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Tagesspiegel-Kolumnistin Pascale Hugues liest und diskutiert im Tagesspiegel-Salon.

© Thilo Rückeis

Mon BERLIN: Ich tu, was ich kann

Auf einer Party sollte man lieber nicht sagen: "Ich bin bei einer Reinigungsfirma angestellt." Ein anderer Satz geht jedoch immer

Wie füttert man den obligatorischen Smalltalk all der Weihnachtsfeiern, Silvesterparties und anderen Festivitäten, die wir am Jahresende durchqueren? Denn ins gesellschaftliche Aus manövriert man sich bis in alle Ewigkeit, wenn man sich stumm die Beine in den Bauch steht, mitten im Zimmer, ein Glas Prosecco in der Hand, ein Märtyrerlächeln auf den Lippen. Überall um einen herum verschworene Grüppchen, das schwatzende Gemurmel, Lachkaskaden. Und Sie, wie durchsichtig, allein auf der Welt. Die Augen betteln: „Bitte, bitte, sprecht mich an! Nur ein paar Worte!“ Aber Sie werden von allen ignoriert. Und so klammern Sie sich mit beiden Händen an Ihr Glas wie an eine Rettungsboje mitten im sturmgepeitschten Ozean.

Wie übersetzt man "Brustwarzen" ins Englische?

Ein Freund, auf Botschaftsempfänge abonniert, bei denen er nie jemanden kannte, hat eine raffinierte Technik erfunden, um sich aus der Affäre zu ziehen: Statt angewurzelt irgendwo stehen zu bleiben und auf ein Wunder zu hoffen, lächelte er plötzlich, winkte vage einer fiktiven Bekannten am anderen Ende des Raums zu und eilte mit großen Schritten und einem glücklichen Lächeln über das Parkett. Sobald er am anderen Ufer angelangt war, begann er von neuem, diesmal in entgegengesetzter Richtung. So ging es im Lauf des Abends mehrmals hin und her, ohne dass er jemals einen anderen Gast angesprochen hätte. Mit diesem Trick konnte er das Gesicht wahren – und sich dabei physisch verausgaben. Als neugeborener Partylöwe wurde er unvermittelt zum Objekt der Begierde.

Worüber unterhält man sich also bei den Berliner Parties in der Festsaison? Natürlich verbietet es sich von selbst, über einen unbeliebten Kollegen herzuziehen, schließlich sind die Feten eine Zeit des universellen Friedens selbst mit dem, der im Büro nebenan sitzt. Auch gesundheitliche Probleme sind heikel. Kürzlich saß ich einen ganzen Abend neben einer Dame, die mir zwei Stunden lang ihre Rückenschmerzen herunterbetete, um beim Dessert die Apotheose zu erreichen, nämlich ihre Übelkeitsanfälle. Ich muss gestehen, dass die Rote Grütze mir im Hals stecken blieb. Im Dezember wurden in meinem Beisein nacheinander die folgenden Themen erörtert: Ist ein Mann im Anzug sexier als ein Mann in Jeans? (Diese weltbewegende Frage spaltete die Versammlung derart, dass wir erst spät nachts auseinandergingen, ohne dass es zu einer Einigung gekommen wäre!)

Beweist Kant, dass die deutsche Sprache abstraktionsfähiger ist als die französische? Ursprünglich waren wir bei einem Essen mit einem Glas Weißwein. Nach dem Übergang zu Rotwein verfiel das Niveau des Gesprächs in rasender Geschwindigkeit, sodass beim Dessert, glaube ich – allerdings sind meine Erinnerungen etwas verschwommen – die anwesenden Philologen darüber stritten, wie das, wie wir alle fanden, sehr hässliche Wort „Brustwarzen“ ins Englische zu übersetzen sei.

He is a social climber

Beachten Sie, dass die Erwähnung des Flughafens Berlin-Brandenburg eine dahindümpelnde Konversation sofort wieder in Schwung bringt. Aber nachdem verschiedene ungefährliche Themen gestreift worden sind, steuert man unausweichlich auf eine bestimmte Frage zu. Seit einer Stunde schon spekuliert man darüber, bis man sich nicht länger zurückhalten kann und mit vorgetäuscht nonchalanter Stimme fragt: „Und was machst Du so beruflich?“ Ich höre, wie die Schubladen der sozialen Klassifikation aufgehen, und, nachdem jeder korrekt verstaut ist, sich klapp klapp wieder schließen. Wenn Sie unbefangen antworten: „Ich bin Hausfrau“, oder „Ich bin bei einer Reinigungsfirma angestellt“, erlöschen die Augen ihres Gesprächspartners unvermittelt. Der gesellschaftliche Status sinkt ab wie die Sitze in den Kettenkarussells meiner Kindheit.

Über einen sehr versnobten und sehr karrieristischen Journalisten in London sagte mal jemand: „Oh, Bruce is a social climber.“ Und eine strenge Stimme korrigierte: „You mean, he is a social mountaineer.” Ich stellte mir Bruce vor, wie er bei einer Silvesterparty als erster in der Seilschaft mit seinen Steigeisen den Mont Blanc der gesellschaftlichen Anerkennung besteigt.

Während ich das schreibe, kommt mir ein Chanson von Diane Dufresne in den Sinn, einer extravaganten Sängerin aus Québec. An einer grünen Ampel in Montréal begegnet sie dem Mann ihres Lebens. Sie bietet ihm an, ihn nach Hause zu fahren. Er lädt sie in seine Wohnung ein. Bietet ihr einen Drink an. Sie finden sich sympathisch. Und da kommt auch schon die fatale Frage: „Was machst du so beruflich?“

Und sie antwortet: „Ich tu, was ich kann.“

Jedem seine selbstgebastelte Weisheit, um den eigenen Ehrgeiz zu bändigen. Das Couplet habe ich nie vergessen. Der Akzent von Québec verleiht ihm seinen ganz besonderen Charme. Man sollte es an Silvester mal ausprobieren.

Bonne année!

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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