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Der Rauch der Silvesterböller ist gerade fortgezogen, da geht das politische Leben wieder los. Für viele Entscheidungsträger wird 2015 ein wegweisendes Jahr.

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Müller, Lindner, Lucke & co.: Politiker 2015: Wer muss sich beweisen?

Landtagswahlen, interne Machtspiele und der Kampf ums politische Überleben stellen viele Amtsträger vor Herausforderungen. Lesen Sie, auf wen es 2015 in der deutschen Politik ankommt.

Müller möchte seriös bleiben

Es soll das Jahr der Konsolidierung für die Berliner SPD und Michael Müller werden. Der Regierende Bürgermeister muss die Hauptstadt und die Republik davon überzeugen, dass er sein Versprechen vom seriösen Regieren umsetzt. Denn in eineinhalb Jahren stehen im Herbst 2016 Landtagswahlen an.

Wenn die Landes-SPD ihrem Ergebnis von 2011 (28,3 Prozent) nahekommen und ein schwarz-grünes Bündnis im Abgeordnetenhaus verhindern will, muss sie auf Querschüsse und Intrigen verzichten und gemeinsam mit ihrem Spitzenmann ein Programm vorbereiten, das zu den Berliner Erwartungen passt. Müller hat nach seinem Sieg im Mitgliedervotum schon gemahnt: „Wer glaubt, jetzt noch Sand ins Getriebe streuen zu können: Ab in die Buddelkiste, macht es da, ich habe keine Zeit und keine Nerven dafür.“ Der Ex-Parteichef, der dieses Amt vor zweieinhalb Jahren nach einem Machtkampf verlor, kennt eben seine Genossen.

Das Gebot der Seriosität, welches das innere Gefüge in Berlin bestimmen soll, gilt aber auch nach außen. Die Berliner SPD gilt vielen Sozialdemokraten aus anderen Bundesländern als ein ganz spezieller, etwas verrückter Landesverband. Das linke Profil der Hauptstadt-Genossen erklären manche soziologisch: Wer Politik für Menschen macht, die häufiger als der Rest der Republik auf staatliche Transfers angewiesen sind, konzentriert sich auf Verteilungsfragen. Das freilich führt fast zwangsläufig zu Konflikten mit dem neuen Kurs von SPD-Chef Sigmar Gabriel, der seiner Partei Wirtschaftskompetenz verordnen will – da geht es stärker als bisher um Wertschöpfung und erst in zweiter Linie um Ansprüche an den Staat.

Berlins SPD-Chef Jan Stöß ist nach seiner klaren Niederlage gegen Müller beim Mitgliederentscheid entgegen vielen Erwartungen nicht durch ein Regierungsamt ruhiggestellt worden. Er versucht den Einfluss des linken Parteiflügels bundesweit zu stärken und profiliert sich in der Debatte über den Verzicht auf Steuererhöhungen und das Transatlantische Handelsabkommen TTIP als Gegenspieler Gabriels.

Deshalb wird es auch darauf ankommen, welche Schlüsse Stöß aus zwei Entwicklungen zieht: Der monatelange Machtkampf der Hauptstadt-SPD um die Wowereit-Nachfolge schreckte die Bürger so ab, dass die SPD zeitweilig in Umfragen bis auf 20 Prozent absackte. Und der riesige Vorsprung von Müller auf den amtierenden Parteichef beim Mitgliederentscheid zeigte, dass die Parteibasis in der SPD oft ganz andere Ziele verfolgt als die Funktionäre. Womöglich weitet das den Blick dafür, dass der zu kurz springt, der den Funktionären zu viel Macht gibt. Hans Monath

