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Mügeln

© dpa

Mügeln: Stadt der Opfer

Ein Zeichen setzen? Mügeln präsentiert sich - aber nicht gegen rechts.

Die Frau, die da am Tor steht, ist außer sich. Cornelia Thiem, um die 50, Hartz- IV-Empfängerin und Mutter von sechs Kindern, kann ihre Wut nicht mehr zurückhalten. Sie sagt Sätze, die man in Mügeln dieser Tage nicht häufig hört. Einer lautet: „Die Mügelner müssen sich endlich eingestehen, dass sie Schuld auf sich geladen haben.“ Er wird ihr an diesem Tag noch gehörigen Ärger, ein Hausverbot und eine Entschuldigung einbringen.

Cornelia Thiem steht am Tor des Schlosses Ruhethals in Mügeln. Im Hof bauen Männer mit schwarzen T-Shirts und Piercings die Konzertbühnen für den Abend auf. Eine Woche nach der Hatz auf acht Inder wollen die Bewohner des Städtchens dort nun „ein Zeichen setzen“, wie es heißt. Bands sollen auftreten, die örtlichen Vereine sich präsentieren, und am Abend wollen die Mügelner bei einer Podiumsdiskussion über die Ausschreitungen und das Bild Mügelns in den Medien diskutieren. „Wir wollen zeigen, dass es in Mügeln tausend Farben gibt, nicht nur Braun“, sagt Schlossherr und Initiator Jörg Mertens-Nachtweide, der ein paar Meter entfernt vom Schlosstor Infotafeln aufstellt.

Der Wunsch gegen das in den Medien gezeichnete Bild der Stadt vorzugehen, ist groß. Schon am Samstagabend hatten sich Einwohner – etwa 200 von 5000 – auf dem Marktplatz zu einem Friedensgebet versammelt und Kerzen vor der Pizzeria abgestellt, in die die Inder sich vor ihren 50 Verfolgern geflüchtet hatten. Der Bürgermeister distanzierte sich von den Ausschreitungen – und erntete lauten Applaus, als er sagte: „Ebenso distanzieren wir uns von dem in den Medien gezeichneten Bild, dass es in Mügeln offenen oder latenten Ausländerhass gibt.“

„Da bin ich zusammengezuckt“, sagt Cornelia Thiem. Sie hat Gründe dafür. Thiem jobbt bei der Stadtreinigung. Am Montag hat sie mit Kolleginnen das zusammengeräumt, was von der Nacht zum Sonntag übrig geblieben war. „In einer Pause habe ich gesagt, dass ich glaube, dass das eine rechtsextreme Tat war“, sagt sie. „Und dann drohte mir eine der Frauen.“ Wenn sie das laut sage, müsse sie sich nicht wundern, wenn ihr jemand die Scheiben einwerfe. Schlossinhaber Mertens-Nachtweide nennt solche Geschichten„negative Energien“. Damit meint er nicht die Drohungen gegen Thiem, sondern die Tatsache, dass sie davon erzählt. Er gibt der Frau erst einmal Hausverbot.

„Wir können niemanden brauchen, der braune Geschichten hierherbringt“, sagt er, und man bekommt den Eindruck, dass nicht acht Inder gejagt wurden, sondern die Mügelner selbst. Ein hagerer Mann mit Brille sagt: „Wir sind auch Opfer – Opfer dieser Medienmeute.“ Klar, das mit den Indern sei nicht in Ordnung. Aber was nun in Mügeln geschehe, sei doch „mindestens ebenso schlimm“.

Claudia Thiem geht davon. Erst als ein Redakteur des Mitteldeutschen Rundfunks, der die abendliche Podiumsdiskussion mitorganisiert, sagt, dass er eine offene Bühne für alle Meinungen wolle, entschuldigt sich Mertens-Nachtweide und lädt sie wieder ein. Andere, die er ebenfalls eingeladen hat, sind nicht gekommen: Es sind die acht verletzten Inder. Sie haben sich am Sonntagnachmittag nur ein paar Kilometer entfernt mit ihrem Anwalt getroffen.

Am Abend kommt es dann doch noch zu einem Eklat – ganz ohne Claudia Thiem. Die Rockmusiker von „Virginia Jetzt“ sollen spielen. Nach dem ersten Song, es ist dunkel geworden, sagt Sänger Thomas Dörschel von der Bühne: „Wir fühlen uns nicht in der Lage, hier ein Konzert zu geben.“ Virginia Jetzt habe an dem Abend „kein einziges Mal eine Entschuldigung gehört.“ Vereinzelte Pfiffe. Ein Song noch. Dann kehrt in Mügeln Ruhe ein.

Steffen Kraft[Mügeln]

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