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Muslime: Muslime organisieren sich gegen Extremismus

Ehemalige Islamisten haben in Großbritannien einen Thinktank gegründet.

Von Markus Hesselmann

Wie wichtig diese neue Initiative ist, zeigt sich gerade wieder im Woolwich Crown Court in London. Acht britische Muslime müssen sich vor dem Gericht derzeit verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, geplant zu haben, sieben Flugzeuge mit Hunderten von Passagieren über dem Atlantik zu sprengen. Das Gedankengut solcher Leute kennen Rashad Ali, Ed Husain, Dawud Masieh und Maajid Nawaz aus eigener Erfahrung. „Wir haben selbst mitbekommen, wie extremistische Gruppen denken und handeln“, sagt Rashad Ali. Alle vier waren Mitglied des britischen Zweigs der in Deutschland verbotenen Hizb ut-Tahrir (Partei der Befreiung) und haben sich von deren panislamischer Ideologie losgesagt. Ende April stellen die vier britischen Muslime ihre neue Organisation vor: die Quilliam-Stiftung, einen „Thinktank gegen Extremismus“, wie es in ihrer Selbstbeschreibung heißt.

Schon der Name ist Programm: Die Stiftung wurde benannt nach Abdullah William Quilliam, einem Engländer, der zum Islam konvertierte. Der Sohn eines Fabrikanten wurde 1856 in Liverpool geboren und christlich erzogen. Als Reisender in Nordafrika trat er zum Islam über. In Liverpool gründete er 1889 Großbritanniens erste Moschee und widmete sich karitativen und wissenschaftlichen Aufgaben – immer im Dialog mit Angehörigen anderer Religionen.

Der neue Thinktank soll an diese Tradition des Austauschs anknüpfen. Er erforscht und bekämpft den politisierten Islam, der nur eine Wahrheit kennt und als Sinn- und Identitätsstifter eine große Faszination vor allem auf junge britische Muslime ausübt. In seinem Buch „The Islamist“ beschreibt Ed Husain, Jahrgang 1975, seine eigene Politisierung auch als Abgrenzung gegen eine Elterngeneration, die einem spirituellen, unpolitischen Islam anhing. Geradezu rührend ist die Szene, in der sein Vater ihn erstmals mit einem Palästinensertuch sieht. „Was ist das?“, fragt der Vater. Der Sohn erklärt, dass er damit die Palästinenser unterstütze und dass „Bruder Falik“ auch so ein Tuch trage. „Was hilft es den Palästinensern, wenn man so ein Tuch trägt?“, fragt der Vater. „Und wer ist Bruder Falik?“ Jener „Bruder“ war ein Mitschüler, der Ed Husain in die radikalisierte Szene der Ost-Londoner Moschee einführte. Von da war der Weg zu Hizb ut-Tahrir nicht allzu weit.

Rashad Alis Erfahrung war ähnlich, doch wie seine drei Kollegen bekam er die Kurve. „Ich bin immer noch ein gläubiger Muslim, aber ich konnte an den politisierten Islam nicht mehr glauben.“ Je mehr er las, umso mehr erkannte er, dass sich die politische Radikalität mit den Lehren des Islam nicht vertrage. „Ich muss heute sagen: Die Alten hatten recht.“ Das heißt nicht, dass die Ziele der Quilliam-Stiftung unpolitisch wären. Die neue Organisation versteht sich als „Kampagnen-Gruppe“, die einen „westlichen Islam“ wiederbeleben will, „unser andalusisches Erbe aus Pluralismus und Respekt“, mit dem Ziel einer „Harmonie“ zwischen dem Westen und dem Islam.

Dabei helfen soll eine Reihe prominenter Berater. Zum Beispiel Paddy Ashdown, der frühere Chef der britischen Liberaldemokraten und frühere Sondergesandte für Bosnien-Herzegowina. Oder der Historiker und Publizist Timothy Garton Ash.

„Diese Diskussion geht alle an“, sagt Rashad Ali. „Deshalb sollte sich auch jeder an dieser Diskussion beteiligen können.“ Die Stiftung finanziert sich aus Spenden. Doch die Initiatoren schauen sich ihre Geldgeber genau an. „Wir wollen niemanden, der mit seiner Spende eine Agenda in eine bestimmte politische Richtung betreibt.“

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