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Politik: Müntefering: Marktradikal und asozial

Der Parteichef verstärkt seinen Angriff gegen die Wirtschaft – und trifft offenbar den Nerv der Genossen

Berlin - Franz Müntefering steht zu seiner Kritik am Kapitalismus. „Wo totale Ökonomisierung das Handeln bestimmt, hat der soziale Auftrag der Politik keine Chance mehr. Wirtschaft ist aber für die Menschen da und nicht umgekehrt“, sagte der SPD-Vorsitzende am Donnerstag im Bundestag. Mit solchen Tönen trifft er den Nerv der SPD: Für seine Rede, die er in der vergangenen Woche gehalten hat, bekam er am Dienstag in der Fraktionssitzung nach Berichten von Teilnehmern Applaus von den SPD-Abgeordneten – und auch in der Debatte im Bundestag wurde der SPD-Vorsitzende unterstützt.

Und Müntefering legte nach. Arbeitnehmer würden entlassen und durch ausländische Scheinselbstständige ersetzt, die für die Hälfte des üblichen Lohnes arbeiten müssten. Unternehmen siedelten „wegen weniger Prozent zusätzlicher Gewinne ins Ausland um und lassen ihre Arbeitnehmer mit deren Familien im Stich“, gleichzeitig kaufe sich in Deutschland „großes Geld mit kurzfristigem Profitinteresse“ ein. Managergehälter würden geheim gehalten und stiegen „ins Unermessliche“. Das alles habe mit sozialer Marktwirtschaft und Unternehmerethik nichts zu tun. „Das ist marktradikal und asozial“, schimpfte Müntefering.

Der SPD-Chef erhielt breite Unterstützung aus der Koalition, auch wenn etwa die Grünen-Politikerin Christine Scheel die Wortwahl „provozierend“ fand. „Aber die Debatte ist richtig“, sagte die Finanzexpertin. Man brauche in Deutschland ein wirtschaftsfreundliches Klima. Es müsse aber erlaubt sein, auf Managementfehler hinzuweisen, die zu Entlassungen führen. „Pures Verlangen nach schnellem Geld hat nichts mit ökonomischer Vernunft zu tun“, sagte Scheel in Anspielung auf die kurzfristige Renditeorientierung großer Aktiengesellschaften.

Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle warf Müntefering vor, Investoren kämen nicht nach Deutschland, wenn man sie als „biblische Plage“ bezeichne. Der SPD-Chef hatte in einem Interview Investoren mit Heuschrecken verglichen, die über Unternehmen in einem Land herfielen und dann weiterzögen. Es sei ein Fehler, zurück zu Klassenkampfparolen zu gehen, sagte Westerwelle. Interessant sei außerdem, dass der Bundeskanzler bei seinen Auslandsreisen Flieger „voller Heuschrecken“ mitnehme. Müntefering entgegnete, die meisten Unternehmer in Deutschland fühlten sich dem Standort verpflichtet, aber das von ihm angeprangerte Verhalten nehme zu. Aus der Opposition kamen auch nachdenkliche Töne. Der CDU-Mittelstandspolitiker Hartmut Schauerte tat Münteferings Kritik als „Wahlkampfgetöse“ ab, räumte aber ein: „Es gibt einen Kern, über den man reden muss.“

Als Kronzeugen für die Notwendigkeit der Debatte beriefen sich mehrere Koalitionspolitiker auf den verstorbenen Papst Johannes Paul II. Auch der habe sich für einen Ordnungsrahmen in der globalisierten Wirtschaft stark gemacht, sagte zum Beispiel der Grünen-Wirtschaftspolitiker Werner Schulz.

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