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Im BLICK: Mord und Mainstream

Andrea Dernbach über Islamophobie ein Jahr nach Marwa el-Sherbinis Tod.

Bald wird der Mord an Marwa el-Sherbini ein Jahr zurückliegen. Die Ägypterin wurde am 1. Juli 2009 im Gerichtssaal von einem Mann erstochen, der sie zuvor massiv beleidigt hatte. Nach ihrer Zeugenaussage im Prozess um diese Beschimpfungen erstach er die schwangere Frau vor den Augen ihres kleinen Sohnes. Ihr Mann, Wissenschaftler am Dresdner Max-Planck-Institut, überlebte den Versuch, sie zu retten, nur knapp.

In Ägypten wurde el-Sherbini umgehend zur „Kopftuchmärtyrerin“. In Deutschland dagegen blieb die Tatsache, dass hier zum ersten Mal ein Mensch muslimischen Glaubens offensichtlich deswegen umgebracht wurde, merkwürdig unterbelichtet. Dresdens Oberbürgermeisterin fehlte auf der Gedenkfeier für Marwa ebenso wie Sachsens Ministerpräsident und Vertreter der Bundesregierung. Die Kanzlerin hielt deutlich Distanz zur These, der Mord sei rassistisch motiviert. Von Islamophobie als Motiv sprachen nur die muslimischen Verbände – und der Zentralrat der Juden.

Gerade jetzt ist ein UN-Bericht erschienen, der die Scheu, die Dinge beim Namen zu nennen, erklären könnte. Deutschlands Begriff des Rassismus sei zu eng, kritisiert der UN-Sonderberichterstatter über Rassismus in seinem Deutschlandreport, der in dieser Woche im Genfer UN-Menschenrechtsrat diskutiert wurde. Unter Rassismus, moniert der kenianische Jurist Githu Muigai, der 2009 Deutschland bereiste, verstünden Politik und Verwaltung vor allem rechtsextremistische Taten. Das verhindere, dass auch auf andere Formen von Rassismus und Diskriminierung ein Licht falle – obwohl es an ihnen nicht mangele. Markus Löning, der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, erwiderte, Rassismus sei angesichts der deutschen Geschichte hierzulande ein „sensibles Thema“ und „mit großer Vorsicht zu behandeln“.

Womöglich liegt darin das Problem – das sieht nicht nur der UN-Sonderberichterstatter so. Die Erlanger Kommunikationswissenschaftlerin Sabine Schiffer, die ein Buch über Parallelen von Antisemitismus und Islamophobie geschrieben hat, meint: „Der Blick von heute auf gestern verstellt leicht den Blick auf morgen.“ Antisemitismus sei viel älter als der Holocaust, aber die Diskussion verenge ihn darauf. Das verhindere „ein Verstehen der Zusammenhänge ebenso wie ein Wiedererkennen des zugrunde liegenden rassistischen Denkens“.

So durfte selbst in der Neuauflage der Islamkonferenz Islamophobie kein Thema sein; den Vorschlag der Muslime, eine Arbeitsgruppe einzurichten, lehnte das Innenministerium ab. Ohnehin trägt aus Sicht der UN die Politik selbst zur Diskriminierung bei. Berichterstatter Mugiai empfiehlt die Überprüfung jener Ländergesetze, die muslimischen Lehrerinnen das Kopftuch verbieten. Sie könnten diskriminierend wirken. Tatsächlich ist der Kurzschluss „Islam – Gewalt“ nicht nur im Alltagsleben präsent; er dient in der Verbindung „Islam gleich Politik“ zur Begründung einiger Kopftuchgesetze. Solche Kombinationen aber schürten erst jenes Misstrauen, das geeignet sei, Muslime in die Arme von Extremisten zu treiben, schrieb dieser Tage Alexander Ritzmann von der European Foundation for Democracy im Tagesspiegel. Die US-Regierung habe sich deshalb von Begriffen wie „radikaler Islam“ und „islamistischer Terror“ ganz verabschiedet.

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