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Der damalige Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder wurde am 1. April 1991 zum letzten Opfer der RAF.

© Andreas Altwein/dpa

Mord an Detlev Karsten Rohwedder: Das letzte Opfer der RAF

Er war der Inbegriff des gierigen Kapitalismus für die RAF. Detlev Karsten Rohwedder, Chef der Treuhandanstalt wurde heute vor 25 Jahren das letzte Opfer der Roten Armee Fraktion.

Der Mörder sitzt auf einem Gartenstuhl, sein Opfer trägt einen blauen Pyjama. Ostermontag 1991, 1. April, Düsseldorf, es ist 23.30 Uhr. Auf dem Gartenstuhl, in einem Schrebergarten in den Rheinauen, zielt ein Scharfschütze der Roten Armee Fraktion (RAF) auf ein Fenster im ersten Stock einer Patriziervilla, Adresse: Kaiser-Friedrich-Ring 71. Das RAF-Mitglied drückt ab, 63 Meter entfernt sackt Detlev Karsten Rohwedder tödlich getroffen zusammen. Er verblutet auf dem Boden seines Arbeitszimmers.

Die RAF hatte mit ihrem „Kommando Ulrich Wessel“ den Vorstandsvorsitzenden der Treuhandanstalt erschossen. Vor genau 25 Jahren verübte die RAF ihren letzten, ihren 33. Mord. Zwei Jahre später flog das neu gebaute Gefängnis in Weiterstadt in die Luft, wenige Tage bevor die ersten Gefangenen einziehen sollten. Weiterstadt war der letzte Anschlag der Roten Armee Fraktion insgesamt, 1998 löste sie sich auf. 

Aber sieben Jahre zuvor fanden Ermittler in einem wild wuchernden Garten gegenüber dem Tatort zwischen Holundersträuchern und Kirschbäumen einen Gartenstuhl und ein Frottierhandtuch und daneben, beschwert mit einem Fernglas, ein elfzeiliges Schreiben der RAF. Überschrift: „WER NICHT KÄMPFT, STIRBT AUF RATEN FREIHEIT IST NUR MÖGLICH IM KAMPF UM BEFREIUNG“.

Das BKA wusste, dass Rohwedder ein Ziel der RAF war

Fünf Tage später landet eine ausführlichere Erklärung der RAF  bei einer  Nachrichtenagentur in Bonn. Das Bekennerschreiben ist sechs Seiten lang, ein Geschwurbel, das hauptsächlich aus Phrasen besteht. In dem Schrieb erklärt die RAF, warum sie den 58-Jährigen als Opfer ausgesucht hatte. „Für ihn gab es von Anfang an nichts in der EX-DDR, was seinem auf Profit ausgerichteten Blick irgendwelche Werte hatte. Alles dort war für ihn immer nur Konkursmasse.“  Rohwedder selber hatte mal Vertrauten erklärt: „Ich fühle mich als Buhmann der Nation.“

Natürlich wusste auch das Bundeskriminalamt (BKA), dass so jemand im Visier der RAF steht. Schließlich hatte die 18 Monate zuvor den Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen in die Luft gejagt. Die Fenster im Erdgeschoss der Patriziervilla bestehen aus vier Zentimeter dickem schusshemmendem Glas. Aber halt nur im Erdgeschoss. Im ersten Stock ist ganz normales Fensterglas. Und genau dorthin hatte der Schütze gezielt. Und mit einem weiteren Schuss auch noch einen Arm von Rohwedders Frau Hergard getroffen,  die ihrem Mann zu Hilfe geeilt war.

Der Vorstandsvorsitz der Treuhand, das „ist der schwierigste Job, der in der Wirtschaft zu vergeben ist“, hatte der „Rheinische Merkur“ über diese Arbeitsstelle geschrieben. Die Treuhand sollte nach der Wiedervereinigung 8000 Ex-volkseigene Betriebe sanieren und privatisieren.

Das war schon im Ansatz aussichtslos. Denn die meisten Betriebe waren völlig marode und hatten keine Überlebenschance. Deshalb landeten tausende Arbeitnehmer plötzlich auf der Straße, viele Betriebe wurden dicht gemacht. Damit nicht genug. Kriminelle Investoren plünderten andere Betriebe  aus, machten eine schnelle Mark und hinterließen emotional und wirtschaftlich einen Trümmerhaufen. Zudem waren einige der Deals der Treuhand auch noch hoch umstritten. 

