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Politik: Mut soll sie haben

FÜNF JAHRE ROT-GRÜN

Von Tissy Bruns

Das hätten wir in der ganzen Aufregung ja fast verpasst. Unsere Regierung feiert Geburtstag, den fünften. Es hat nicht immer danach ausgesehen, als ob sie das schaffen könnte. Deshalb, und weil eine Regierung schließlich auch nur aus Menschen besteht, der unvermeidliche Stoßseufzer: Kinder, wie die Zeit vergeht! Und mit Blick auf diese Jubilare kann der Ausruf einfach nicht unterdrückt werden: Und wie sie euch verändert hat!

Die rot-grünen Geburtstagskinder werden das nicht, wie es vielen anderen Leuten ginge, als unangemessene Anspielung auf ihr Alter empfinden. Gerhard Schröder, Joschka Fischer, Renate Künast und Heidi Wieczorek–Zeul kommen von links. Und kennen deshalb ihren Bert Brecht und seinen Herrn K., der erbleichte, als man ihm bescheinigte, er habe sich gar nicht verändert.

Nur folgerichtig, wenn diese Regierung sich jetzt vornimmt, den Sozialstaat umzukrempeln. Verändern! Das war, das ist schließlich das Lebenselixier dieser politischen Koalition, die aus großen Bewegungen entstanden ist. Die Grünen als erst unerwünschter, später beinah geliebter Abkömmling der SPD. Die einen sind in der alten Bundesrepublik die jüngste, die anderen die älteste politische Partei, beide oppositionell bis auf die Knochen, von Herkommen und Selbstverständnis. Das rot-grüne Projekt, das sich in den 80er Jahren herausbildete, schrieb auf seine Fahnen Emanzipation, Toleranz, Zukunft. Es verging Zeit, bis man auch zusammen regieren wollte. 1990, als die Rot-Grünen glaubten, jetzt seien sie dran, kam die deutsche Einheit. 1994 kam Scharping. 1998, als es schließlich so weit war, trat eine politische Generation in die Verantwortung, die ihre Illusionen im Säurebad der Enttäuschungen gründlich verloren hatte. Deshalb gilt der ehemalige Juso-Chef und Bundeskanzler Gerhard Schröder als Verkörperung des modernen Pragmatikers, den die Grenze zur Beliebigkeit nicht schreckt. Sein grüner Vize Joschka Fischer behauptet sich als die populärste Variante eines Machtmenschen, die das Land bisher kennen gelernt hat.

Doch selbst einem illusionslosen Anfang wohnt ein Zauber inne. Und weil bei allen untergegangenen Befreiungsträumen immerhin das Generationenbekenntnis zum Lebensgenuss überlebt hatte, lautete das Motto des ersten Regierungswinters: Regieren macht Spaß. Das war gut so. Denn dieser Irrtum räumte blitzschnell den Weg zu den Ernüchterungen frei, die Regieren und Verantwortung unvermeidlich mit sich bringen. Weniger als ein Jahr später kannte Schröder nur noch die Freuden der Pflicht, zog Fischer in den Krieg und wurde mit Farbbeuteln beworfen, war Oskar Lafontaine davongelaufen. Er führt seither sein Geisterleben neben der SPD. Gehen mussten noch viele andere: zum Beispiel Andrea Fischer, Reinhard Klimmt, Walter Riester, Kurt Bodewig. Kein Kanzler hat in vier Jahren so viele Minister verbraucht wie Schröder.

Jetzt, nach einer äußerst knappen Wiederwahl und einer harten politischen Kursentscheidung, die sich mit dem Begriff Agenda 2010 verbindet, sitzen alle wie angeschraubt auf ihren Stühlen. Manfred Stolpe mit der Maut, Jürgen Trittin mit der Dose, Hans Eichel mit den Schulden. In Kabinettsklausuren ist der große Ernst eingezogen – es wird berichtet, dass diese Regierung im Sommer in Neuhardenberg, vor einer Woche am Rentensonntag sich sehr bewusst ist, dass es nun ums Ganze geht. Darum, was als Leistung bleibt. Sind es nur die Ergebnisse der ersten vier Jahre – Staatsbürgerschaft, Atomausstieg, eingetragene Lebenspartnerschaft? Oder mehr?

Gerhard Schröder, Franz Müntefering, Ulla Schmidt, die wichtigsten sozialdemokratichen Protagonisten der Koalition befinden sich in der seltsamen Situation von Politikern, die keine Alternativen mehr haben. Der Lauf der Dinge – zu denen die Erstarrung der letzten Kohl-Jahre ebenso zählt wie Schröders vertane Zeit – hat es einfach so gewollt, dass Sozialdemokraten den Sozialstaat reformieren müssen, den die Union aufgebaut hat. An ihrer Seite die Grünen, die eine gewaltige Distanz zu den Problemen haben, mit denen die SPD dabei zu kämpfen hat. Man muss ihnen zum Geburtstag eine gute Hand wünschen, mehr aber noch gute Kritiker, die Mut von ihnen verlangen, und das richtige Maß.

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