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Das Grab von Ben Zygier, der als "Gefangene X" bekannt wurde, auf dem jüdischen Friedhof von Melbourne.

© AFP

Mysteriöser Agent X: Israel sieht Mitschuld an Häftlingstod

Israel schließt offenbar eine Mitschuld am Tod eines australisch-israelischen Häftlings nicht mehr aus, der als "Gefangener X" durch die Medien ging. Berichten zufolge gibt es möglicherweise einen Prozess gegen Wachen und Entschädigung an die Familie.

In Israel mehren sich Hinweise auf ein staatliches Verschulden des mysteriösen Todes des australisch- israelischen Häftlings Ben Zygier im Dezember 2010. Eine interne Untersuchung habe ergeben, dass der damals 34-jährige mögliche Mossad-Agent sich in einer Hochsicherheitszelle erhängt habe. Die zuständige Richterin habe ihren Abschlussbericht für weitere Ermittlungen wegen „möglicher Fahrlässigkeit“ des Gefängnispersonals an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet, berichtete die Zeitung „Jediot Achronot“ am Freitag. Außerdem soll sich der Staat zu einer Entschädigung in Millionenhöhe für die Hinterbliebenen bereit erklärt haben, schrieb die Zeitung „Haaretz“. „Wenn die Richterin nichts Verdächtiges herausgefunden hätte, hätte sie den Fall nicht an uns abgegeben“, zitierte „Jediot Achronot“ einen ungenannten Mitarbeiter des Justizministeriums in Jerusalem. Die Regierung erwäge eine Anklage, habe die Quelle hinzugefügt. Bis vor kurzem durfte wegen Zensur in Israel nicht über den Fall berichtet werden, nicht einmal, dass es überhaupt ein Berichterstattungsverbot gab. Der Fall wurde erst publik, als australische Medien das Thema aufgriffen. Bis zu seinem Tod am 15. Dezember 2010 saß der mögliche Mossad-Agent nach Recherchen des australischen Senders ABC schon acht Monate in Israels sicherster Gefängniszelle im Ajalon-Gefängnis in Isolierhaft. Eine strikte Nachrichtensperre gilt für die Gründe der Inhaftierung des Mannes – und deshalb bleiben auch mögliche Motive für den Selbstmord im Dunkeln. Israels Medien nannten ihn den „Gefangenen X“. ABC hatte enthüllt, der Tote, der im Isolationstrakt der Haftanstalt Ajalon in Ramla östlich von Tel Aviv einsaß und dessen Identität nicht einmal die Wärter kennen durften, sei Ben Zygier gewesen, der vom Mossad als Agent angeworben worden war. Nach Angaben eines Journalisten, der mehrmals mit ihm sprach, stritt er eine Spionagetätigkeit aber heftig ab.

Über die Art der Anschuldigungen schweigen die Behörden eisern. Medien spekulierten, er könne Informationen über die Verwendung australischer Pässe bei israelischen Geheimoperationen verraten haben oder kurz davor gestanden haben, dies zu tun. Ein Bekannter Zygiers sagte der Jewish Telegraphic Agency: „Ich hatte nie den Eindruck, dass er sehr stabil war.“ Zygier habe „zu viel geredet“. Zygiers erhängte sich nach Zeitungsberichten in einem eingebauten Badezimmer seiner Zelle. Dieser Raum sei zum Schutz der Privatsphäre jedoch nicht kameraüberwacht, sondern mit einem System ausgestattet gewesen, das nach wenigen Sekunden Alarm schlägt, wenn es keine Atmung oder Bewegungen mehr registriert. Wie sich Zygier trotzdem umbringen konnte, blieb unklar. Das israelische Fernsehen verlas die Abschrift eines Notrufs aus dem Gefängnis vom 15. Dezember 2010: „Hier ist das Ajalon-Gefängnis, ich brauche sofort einen Krankenwagen“, habe eine der Wachen gesagt und nervös hinzugefügt: „Hör zu, er hat sich erhängt. Wir brauchen einen Krankenwagen.“ Eine Obduktion habe später Ersticken durch Erhängen als Todesursache ergeben. Der Rechtsanwalt Avigdor Feldman besuchte Zygier ein oder zwei Tage vor dessen Tod. Es habe Verhandlungen über eine Einigung mit der Staatsanwaltschaft über ein Schuldanerkenntnis im Gegenzug für eine mildere Strafe gegeben, sagte er am Vortag: „Als ich ihn gesehen habe, gab es keinerlei Anzeichen dafür, dass er Selbstmord begehen könnte“. Die Zeitung „Haaretz“ berichtete, nur vier Tage vor seinem Tod sei Zygiers zweite Tochter geboren worden. Die Vereinbarung über eine Entschädigungszahlung Israels an die Familie Zygiers soll nach Recherchen der Zeitung vor etwa sechs Wochen nach Abschluss der internen Untersuchung unterzeichnet worden sein. Die Höhe bezifferte die Zeitung unter Berufung auf eine ungenannte Person, die mit dem Fall vertraut sei, auf mehrere Millionen Schekel (5 Schekel = etwa 1 Euro).

Die Familie Zygiers, dessen Vater einer der Direktoren der jüdischen Vereinigung B’nai B’rith in Australien ist, lehnte jede Stellungnahme ab. Auf dem jüdischen Friedhof von Melbourne trägt sein Grabstein aus schwarzem, poliertem Marmor die Inschrift: „In Erinnerung an Ben Zygier, geliebter Ehemann von Maya, bewunderter Vater von Romi und Yuli, geschätzter Sohn von Louise und Geoffrey.“ Ben Zygier hatte in Melbourne eine jüdische Tagesschule besucht.

Laut ABC wanderte Zygier 2001 als Ben Alon nach Israel aus. Er heiratete dort eine Israelin, bevor er Anfang 2010 festgenommen und unter größter Geheimhaltung und falscher Identität in Ajalon isoliert wurde. Anklage und Prozess standen noch bevor, als er erhängt aufgefunden wurde. Laut Grabstein war dies am 15. Dezember 2010, sechs Tage nach seinem 34. Geburtstag. Eine amtliche Untersuchung der Todesursache endete vor sechs Wochen mit dem Befund, der Gefangene habe Selbstmord begangen. (dpa, AFP)

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