Demonstranten trugen Transparente mit der Aufschrift „Treuhand – Sterbehilfe“ durch Berlin.

RAF isoliert sich in der Linken Szene

Rohwedder war das Gesicht dieser Misere, das perfekte Feindbild. Er verkörperte die negativen Seiten der Wende. Bundeskanzler Helmut Kohl hatte den Ostdeutschen „blühende Landschaften“ versprochen. Doch die Ostdeutschen sahen Rohwedder und seine Treuhand, und sie sahen vor ihrem geistigen Auge nur brutalen Wildwuchs. Und so trieb der Treuhandchef Tausende zur verbalen Gegenwehr auf die Straße.

Für die RAF war er damit das perfekte Symbol. Denn sie war damals selbst im Umbruch und stand vor offenen Fragen. Ihre dritte Generation, seit 1984 aktiv, hatte hohe Manager mit Genickschuss getötet oder in die Luft gejagt, sie hatte einen Ministerialdirektor vor seinem Haus erschossen, sie hatte sogar einen kleinen GI ermordet, nur um an seine Ausweispapiere zu kommen und auf der US Air Base in Frankfurt am Main ein mit Sprengstoff gefülltes Auto in die Luft zu jagen.

In ihrer Auflösungserklärung beschrieb die RAF 1998, was sie mit diesen Anschlägen bezweckt hatte. „Die RAF ging in den achtziger Jahren davon aus, dass der sozialrevolutionäre Ansatz im Angriff auf die zentralen Machtstrukturen des Imperialismus enthalte sei. Mit dieser Vorstellung wurde die Politik immer abstrakter.“

Hinter diesen Phrasen der Terroristen steckt eine einfache Erkenntnis: Die legale Linke sah in der RAF nicht die Speerspitze einer Revolution, sondern einen aktionistischen Haufen, der ohne Sinn und Verstand bombte. Und dem wollte sie nicht folgen. Kein Wunder, dass die RAF 1998 feststellte: „Die Wirkung [der Attentate, Anm. der Redaktion] in die Gesellschaft blieb begrenzt.“ Die RAF hatte sich in der linken Szene zunehmend isoliert. Im Rest der Gesellschaft hatte sie sowieso nie Verständnis. 

Das Umdenken hatte allerdings schon Jahre zuvor begonnen. In einem ihrer vielen Schreiben gestand die RAF: „Wir haben seit 89 angefangen verstärkt darüber nachzudenken und zu reden, dass es für uns wie für alle, die in der brd eine geschichte im widerstand haben, nicht mehr so weitergehen kann, wie bisher.“ Dieser Satz stand in der Erklärung vom 10. April 1992.

Es war eine legendäre Erklärung, die auch innerhalb der RAF größten Streit hervorrief, zwischen inhaftierten Hardlinern der RAF einerseits und moderateren RAF-Gefangenen sowie den Illegalen in der Freiheit andererseits. Denn in dieser Erklärung verkündete die RAF, sie wolle künftig auf Morde verzichten. Für die RAF-Hardliner im Knast war das Verrat der Illegalen, die draußen unerkannt lebten.

Doch ein Jahr vor der so genannten „Zäsur-Erklärung“, 1991, war die RAF noch  nicht ganz so weit.  Damals wollte sie noch Beides: ein Umdenken ihrer Politik,  aber auch  „Aktionen“. Sie wollte sich der legalen Linken nähern, um mit ihr gemeinsam den Kampf gegen das System zu führen. Und sie wollte ihr, quasi als schmackhaften Köder, ein Attentat anbieten, hinter dem die Linken inhaltlich stehen könnten und das sie nicht als weiteren sinnlosen Mord ansehen würden.

