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Politik: Nach alledem

Von Lorenz Maroldt

Noch klingt ein leichter Zweifel an, eine Vorsichtsmaßnahme, nach all den Gewissheiten, Prophezeiungen, Versprechungen der vergangenen Wochen, die dann mit der Wirklichkeit kollidierten. Merkel kann Kanzlerin werden: So lautet der Satz des Moments. Noch ist sie es nicht, schwingt da mit. Dass sie es werden kann, darüber wird ja seit langem gesprochen. Doch das, was Merkel, Stoiber, Schröder und Müntefering ausbaldowert haben – und dass sie es überhaupt haben – , ist eine Zäsur, ein wirklich historischer Moment, auch wenn das Parlament das letzte Wort haben wird. Angela Merkel kann Kanzlerin werden. Nach alledem.

Historisch bedeutsam ist dieser Moment aus Gründen, die sehr mit diesem „nach alledem“ zu tun haben. Da ist Merkels Herkunft, ihr Werdegang, ihre Entwicklung – so untypisch, wie für dieses Land eine Kanzlerin untypisch ist. Es heißt über Merkel, dass sie oft unterschätzt worden sei. Auch von Gerhard Schröder, der sie angezählt sah in der Wahlnacht, der sie schnell ausknocken wollte. Sie duckte sich erst mal. Jetzt ist er weg und sie ganz oben. Doch das Unterschätzen bezog sich stets auf die Frage der Machteroberung. Was sie mit der Macht anfangen kann, was sie damit anfangen will, das erscheint heute noch rätselhafter als vor der Wahl.

Nach alledem, das bedeutet auch, daran zu erinnern, dass diese große Koalition eine Koalition der großen Verlierer ist. Weder personell noch inhaltlich hat sie ein klares Mandat. Die Parteien stehen gegen ihre eigenen, pathetisch aufgeblasenen Prinzipien von gestern. Liberalen wie Grünen war die eigene Glaubwürdigkeit wichtiger als die Machtteilhabe, die beiden möglich gewesen wäre. Für Union und SPD gilt das offenbar nicht.

Was Merkel betrifft: Der Machtwechsel pur, für den sie stand, ist ihr misslungen. Deutschland brauche keine große Koalition, hieß es vor der Wahl. Deutschland werde es nur besser gehen ohne die SPD. Keine Kompromisse! Vorher sagen, was hinterher ist! So war’s. Alles erledigt vom vermeintlichen Sachzwang, der doch nur eine Machtfrage ist, getarnt durch das Wort Vernunft. Der SPD wiederum ist es misslungen, das durchzusetzen, was ihre Führung bis zuletzt als ihr Ziel erklärte: Merkel zu verhindern.

Das wird der Partei schwer zu erklären sein, und für diese schwer zu verstehen. Gerade erst hatte sich die SPD damit abgefunden, dass es logisch sei, dem eigenen Kanzler zum Zeichen des Vertrauens genau das zu entziehen. Jetzt soll die Partei akzeptieren, dass die eigenen Abgeordneten eine Frau zur Kanzlerin wählen, von der es eben noch hieß, sie verfolge eine unsoziale Politik (Thierse), sie sei das Sinnbild für sozialen Kahlschlag (Benneter), sie werde niemals Kanzlerin mit den Stimmen der SPD (Schröder). Wenn sie’s jetzt doch werden soll, dann reicht dafür nicht das Wort Vernunft, dann geht das nur mit der Behauptung, nach den Koalitionsverhandlungen werde Merkel nicht mehr Merkel sein.

Wenn die Sozialdemokraten sie da nicht mal gleich wieder unterschätzen. Und Oskar Lafontaine gleich mit. Schwierig wird es werden für die drei Parteien, die tief verunsichert sind. Um das Vertrauen, das sie erbaten, werden sie jetzt erst kämpfen müssen, miteinander und gegenüber dem Land, dem Merkel zu dienen versprach. Schwierig wird es für sie, die nicht durchregieren kann, wie sie wollte. Stattdessen muss sie moderieren und integrieren, nach allen Seiten. Sie wird eine Politik als erfolgreich verkaufen, die sie grundfalsch genannt hat. Sie wird der SPD Erfolge gönnen müssen, die ihre Niederlagen sind. Aber sie hat die Macht. Dass es ihr gut geht, sagt sie. Ob sie glücklich ist, nicht.

Die Zäsur des Moments wäre nicht vollständig erfasst ohne den Abgang Schröders. Millionen Arbeitslose, Rekordschulden, links von der SPD eine starke Kraft, das steht auf dem einen Blatt. Auf dem anderen steht nicht zuletzt der Mut zu sozialen und auch gesellschaftlichen Reformen, die zuvor niemand anfassen wollte. Als Schröder antrat in einem Land, das müde war von sechzehn Jahren Helmut Kohl, versprach er: Zwei Amtszeiten, dann ist Schluss. So ist’s gekommen. Es war nicht alles falsch.

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