Böhrnsen will bleiben

Auf dem Schreibtisch des Bremer Bürgermeisters Jens Böhrnsen (SPD) steht seit Jahren eine Glaskugel – ein Geschenk aus der chinesischen Partnerstadt Dalian. In die Zukunft schauen kann der 65-Jährige damit zwar nicht. Aber hellseherische Fähigkeiten sind auch nicht nötig, um den Ausgang der Bürgerschaftswahl am 10. Mai 2015 korrekt vorherzusagen: „Ich bin zuversichtlich, dass die SPD wieder die mit Abstand stärkste politische Kraft wird.“ Ohnehin ist der Stadtstaat noch nie von einer anderen Partei regiert worden als von der SPD. Böhrnsen prophezeit im Gespräch mit dem Tagesspiegel sogar ein besseres Ergebnis als die 38,6 Prozent von 2011. Wie sehr Böhrnsen als Spitzenkandidat den Wahlausgang beeinflussen wird, ist schwer zu sagen. Viele schätzen Böhrnsen als sozial eingestellten, aufrechten und freundlichen Menschen. Aber auf viele andere wirkt er eher blass, zumal er sich relativ selten öffentlich zu Wort meldet. Seine Politik der ruhigen Hand brachte ihm schon häuifger Vorwürfe ein. So sagte der CDU-Landesparteichef Jörg Kastendiek einmal über ihn: „Selten hat ein Bürgermeister in diesem Bundesland weniger Spuren hinterlassen als Böhrnsen.“

Doch gerade Kastendiek selbst zieht kaum tiefe Furchen: Der 50-Jährige überlässt die CDU-Spitzenkandidatur lieber der Bundestagsabgeordneten Elisabeth Motschmann (62). Die CDU wirft Börnsen vor, dass in Bremen in der Wirtschaftspolitik der Konjunktiv regiere, viele Schüler keinen Abschluss erreichten und der Senat kein Konzept zur Haushaltssanierung habe. Böhrnsen will dennoch auch nach der Wahl weiter mit den Grünen regieren: „Eine Koalition, die gut läuft und erfolgreich arbeitet, möchte ich fortsetzen.“ Dabei ist die Zuneigung von 2007 längst einem mühseligeren Alltag gewichen: Seit Beginn der zweiten rot-grünen Amtszeit 2011 streiten sich die Partner immer häufiger. Große Kurswechsel sind in der nächsten Wahlperiode nicht zu erwarten. Böhrnsen: „Unser Kompass ist eingestellt auf starke Wirtschaft, faire Arbeit und sozialen Zusammenhalt. Diesem Kompass werden wir weiter folgen.“ Als neuer Akzent ist eine „Jugendausbildungsgarantie“ geplant: Staat, Wirtschaft und Arbeitsagentur sollen dafür sorgen, dass jeder junge Mensch ein Ausbildungsangebot erhält. Für Böhrnsen selbst ist allmählich der Ruhestand in Sicht. Spekulationen, dass er bereits zur Mitte der Wahlperiode abtritt, weist der 65-Jährige dennoch entschieden zurück: „Wenn ich für vier Jahre kandidiere, dann habe ich die Absicht, auch vier Jahre im Amt zu bleiben.“ Eckhard Stengel

Scholz will alleine regieren

Am 15. Februar wird in Hamburg gewählt. Zweifel über den künftigen Ersten Bürgermeister gibt es eigentlich keine, denn der bisherige wird sein Amtszimmer im Rathaus nicht räumen müssen. Es ist nämlich keine Frage, ob Olaf Scholz Regierungschef bleibt, sondern nur, ob es erneut wie vor vier Jahren zu einer absoluten SPD-Mehrheit reicht oder noch die Grünen als Junior-Koalitionspartner herhalten müssen. Der 56-jährige Vollblutpolitiker kann sich vor allem hoch anrechnen, dass er den zerstrittenen und von Affären geschüttelten Landesverband (Intrigen, Machtkämpfe, verschwundene Stimmzettel) seit der erneuten Übernahme des Landesvorsitzes 2009 wieder zusammengeschweißt hat. Sein Abstecher in die Bundespolitik und sein Parteiamt als Bundesvize kommen ihm dabei zugute. In der Hansestadt kann ihm derzeit in der Beliebtheitsskala niemand das Wasser reichen. Er hat jüngst in einer NDR-Meinungsumfrage einen Sympathiewert von über 67 Prozent erhalten. Selbst 46 Prozent unter den CDU-Anhängern sehen in ihm das „richtige“ Oberhaupt der Elbmetropole. Im eigenen Lager ist er ohnehin unumstritten. Bei seiner Wiederwahl zum Landesvorsitzenden erhielt er 94,8 Prozent der Stimmen, bei seiner Inthronisierung als erneuter Spitzenkandidat für die Bürgerschaftswahl votierten gar 97,4 Prozent für den Rechtsanwalt.

