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Muslime: Fromm, tolerant – und bildungshungrig

Eine Studie über die Religiosität von Muslimen in Deutschland kommt zu Ergebnissen fern der Klischees.

Berlin - Frommer sind sie schon als der Rest der deutschen Bevölkerung: In einer Erhebung der Bertelsmann-Stiftung über die Religiosität der in Deutschland lebenden Muslime haben die Forscher herausgefunden, dass 90 Prozent von ihnen religiös genannt werden können, 41 Prozent sogar hochreligiös. In der Gesamtbevölkerung haben lediglich 70 Prozent eine Bindung an Religion, und nur bei 18 Prozent von ihnen ist sie zudem sehr stark. Selbst Katholiken (84 Prozent sind religiös) oder evangelische Christen (79 Prozent) bleiben da statistisch zurück. Religion präge auch „bei Muslimen viel stärker die Persönlichkeit“ als beim Rest der Bevölkerung, sagte Martin Rieger, Direktor der Stiftung, bei der Vorstellung der Studie am Freitag.

Doch damit ist es schon aus mit der Übereinstimmung von Klischee und Wirklichkeit der Muslime. Was das Verhältnis von Muslimen zur Politik und zu anderen Religionen angeht oder ihren Wunsch nach Bildung, kamen die Macher der repräsentativen Studie – befragt wurden mehr als 2000 erwachsene Muslime – zu Ergebnissen, die kaum zum gängigen Bild vom frommen Fanatiker und Hinterwäldler passen. So spielt Religion zum Beispiel für die politische Orientierung der Muslime die geringste Rolle. Während der Glaube etwa die Partnerwahl und Sexualität sehr religiöser Muslime stark prägt (45 und 36 Prozent), gilt das nur für 16 Prozent, wenn es um politische Entscheidungen und Vorlieben geht. In der Gruppe der 40- bis 49-Jährigen lassen sich dabei sogar nur 13 Prozent von religiösen Vorstellungen leiten. Die Studie zeige, dass für die große Mehrheit der deutschen Muslime Religion eine private Angelegenheit sei, sagte Hamideh Mohagheghi, die Vorsitzende der Muslimischen Akademie in Deutschland.

Auch die Bedeutung von Bildung wurde in der Bertelsmann-Studie abgefragt: Demnach ist sie nicht nur enorm wichtig, sondern für die Musliminnen sogar wichtiger als der eigene Lebens- oder Ehepartner. Für 92 Prozent der Männer und sogar für 96 Prozent der muslimischen Frauen ist Bildung von sehr hoher Bedeutung. Der Ehepartner ist auch 92 Prozent der muslimischen Männer sehr wichtig, aber nur 88 Prozent der Frauen. Dass auch viele muslimische Migranten Schulversager werden, steht aus Sicht der früheren Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) dazu nicht im Widerspruch: Es wiederhole sich hier, was auch historisch aus Frauenbiografien bekannt sei: Bildungshunger und -neigung und die Möglichkeiten, sich zu bilden, klafften weit auseinander – was vor allem Fragen ans Bildungssystem stelle.

Auch die Toleranz gläubiger Muslime dürfte die erstaunen, die vor allem die Bilder fanatisierter Fahnenverbrenner und der Bin-Laden-Videos im Kopf haben: Weit über zwei Drittel der Muslime in Deutschland, sagt Bertelsmann-Direktor Rieger, lehnten die Auffassung ab, dass Andersgläubige ganz und gar auf dem religiösen Holzweg sind. Das bestätige, was man bereits in anderen Studien herausgefunden habe – und was kürzlich auch eine US-Studie ergab. Überall auf der Welt gelte: „Je religiöser die Menschen sind, desto toleranter sind sie gegenüber anderen Religionen.“

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