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Der frühere SPD-Chef Müntefering verlangt von der Regierung Antworten auf den künftigen Bevölkerungsschwund. Foto: ddp

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Müntefering: Demografischer Wandel in Deutschland

Müntefering sieht das zentrale Problem der Gesellschaft im demografischen Wandel. Mit der SPD-Arbeitsgruppe „Deutschland 2020“ hat er eine "Große Anfrage" an die Bundesregierung gestellt.

Franz Müntefering ist unten angekommen. Im Erdgeschoss, Raum 433 im Jakob-Kaiser-Haus, einem jener Gebäudekomplexe neben dem Reichstag. Hier ist nicht die große Bühne, keine Scheinwerfer, keine Fotografen. Hier verläuft die Wilhelmstraße – direkt vor dem Fenster. Und hier passt nur ein Tisch rein, und die Tür muss offen bleiben, damit es nicht zu stickig wird. Dabei war Müntefering immerhin zweimal in seinem Leben SPD-Vorsitzender. Wer schafft das schon? Und vor allem: Wer will das schon? Aber um das Wollen ging es Müntefering nie. Es geht ihm um das Machen. Und auch er macht weiter.

Sein Blick schweift zwar ab und zu auf die Straße. Dann spielt er mit seinem Ehering, der noch frisch leuchtet. Draußen scheint die Sonne. Ein Sommertag. Andere 71-Jährige sitzen jetzt um die Ecke in einem schattigen Café. Müntefering blickt konzentriert in die Runde und sagt: „Der demografische Wandel unterliegt einer ganz besonderen Dynamik.“

Müntefering ist kein Elder Statesman, kein zweiter Helmut Schmidt. Er nimmt auch das stickige Erdgeschoss. Und die SPD-Arbeitsgruppe „Deutschland 2020“. Dort hat er zusammen mit Sabine Bätzing-Lichtenthäler, die neben ihm sitzt, und anderen Genossen eine „Große Anfrage“ an die Bundesregierung erarbeitet. 63 Fragen sind dabei herausgekommen. Welche Konzepte hat die Bundesregierung? Welche Fakten verwendet sie und welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Müntefering bleibt erst mal beim Faktischen. „Bis zum Jahr 2050 wird Deutschland 20 Prozent weniger Einwohner haben“, sagt er. Und: „Die Zahl der Pflegefälle wird sich verdreifachen.“ Oder: „In einigen Jahren werden wir 20 bis 22 Jahre Rente beziehen.“ An der Attacke hat er aber auch noch seinen Spaß. „Das alles erfordert politisches Handeln, aber die Bundesregierung befindet sich im Tiefschlaf.“ Auch Bätzing-Lichtenthäler erklärt und erläutert. Sie spricht von einem „ganzheitlichen Ansatz“, von „Lebenslaufpolitik“. Vom demografischen Wandel, der vor allem Kommunen „von der Krabbelgruppe bis zur Kläranlage“ beschäftigen wird.

Müntefering und Bätzing-Lichtenthäler fordern steigende Löhne, damit es mehr Rente gibt. Wie das geschehen soll? Ob der Staat eingreifen soll? Es gehe um die Debatte an sich, sagen sie. Die Steuerpläne der schwarz-gelben Regierung werden scharf kritisiert angesichts der Auswirkungen auf kommenden Generationen. Dass auch die SPD an einem Steuerkonzept arbeitet, in dem Erleichterungen sicher in irgendeiner Form vorkommen werden, beunruhigt sie nicht. „In unserer Arbeitsgruppe sitzen auch Finanzer“, versichert Bätzing-Lichtenthäler.

Aber das sind letztlich Details. Es geht um das große Ganze. Von der „Abschiedskultur“ ist die Rede. Gemeint ist der Umgang mit dem Tod, die Frage, wie Menschen in Deutschland sterben. Da fordert Müntefering auch „interessensneutrale Beratungsstellen“ – auch für junge Leute, die nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, wenn ein Elternteil krank wird, man selbst aber hunderte Kilometer entfernt wohnt. Außerdem verweist Bätzing-Lichtenthäler auch auch auf die „jungen Alten“ und die Schätze, die es bei älteren Menschen zu heben gebe. Da muss Müntefering kurz lächeln. Beinahe wird er etwas rot. Er weiß genau, dass auch er so ein „junger Alter“ ist. Einer, der weit über die Rente mit 67 arbeitet. Für die steht er. Immer noch. Auch wenn er kurz durchpusten muss, als es auf dieses Thema kommt. „Es merkt vielleicht kaum einer, aber das faktische Renteneintrittsalter steigt längst, weil immer mehr ältere Menschen noch in Arbeit sind“, sagt er.

Sie werden gebraucht, lautet die Botschaft. Und vermutlich braucht die SPD Müntefering noch genauso, wie Müntefering die Politik noch braucht. Großes Aufheben macht er darum nicht. Fast nebenbei, beinahe lapidar, gibt er aber zu Protokoll: „Der demografische Wandel ist das zentrale gesellschaftspolitische Thema, es ist die gesellschaftspolitische Debatte.“ Was er nicht sagt: Und ich bin mittendrin – auch im Erdgeschoss.

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