In Hamburg kursiert bei derartigen Zustimmungswerten bereits die liebevolle Beschreibung von König Olaf für den Spitzenpolitiker. Das verleiht ihm Rückendeckung. Doch nur ganz selten spuckt der gebürtige Osnabrücker große Töne, selbst Visionen verpackt er meist in Pragmatismus. Fragt man ihn, warum er wiedergewählt werden möchte, kommt er nicht etwa mit inhaltlichen Argumenten, sondern mit dem Hinweis auf die hohe Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit seines bisherigen Regierens, ganz nach dem Motto: 2011 versprochen und gehalten! Selbst mit der ihm vor vielen Jahren verliehenen Bezeichnung Scholzomat wegen mancher zu spröder öffentlicher Auftritte hat er sich arrangiert. Er will auch gar nicht, dass seine Reden vergnügungssteuerpflichtig sind. Die jetzige politische Rolle als Stadtstaatenfürst scheint ihm wie auf den Leib geschneidert. Scholz hat sich sogar schon für seine Lebensplanung mit dem Langzeitjob als Chef in Hamburg angefreundet, verriet er kürzlich doch in einem Interview, dass er sich durchaus vorstellen könne, 2024 die Olympischen Sommerspiele als Bürgermeister zu eröffnen. Die mächtige Position von Scholz wird auch auf Bundesebene in seiner Partei keineswegs unterschätzt, gehörte er doch zu den maßgeblichen Architekten des Koalitionsvertrages mit der CDU. Dieter Hanisch

Lindner muss bangen

Als Angela Merkel Anfang Dezember beim Bundesparteitag der CDU ausgerechnet die FDP als natürlichen Koalitionspartner ihrer Partei bezeichnet hat, da war die Verwunderung groß. Gut ein Jahr zuvor waren die Liberalen aus dem Bundestag geflogen und sind seither in den Umfragen nicht mehr über drei Prozent hinausgekommen. Christian Lindner wird die Erwähnung der Kanzlerin gefallen haben. Für ihn steht 2015 viel auf dem Spiel. Er hat vor gut einem Jahr eine gedemütigte und demotivierte FDP übernommen, hat eine neue Führungsmannschaft aufgebaut und ein neues Leitbild, wie er es nennt, für seine Partei erarbeitet. Nun muss er zeigen, dass er von seiner Vorstellung von Liberalismus die FDP-Anhänger und vor allem die Wähler überzeugen kann. Schafft es die FDP in Hamburg und Bremen, ähnlich wie 2014 in Ostdeutschland, nicht in die Landtage, kann Lindner seine Hoffnungen auf eine Rückkehr in den Bundestag 2017 begraben. 2015 wird ein Schicksalsjahr für den jungen FDP-Vorsitzenden. Er kann Misserfolge nicht mehr mit dem schlechten Image der FDP aus den Zeiten von Guido Westerwelle und Philipp Rösler bemänteln. Er hat ein eigenes Programm aufgestellt und muss nun damit bestehen. Was neu ist am Liberalismus der Lindner-FDP, das ist bisher im Unklaren geblieben.

