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Politik: Moskau bedauert "kolossalen Fehler" - und bleibt

MOSKAU . Für Boris Jelzin ist der Handstreich russischer Truppen, die entgegen der Zusicherung von Außenminister Igor Iwanow in der Nacht zum Sonnabend ohne Abstimmung mit dem Westen und ohne Mandat der Vereinten Nationen ins Kosovo einrückten, kein Thema.

MOSKAU . Für Boris Jelzin ist der Handstreich russischer Truppen, die entgegen der Zusicherung von Außenminister Igor Iwanow in der Nacht zum Sonnabend ohne Abstimmung mit dem Westen und ohne Mandat der Vereinten Nationen ins Kosovo einrückten, kein Thema. Bei einer Feierstunde zum Tag der Unabhängigkeit erwähnte der Kremlherr, der laut Verfassung auch Armeeoberbefehlshaber ist, die Vorgänge mit keinem Wort. Und dessen außenpolitischer Berater, Sergej Prichodko, ließ mehrere Stunden nach dem Einmarsch verstreichen, ehe er sich zu einer Erklärung im Fernsehen aufraffte: Der Einmarsch, so Prichodko angesichts der inzwischen globalen Verwirrung ob des russischen Alleingangs, hätte nach Lage der Dinge niemanden überraschen dürfen.

Was zu bezweifeln ist. Außenminister Igor Iwanow hatte noch am Freitag seiner US-amerikanischen Kollegin Madeleine Albright zugesagt, daß Rußlands Bosnien-Soldaten nicht ohne Abstimmung mit der Allianz ins Kosovo einrücken würden - und deren Invasion sogar als "kolossalen" Fehler bezeichnet, der korrigiert werden müsse. Daß dies bislang nicht erfolgte, nährt nur Spekulationen über die wirkliche Schlüsselgewalt in Moskau. Weiterhin ist unklar, wer den unseligen Befehl gab. Experten nennen Generalstabschef Anatolij Kwaschnin, der angeblich einer Bitte des jugoslawischen Oberkommandos entsprochen habe, russische Soldaten "rein symbolisch" als erste einrücken zu lassen. Die Rolle Jelzins bleibt daher nach wie vor ebenso im Dunklen wie mögliche Folgen der Nacht- und Nebelaktion.

Die UCK, die bislang die Entwaffnung verweigert und gegen eine russische Präsenz ohne UN-Mandat Sturm läuft, hat bereits erklärt, deren Sicherheit nicht garantieren zu können. Nun besetzten die Russen auch noch den von den Briten anvisierten Zlatina-Flughafen von Pristina. Der praktische Nutzen ist für Moskau bisher jedoch eher gering: Ungarn und die Ukraine verweigern die Überflugrechte für weitere 2000 russische Soldaten, die seit Freitag auf Luftwaffenbasen in Zentralrußland auf das Startkommando warten.

Angesichts dieser Gemengelage kommt die Aufgabe, neue politische und wirtschaftliche Kollateralschäden in dem ohnehin arg ramponierten Verhältnis Rußlands zur Nato zu verhindern, der Quadratur des Kreises gleich. Erste Erfolge können Außenminister Iwanow und sein unfreiwilliger Dauergast, US-Vize-Außenminister Strobe Talbott, dennoch verbuchen: Die "wichtigste Aufgabe des heutigen Tages" sei erfüllt, sagte Iwanow nach Abschluß der von beiden Seiten als schwierig bezeichneten Verhandlungen. Ihm, so Iwanow weiter, sei es gelungen, die Besorgnisse des Westens über den russischen Alleingang zu zerstreuen. Die Konsultationen zu den konkreten Details der Beteiligung Rußlands an der internationalen Friedensmission würden in den nächsten Tagen fortgeführt, "damit unsere Blauhelme ihre edle Mission normal und effektiv erfüllen können". Iwanow soll Talbott zudem zugesichert haben, daß die Russen ihre gegenwärtigen Stellungen bis zu einer einvernehmlichen Lösung nicht verlassen würden. Im Gegenzug habe Talbott Iwanow versprochen, daß Rußlands Interessen berücksichtigt würden und Moskau eine nicht näher definierte "Zone der Verantwortlichkeit" bekomme. Großbritanniens Außenminister Cook betonte, er werde keine ostdeutsche Lösung nach dem Prinzip akzeptieren, daß sich ein Teil des Kosovo von dem anderen allein deswegen unterscheidet, weil dort zufällig russische Truppen stehen.

Details sollen erst zum Abschlußtreffen des G-8-Gipfels am kommenden Sonntag in Köln bekanntgegeben werden. Am Rande des Gipfels will der Kremlchef mit Bundeskanzler Schröder und US-Präsident Clinton zu Konsultationen zusammentreffen.

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