc bestiegen und bin im Kajak durch die Schlucht von Verdon gefahren! Ich bin ein furchtloser Abenteurer, auch wenn ich nicht danach aussehe in meiner Sakko-Krawatten-Kombination.

Seht her, ich bin eigentlich ganz anders!

All dieser Nippes kann denjenigen in Richtung Freiheit katapultieren, dessen einziges Abenteuer der Gang zum Kaffeeautomaten ist. Das klassische Gegenmittel gegen diese Art von existenzieller Tristesse ist ein an die Wand gepinntes Postkarten-Patchwork: Malaga, die Antillen, Tibet, die Côte d’Azur – 10 mal 15 Zentimeter Eskapismus, das Versprechen eines anderen Lebens, wenn sich die Akten auf dem Schreibtisch stapeln. In die gleiche Kategorie gehört der berühmte Pirelli-Kalender. Nackte, rittlings auf Motorrädern sitzende Blondinen sind traditionell den Lkw-Fahrern und Handwerkern vorbehalten – eine Flucht der anderen Art. Gut, dass im Bundesrat niemand auf die Idee käme, üppige Brüste an die Wand zu pinnen. Das wäre ja unseriös.

Aus dem Französischen übersetzt von Jens Mühling.

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