Weniger Staatseinmischung, weniger Bürokratie: Davon spricht Lindner seit Monaten in Interviews, auf Veranstaltungen und auf allen Internetkanälen. Er geißelt den Mindestlohn, mahnt die Senkung der kalten Progression und die Abschaffung des Soli an und spricht von geregelter Zuwanderung, weil Deutschland qualifizierte Fachkräfte fehlen. All das haben aber auch seine Vorgänger gefordert. Politische Konzepte, etwa für den Arbeitsmarkt, oder mutige Ideen für gesellschaftliche Neuordnungen, fehlen indes. Und so bleibt bisher der Eindruck, Lindner verkaufe die alte FDP lediglich in einer neuen, gefälligeren Verpackung. Moderner, smarter, freundlicher. Die Präsentation der Spitzenkandidatin von Hamburg, Katja Suding, ist ein Beispiel dafür. Obwohl es unbestreitbar ein Problem für Frauen ist, sich in männerdominierten Führungsetagen durchzusetzen, lehnt die FDP Quotenregelungen ab, ohne eigene Alternativkonzepte zu entwickeln. Frau Suding wird derweil als „Unser Mann für Hamburg“ auf Plakaten dargestellt, als ob nur Männer erfolgreich sein könnten. Hat Christian Lindner überhaupt eine Chance, mit seiner FDP wieder auf die Beine zu kommen? Gewiss. Den Grünen gelingt es bisher nicht, sich als liberale moderne Kraft zu etablieren und die Wähler werden mit zunehmender Dauer der großen Koalition nach Alternativen Ausschau halten. Antje Sirleschtov

Die Grünen suchen Führung

Für das grüne Führungsquartett wird das Jahr 2015 nicht einfach. Die beiden Parteivorsitzenden Simone Peter und Cem Özdemir müssen ihrer Partei beweisen, dass sie nach dem Schock bei der letzten Bundestagswahl zu Recht auf diesen Posten gewählt wurden. Ob das gelingt, wird sich im Herbst zeigen, wenn die Neuwahl des Parteivorstands ansteht. Auch die beiden Chefs der Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, stellen sich nach der Sommerpause turnusmäßig zur Wahl. Das erste Jahr nach der verpatzten Wahl lief für das Spitzenquartett nicht reibungslos. Peter und Özdemir nervten damit, dass sie sich ständig öffentlich widersprachen. Außerdem wurden sie mitverantwortlich dafür gemacht, dass die Grünen nach dem Asylkompromiss ein heillos zerstrittenes Bild abgaben. Einige sehnten sich bereits nach dem früheren Spitzenmann Jürgen Trittin, der sich nach seinem Rückzug aus der ersten Reihe immer noch in der Rolle des Welterklärers gefiel. Ende letzten Jahres zogen Peter und Özdemir schließlich die Notbremse: Nach einer internen Aussprache versprachen sie, sich künftig besser abzusprechen.

Inzwischen hört man auch aus der Partei versöhnlichere Töne. Peter, bisher eher blass geblieben, wird dafür gelobt, wie sie die Aufarbeitung des heiklen Pädophilie-Kapitels hinbekommen hat. Und Özdemir stößt mit seinem außenpolitischen Engagement bei der Frage, wie man die Terrormiliz IS bekämpft, zwar einige in der Partei vor den Kopf, verschafft sich bei anderen aber auch Respekt. Spannend wird, ob es auf dem Parteitag im Herbst 2015 ernst zu nehmende Herausforderer geben wird. Immer mal wieder wird der Name des charismatischen Landespolitikers Robert Habeck genannt, der im Moment Umweltminister und stellvertretender Ministerpräsident in Schleswig-Holstein ist. Diese Funktionen müsste er aufgeben, wenn er Parteichef werden wollte. Nicht ausgeschlossen ist, dass am Ende einfach die derzeitige Parteiführung bestätigt wird. Nach einer Zitterpartie für das Duo an der Fraktionsspitze sieht es derzeit auch nicht aus. Die machtbewusste Thüringerin Göring-Eckardt hat sich ein Netzwerk in der Fraktion aufgebaut, im Realoflügel ebenso wie bei den Linken. Und der Bayer Hofreiter, der anfangs bei seinen Auftritten vor der Kamera und bei Bundestagsreden deutliche Probleme hatte, hat inzwischen Tritt gefasst. Auf dem letzten Parteitag überraschte er auch viele in seiner Partei mit einer kämpferischen Rede zur Agrarwende. Klar ist: Wer es schafft, in diesem Jahr im grünen Führungsquartett zu bleiben, hat auch gute Chancen, die Partei in die Bundestagswahl 2017 zu führen. Cordula Eubel

