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Problematisches Verhältnis: Francois Fillon beschäftigte seine Frau Penelope - und bezahlte sie aus der Parlamentskasse.

© dpa

Mon BERLIN: Wie schafft ihr Deutschen es, so tugendhaft zu sein?

In Frankreich hat praktisch jeder Politiker seinen Skandal, gönnt sich seine kleine Korruptheit - in Deutschland nicht. Warum nicht? Eine Kolumne

Eine Kolumne von Pascale Hugues

Wie machen sie das, die Deutschen? Nicht zum ersten Mal in meiner langen Karriere als Korrespondentin in diesem Land bittet mich ein Pariser Chefredakteur, Ihnen, den Deutschen, diese Frage zu stellen. Wie funktionieren Ihre Schulen? Wie haben sie Ihren Arbeitsmarkt reformiert? Und das duale System? Nicolas Sarkozy sagte einmal: Wenn jemand etwas besser macht als man selbst, ist es keineswegs verboten, sich von ihm inspirieren zu lassen. Was ist das für ein einfallsloser Präsident, der mit seinem Latein dermaßen am Ende ist, dass er nervös auf seinem Stift herumkaut, während er dem Sitznachbarn dessen Lösungen abschaut. Dem Nachbarn auf der anderen Seite des Rheins. Natürlich hält das die Franzosen nicht davon ab, sich über die deutschen Streber lustig zu machen, immer Klassenbeste, aber absolut humorlos.

Diese Woche war es wieder so weit. Ich bekam eine Mail aus meiner Pariser Redaktion, die seit zwei Wochen versucht, im Penelope-Gate Klarheit zu schaffen. Die Frage der Redaktion: Wie schaffen es die Deutschen, so tugendhaft zu sein? Kannst du beim Bundestag nachfragen, ob es möglich ist, seinen Partner oder ein anderes Familienmitglied als parlamentarischen Assistenten anzustellen? Ein kurzer Anruf, klar und deutlich: Nein. Der Bundestag untersagt, dass ein Parlamentarier einen Partner anstellt und mit öffentlichem Geld bezahlt, das gilt sogar für Ex-Partner. Wer mit seiner Frau oder seinem Ehemann arbeiten will, muss ihn schon selbst bezahlen. In der Regel ist aber nicht die Rede davon, was passiert, wenn ein Abgeordneter sich während seines Mandats in seine Assistentin verliebt. Eine nicht zu vernachlässigende Wahrscheinlichkeit, die der Gesetzgeber besser berücksichtigen sollte.

Jeden Morgen höre ich am Frühstückstisch den Radiosender France Inter. Frankreich fliegt so in meine Küche. Ein gesetzloses Frankreich. Ein Frankreich, wo sich jeder straflos seine kleine private Korruptheit gönnt. Statt hinter ihren Louis-XV-Schreibtischen Nägel zu kauen oder mit Sudoku die Zeit totzuschlagen, sammeln französische Politiker Skandale. Jeder hat seinen eigenen. Da gibt es den Mitterrand-Skandal, den Chirac-Skandal, den Juppé-Skandal. . . Sarkozy darf diese Tage sogar noch einmal vor Gericht. Und siehe da, nun hat auch der Moralist Fillon seinen eigenen: Ihm wird vorgeworfen, er habe seine Frau Penelope mit hunderttausenden Euro öffentlichen Geldes fürs Nichtstun bezahlt.

Alles abfackeln? Ist zwar keine Lösung. Aber eine Versuchung

Während ich laut die Berichte im Radio höre, trifft mich plötzlich eine Frage wie ein Schlag: Wen werde ich diesen Frühling überhaupt wählen? Der Fillon-Skandal öffnet eine kerzengerade Autobahn in Richtung Präsidentschaft für Marine Le Pen. Wie viele Franzosen werden, angeekelt, aus Wut, Verdruss oder Verzweiflung den Front National wählen? Man weiß ja auch, dass der FN seine eigene, beachtliche Ladung schmutzige Wäsche mitbringt. Aber das Gefühl ist eher dieses: Wieso nicht eine große Menge Dynamit reinstellen und alles abfackeln? Das ist zwar keine Lösung. Aber eine Versuchung.

2002, als Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl kam, gegen Jacques Chirac, sind wir auf die Straße gegangen, untergehakt Arm in Arm. Wir sind von Bastille nach République marschiert, die traditionelle Route großer Pariser Demonstrationen. Es hat wehgetan, aber wir haben uns auf die Lippen gebissen und unsere Pflicht erfüllt: Chirac wählen. Wenige Wochen zuvor wäre das noch eine surreale Vorstellung gewesen. Aber es galt, Jean-Marie Le Pen zu verhindern, um jeden Preis. Diese „republikanische Front“, wird sie auch wieder halten, wenn seine Tochter am 7. Mai im zweiten Wahlgang landet? Welche Wahl haben wir? Fragen wir doch die Deutschen.

Die Abgeordneten zahlen in der Kantine des Bundestags ihren Kaffee aus der eigenen Tasche. Die Kanzlerin hat nach zwölf Jahren an der Macht nicht mal einen Mini-Skandal zu verbuchen. Und ihr sozialdemokratischer Rivale wird vergöttert, auch weil er seine Finger nie in die Kassen des Staates gesteckt hat. Wie machen Sie das, liebe Deutsche?

- Aus dem Französischen übersetzt von Fabian Federl.

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