Der Plan ging nicht auf

Detlev Karsten Rohwedder war für diesen Plan aus Sicht der RAF das ideale Opfer. Denn ihn konnte sie zum Inbegriff des gierigen Kapitalisten stilisieren, der Zeit seines Lebens Menschen angeblich knechtete und ausbeutete.  Kein Wunder also, dass im Bekennerschreiben des Kommandos „Ulrich Wessel“ stand, Rohwedder sei in den 70er Jahren als Wirtschaftsstaatsekretär „einer dieser Schreibtischtäter“ gewesen sei, „die täglich über Leichen gehen und im Interesse von Macht und Profit Elend und Not von Millionen Menschen planen“. Und als Chef des Hoesch-Konzern habe er sich in den 80er-Jahren „als brutaler Sanierer“ einen Namen gemacht. 

Hier wurde, in der menschenverachtenden Logik der RAF, ein Mann für seine jahrzehntelang Taten bestraft. Doch diese brutale Logik ging zum Glück nicht auf. Die legale Linke blieb wortlos abseits, die Demonstrationen gegen die Treuhand hörten kurze Zeit später auf. Mitleid für das Opfer überwog. 

Doch wie beim Thema RAF nicht anders zu erwarten, kursierte nach dem Mord wieder eine wilde Theorie. Eine der abstrusen Thesen zum Thema RAF war die Behauptung von zwei Buchautoren gewesen, die Dritte Generation der RAF habe es nie gegeben. Die Morde hätten stattdessen deutsche Geheimdienste ausgeführt. Nach dem Rohwedder-Mord, kursierte die Theorie, die Stasi hätte hinter dem Mord gestanden.

„Das ist völliger Quatsch“, sagt Rainer Griesbaum dazu im April 2016 dem Tagesspiegel. „Dafür gibt es keinerlei Hinweise.“ Griesbaum war Bundesanwalt, er war führend bei der Jagd nach der dritten RAF-Generation, nun ist er im Ruhestand. Noch jemand hatte zu der Stasi-Theorie gesagt: „Das ist natürlich Quatsch.“

Birgit Hogefeld hatte dies erklärt, ein Mitglied der Dritten Generation der RAF, 1993 in Bad Kleinen festgenommen. 1997 hatte sie dem „Spiegel“ ein Interview gegeben. In diesem Gespräch, sagte sie „dass es zu solchen Theorien überhaupt kommen konnte, war auch ein Ergebnis von Fehleinschätzungen, die sich aus der Abschottung der  Illegalen von der realen Gesellschaft ergaben“.

Zehn Tote, drei versuchte Mordanschläge und mehr als zwei Dutzend Verletzte sind die blutige Bilanz der dritten RAF-Generation. Aus dieser Generation wurden nur Hogefeld, Eva Haule und Manuela Happe gefasst und verurteilt. Hogefelds Freund Wolfgang Grams verübte 1993 in Bad Kleinen Selbstmord, als er und Hogefeld festgenommen werden sollten. #

Die Mörder von Rohwedder sind  bis heute nicht bekannt. 

Nicht eines der Attentate der Dritten Generation ist vollständig aufgeklärt. Die Mitglieder der Dritten Generation hinterließen so gut wie keine brauchbaren Spuren. Drei dieser Mitglieder werden bis heute namentlich gesucht, Daniela Klette, Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg. Sie sollen am Sprengstoffanschlag von Weiterstadt beteiligt gewesen sein. Die lange Zeit letzte Spur von dem Trio hatte das BKA 1999. Damals überfielen Klette, Staub und Garweg einen Geldtransporter und stahlen eine Million D-Mark. 2015 erschienen die Drei völlig überraschend wieder auf der Bildfläche: wieder mit Panzerfäusten und Maschinenpistolen in der Hand, wieder wollten sie einen Geldtransporter überfallen. Zweimal sogar. Doch jedes mal mussten sie ohne Beute fliehen. Sie sind bis heute spurlos verschwunden.

Eine Spur gab es immerhin auch nach  dem Mord an Rohwedder. An dem Frotteehandtuch, das in dem Schrebergarten gefunden wurde, klebte ein Haar von Wolfgang Grams. „Aber“, sagt Ex-Bundesanwalt Griesbaum, „das muss nicht bedeuten, dass er auch der Schütze war. Wir wissen ja gar nicht, wann und wie das Haar an das Handtuch gekommen ist.“ 

Die Mörder von Rohwedder sind  bis heute nicht bekannt. 

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