Wagenknecht wartet

Zwangsläufig muss ein Text über die Perspektiven von Sahra Wagenknecht mit einem Satz von Gregor Gysi beginnen. „Sie müssen mich noch fast ewig ertragen“, sagte der Linken-Fraktionschef dieser Tage dem „Freitag“. Und bestritt, dass er im kommenden Winter zurücktreten werde. „Wie kommen Sie denn auf so was? Ich bin doch topfit.“

Aber was wird aus Wagenknecht, seiner fast schon ewigen Stellvertreterin? Ein Geheimnis hat sie nie daraus gemacht, dass sie die Nachfolge von Gysi anstrebt – für sie eine deutlich interessantere Herausforderung als beispielsweise der Vorsitz der Partei. Die aus dem linken Flügel der Partei stammende 45-Jährige – sie war lange Jahre Wortführerin der Kommunistischen Plattform – hat sich emporgearbeitet, verändert und auch manche Kompromisse geschlossen. Aber in die erste Reihe eben hat sie es noch nicht geschafft. Obwohl sogar ein Bundesparteitag im vergangenen Mai beschlossen hatte, dass die Fraktion eigentlich spätestens seit Ende 2014 eine quotierte Doppelspitze hätte haben müssen – das wäre das Ticket für den Aufstieg von Wagenknecht gewesen.

Wie sich das Machtgefüge in der Linkspartei im Laufe des Jahres verschiebt, wie sich die Partei mithin also aufstellt mit Blick auf die Bundestagswahl 2017, ist noch nicht ganz klar. Wagenknecht ist bereit, die Fraktion gemeinsam mit dem Realpolitiker Dietmar Bartsch zu führen. Ein „Hufeisen-Bündnis“ wird diese Konstellation parteiintern genannt, sie soll den Flügelstreit unter Kontrolle bringen. Für Wagenknecht ist das keine ganz unkomplizierte Rolle: Sie wird unterstützt und getragen von den linken Hardlinern in der Fraktion, wirklichen Betonköpfen. Um gewählt zu werden, muss sie aber auch Förderer im Reformerlager auf ihre Seite ziehen. Die müssen ihr nachsehen, dass sie ziemlich viele Sitzungen schwänzt, andererseits aber Talente hat, die anderen in der Linken fehlen. Ihre Performance in den Talkshows zählt unbestritten dazu. Den Spagat beherrscht Wagenknecht recht gut. Als Gysi beim sogenannten „Toilettengate“ von Israel-Hassern verfolgt wurde, sprach sie von einer „ziemlich üblen Geschichte“, verhinderte aber Sanktionen gegen die beteiligten Bundestagsabgeordneten aus ihrem Lager. Zum „Friedenswinter“ mit Verschwörungstheoretikern rief sie mit auf, um dann „aus Termingründen“ abzusagen. Lässt sich so 2017 eine rot-rot-grüne Bundesregierung bilden, wie Gysi es gerne hätte? Derzeit sieht es nicht danach aus, dass es für eine solche Konstellation nach der nächsten Wahl auch nur eine rechnerische Mehrheit gibt. Das kann Wagenknecht gefallen. Matthias Meisner

Lucke braucht Zusammenhalt

Zu den Formulierungen, die von Bernd Lucke 2014 öfter zu hören waren, gehört die gerne in Talkshows vorgetragene Replik des 52-Jährigen, er sei falsch zitiert worden. Zu Beginn des Jahres kann noch darauf gewettet werden, wie oft der Sprecher der AfD 2015 wird klarstellen wollen, dass seine Partei nicht in die rechte Ecke gehöre. Die zunehmende Hektik, mit der Lucke seine Erklärungsversuche unternimmt, hängt damit zusammen, dass es in der AfD gehörig brodelt. Zwar gelang es der Partei im vergangenen Jahr, zunächst ins Europaparlament und dann in die Landtage in Dresden, Erfurt und Potsdam einzuziehen. Doch statt anschließend den selbst proklamierten Anspruch als „kleine Volkspartei“ einzulösen, ist die Partei inzwischen in tiefe Grabenkämpfe verfallen. Ein Streitthema ist die Russlandpolitik: Während Vize-Parteichef Alexander Gauland einen moskaufreundlichen Kurs fährt, will Lucke angesichts der Ukraine-Krise „nicht bei den Russen beide Augen zudrücken“. Der Kern des gegenwärtigen Konflikts innerhalb der AfD besteht aber in ihrer Schwierigkeit, sich von rechtsextremen Positionen abzugrenzen. Wie unterschiedlich die AfD-Mitglieder ticken, zeigt schon ein Blick auf die sieben EU-Abgeordneten. Da gibt es einerseits die Abgeordnete Beatrix von Storch, deren Rhetorik immer wieder vom Duktus der Rechtspopulisten geprägt ist. Und da gibt es den Vize-Vorsitzenden des Industrieausschusses, Hans-Olaf Henkel, der auf seiner Website für ein „bürgerfreundliches ,Europa der Vaterländer’“ wirbt und eher gemäßigt in Erscheinung tritt. Auch ihr Verhältnis zu den vor allem in Dresden auftretenden „Pegida“-Demonstranten ist für die AfD zum Spaltpilz geworden. Während einige Parteiobere wie Henkel auf Distanz zu „Pegida“ gehen, suchen andere wie Gauland deren Nähe. Lucke bemüht sich derweil, seiner Partei ein bürgerliches Antlitz zu geben und flüchtet sich angesichts der Debatte um den Umgang mit „Pegida“ in die Formulierung, die Sorgen von deren Anhängern seien „legitim“.

Doch inzwischen hat Lucke von solchen innerparteilichen Zerreißproben offenkundig genug. Formal ist der Europaabgeordnete aus Brüssel neben dem Publizisten Konrad Adam und der Fraktionsvorsitzenden der AfD im sächsischen Landtag, Frauke Petry, einer von drei gleichberechtigten Parteisprechern. Tatsächlich ist Lucke aber das Zugpferd der AfD. Deshalb will er bei einem Parteitag Ende Januar in Bremen auch eine Satzungsänderung herbeiführen, die ihn zum alleinigen Vorsitzenden machen würde. Klappt das nicht, steht Luckes Drohung im Raum, sich aus der Parteiführung zurückzuziehen. Albrecht Meier

Die schwarze Null soll stehen

Fast wäre sie zum Wort des Jahres 2014 der Gesellschaft für deutsche Sprache geworden – die schwarze Null. Aber dann kam die „Lichtgrenze“, das Berliner Spektakel zum 25. Jahrestag des Mauerfalls. Die schwarze Null landete nur auf Platz zwei. Obwohl der Begriff seit Monaten im Mittelpunkt steht, wenn in Deutschland (und Europa) über Haushaltspolitik geredet wird. Aber vielleicht war die Entscheidung gar nicht so falsch. Denn erst 2015 wird die Stunde der schwarzen Null wirklich kommen. Erst zum Jahresende wissen wir, ob es gelingt, erstmals seit Jahrzehnten wieder einen Bundeshaushalt ohne neue Schulden abzuschließen.

Union und SPD planen mit ausgeglichenen Etats bis 2018. Mit dieser Entscheidung soll die Dynamik stetig wachsender Verschuldung gebrochen werden. Die Union, allen voran Finanzminister Wolfgang Schäuble, sieht darin ein Partei-Markenzeichen, ein Symbol für solide Haushaltspolitik. Auch mit Blick auf die Euro-Partner. Schäuble weist zwar den Vorwurf zurück, er wolle sich zum Ende seiner Karriere hin nur ein Denkmal setzen. Aber er hat schon den Ehrgeiz, der erste Finanzminister seit 1969 zu sein, der mit dem Geld der Steuerzahler auskam, ohne zusätzlich den Kreditmarkt in Anspruch zu nehmen. Die Sozialdemokraten sind skeptischer, einige würden gern mit höheren Investitionen (und dann auch mit höheren Schulden) die Konjunktur etwas flotter machen.

Aber vorerst hat sich die SPD die schwarze Null ebenfalls zu eigen gemacht. Parteichef Sigmar Gabriel sieht offenbar keinen Vorteil für seine Partei, hier zum jetzigen Zeitpunkt den Konflikt in der Koalition zu suchen. Der könnte 2015 aber natürlich trotzdem kommen, wenn die Politik der schwarzen Null nicht funktioniert wie erwartet. Doch wie wahrscheinlich ist das? Das Wirtschaftswachstum darf nicht unter die Marke sinken, welche die Regierung gesetzt hat: also etwas über ein Prozent. Das könnte sich erfüllen, die Prognosen werden derzeit wieder optimistischer. Der Arbeitsmarkt muss weiter konstant sein, denn es sind die wachsenden Steuerzahlungen gerade der Arbeitnehmer, die den Haushaltsausgleich ermöglichen. Wächst die Wirtschaft einigermaßen, dürfte das in Erfüllung gehen. Und die Zinsen dürfen nicht steigen – die deutlich gesunkenen Zinsausgaben sind derzeit die wichtigste Basis der Politik der schwarzen Null. Insofern hat die Bundesregierung in Mario Draghi und der EZB verlässliche Partner, denn aus Frankfurt werden 2015 keine Signale erwartet, die auf stärkere Zinssteigerungen hindeuten könnten. Zu einem Eintrag in das Online-Lexikon Wikipedia hat es die schwarze Null trotz ihrer Berühmtheit übrigens noch nicht geschafft. Albert Funk

Klöckner blickt nach Berlin

Es muss ja nicht gleich der direkte Weg ins Kanzleramt sein. Wenn es aber richtig ist, was Ursula von der Leyen sagt, dass jede Generation nur einen Kanzler stellt, dann gehört die 42 Jahre alte Julia Klöckner sicher zu den Politikern der CDU, die zumindest eine Chance haben. Doch zuvor muss die CDU-Politikerin erst einmal zeigen, dass sie Wahlen gewinnen kann. 2016 will die Chefin der CDU in Rheinland-Pfalz die SPD aus dem Ministerpräsidentenamt jagen und nach Jahrzehnten der SPD-Herrschaft das Heimatland von Helmut Kohl für ihre Partei zurückerobern. Die Aussichten stehen nicht schlecht. Klöckner hat sich bereits nach der letzten Landtagswahl die Achtung ihrer Landsleute erworben, als sie ihre bundespolitischen Ämter in Berlin aufgab und die Rolle der Oppositionsführerin in Mainz übernahm. Seither zeigt sie einen Politikstil, der über die südwestdeutschen Landesgrenzen hinweg für Aufmerksamkeit sorgt: ernst und sachlich, aber immer mit Frische und Humor präsentiert. Modern und trotzdem auf konservativen Werten basierend. Klöckner wurde Anfang Dezember vom Parteitag der CDU mit dem besten Ergebnis aller Bewerber zur Stellvertreterin der CDU-Chefin Angela Merkel gewählt.

Die Partei traut ihr einiges zu. Man schätzt ihre zupackende Art. Aber natürlich fußt die Zustimmung auch auf der Medientauglichkeit der Rheinland-Pfälzerin. Kein Kanal im Netz ohne ein Interview mit ihr, wo man hinklickt, da ist Julia Klöckner in Wort und Bild präsent – die CDU sonnt sich gern im Licht der unverbraucht lachenden Politikerin. Mit ihren politischen Selbstinszenierungen sieht das nicht immer so aus. Kurz vor dem Parteitag Anfang Dezember trat Klöckner mit einem „Burka-Verbot“ aus der Anonymität und musste sich sogleich einige Rüffel aus der Union einfangen. Diese kassierte sie jedoch nicht für das dahinter stehende Prinzip. Darin, dass sich Zuwanderer an deutsche Normen anpassen sollen, ist man sich in der CDU einig. Wohl aber, weil Klöckners Verbot des Tragens einer Burka Ressentiments gegen den Islam unterstützen kann. Ganz abgesehen davon, dass die Mehrheit der Deutschen wohl noch nie einer Burka-verschleierten Frau im Supermarkt begegnet ist und der Verdacht aufkam, Klöckner ging es weniger um die Sache, als um Publicity für sich selbst. 2015 wird Julia Klöckner Programm und Mannschaft für die Wahl in Rheinland-Pfalz aufstellen müssen. Kann sie damit im Jahr darauf bei ihren Landsleuten punkten und die Wahl gewinnen, wird sie angesichts der Schwäche der anderen Landespolitiker der CDU an Bedeutung und Einfluss auch in der Berliner Politik gewinnen. Antje Sirleschtov

Dobrindt muss liefern

„Niemand hat die Absicht, eine Maut einzuführen!“ Der Spruch macht die Runde, seit Angela Merkel im Wahlkampf 2013 erklärt hatte, mit ihr werde es keine Pkw-Maut geben. Nun soll sie dennoch kommen, und der Niemand heißt Alexander Dobrindt. Er muss als Bundesverkehrsminister liefern, was er sich als CSU-Generalsekretär für den Wahlkampf ausgedacht hatte: die „Maut für Ausländer“. Sie heißt nun offiziell „Infrastrukturabgabe“, denn zahlen müssen alle. Eine reine Ausländer-Maut lässt das EU-Recht nicht zu. 2015 soll das Gesetzgebungsverfahren endlich über die Bühne gehen. Eigentlich, so steht es im Koalitionsvertrag, sollte das Gesetz schon im Verlauf des Jahres 2014 verabschiedet werden. Dobrindt ist also mächtig in Verzug, er hat mehrfach seinen Plan ändern müssen. Das vorläufige Ergebnis ist, dass Inländer für alle Bundesfernstraßen zahlen, Ausländer nur für die Autobahnnutzung. Das ist zumindest keine Ausländer-Diskriminierung. Das Kabinett hat den Entwurf im Dezember beschlossen, bis zum Herbst könnte, wenn alles glatt läuft aus Dobrindts Sicht, die Maut im Gesetzblatt stehen. Aber zahlen muss dann noch niemand.

Denn Dobrindts Modell der E-Vignette braucht einen längeren Vorlauf für die technische Umsetzung, irgendwann 2016 soll es dann so weit sein. Der Nachweis der Zahlung soll das Kfz-Kennzeichen sein. Eine Zulassung des Wagens im Inland gibt es nur, wenn die erbetene Lastschrift für das Konto erteilt wurde – und zwar an das Kraftfahrtbundesamt. Die Bundeszollverwaltung nimmt parallel, auch per Lastschrift, die nun sinkende Kfz-Steuer ein, die mit der Maut verrechnet wird, damit kein Deutscher stärker belastet wird als zuvor. Das elektronische Kontrollsystem, das Dobrindt errichten lassen will, ist damit nur für ausländische Kfz nötig. Es soll 32 Millionen Euro im Jahr kosten (umgerechnet wären das 3,2 Millionen Zehn-Tages-E-Vignetten zu je zehn Euro). Vorsichtshalber regelt der Gesetzentwurf aber auch die Kontrolle durch klassisches Herauswinken, eine Aufgabe für das Bundesamt für Güterverkehr. Dobrindts Kosten- und Einnahmenrechnung ist noch immer etwas undurchsichtig. Er will jährlich 700 Millionen Euro von ausländischen Nutzern kassieren – das wären umgerechnet 31,8 Millionen Zwei-Monats-E-Vignetten zu je 22 Euro. Belgien, Österreich und die Niederlande haben zusammen 35 Millionen Einwohner. Unklar ist noch, ob Brüssel die Dobrindtsche Version einer Pkw-Maut für zulässig erklärt. CSU-Chef Horst Seehofer hat sie aber schon zur Frage des Seins oder Nichtseins der Koalition erhoben. So wichtig also wird Dobrindt 2015, der kein Niemand mehr sein wird, wenn er die Maut durchboxt. Albert Funk

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