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Forensiker treffen am Donnerstagmorgen am Anschlagsort in Ankaras Regierungsviertel ein.

© REUTERS/Umit Bektas

Update

Nach Anschlag in Ankara: Die Spurensuche in der Türkei hat begonnen

28 Menschen starben, mindestens 61 wurden bei dem Autobomben-Attentat verletzt. Präsident Erdogan kündigte Vergeltung an. Die türkische Luftwaffe griff am Abend PKK-Stellungen an.

Nach dem verheerenden Terroranschlag in der türkischen Hauptstadt Ankara sucht die Regierung nach den Hintermännern. „Uns liegen bisher noch keine Informationen darüber vor, wer diesen Angriff getätigt hat“, sagte Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus. Bei dem Anschlag auf einen Militräkonvoionvoi mit Bussen der Armee am Mittwochabend wurden nach seinen Angaben mindestens 28 Menschen getötet und 61 weitere verletzt worden. Kurtulmus sprach von einem Angriff „auf die gesamte Nation“.

Der Militärkonvoi hatte sich im Feierabendverkehr durch die Straßen im Stadtzentrum von Ankara geschoben. Die Dunkelheit war bereits hereingebrochen im Regierungsviertel der türkischen Hauptstadt, in dem Parlament, Ministerien, Botschaften und Generalstab eng beieinander liegen. Mit einer gewaltigen Detonation, die im ganzen Stadtgebiet zu hören war, flogen gegen 18.30 Uhr Ortszeit (17.30 Uhr MEZ) mehrere Wagen des Konvois in die Luft und gerieten in Brand. Unbekannte hatten neben den Fahrzeugen vermutlich eine Autobombe gezündet – und der schon seit Monaten von schweren Terroranschlägen erschütterten Türkei einen neuen Schlag versetzt.

Bilder vom Anschlagsort zeigten eine schwarze Rauchsäule über der Stadt und völlig ausgebrannte Busse – und all das nur wenige hundert Meter vom Parlament und vom Hauptquartier der türkischen Armee entfernt. Zu der Detonation sei es gekommen, als die Fahrzeuge an einer Ampel gehalten hätten, teilte das Militär mit. Regierungssprecher Numan Kurtulmus sprach weiter von einem sorgfältig vorbereiteten Anschlag. Die Regierung verhängte aus Gründen der „nationalen Sicherheit“ eine Nachrichtensperre, die aber nicht offizielle Verlautbarungen betrifft.

Spekulationen über die Urheber: War es die PKK?

Doch noch während die Militärfahrzeuge lichterloh brannten und die Sirenen der Krankenwagen heulten, setzten die ersten Spekulationen über die Urheber ein. Ganz offensichtlich sollte mit dem Anschlag im Herzen der türkischen Regierungsmacht eine blutige Botschaft an die Regierung geschickt werden. Die meisten Beobachter waren sich schnell einig, dass wahrscheinlich die kurdische Arbeiterpartei PKK hinter dem Anschlag steckte. Regierungsvertreter, die nicht namentlich genannt werden wollten, stimmten dem zu. Ein ranghoher Militärvertreter erklärte, der Anschlag nahe des Parlaments habe den Soldaten gegolten. In Sicherheitskreisen im kurdischen Südosten des Landes hieß es hingegen, möglicherweise stecke die Extremistenmiliz IS hinter dem Anschlag.

Feuerwehrleute nähern sich den Flammen. Der Anschlag galt offenbar einem Militärkonvoi im Regierungsviertel.
Feuerwehrleute nähern sich den Flammen. Der Anschlag galt offenbar einem Militärkonvoi im Regierungsviertel.

© Reuters

Flammen schlugen nach dem Anschlag in Ankara hoch.
Flammen schlugen nach dem Anschlag in Ankara hoch.

© dpa

Für eine Täterschaft der militanten Kurden sprach nicht nur der Zeitpunkt. Fast genau vor 17 Jahren, am 16. Februar 1999, hatte der türkische Geheimdienst in Kenia den PKK-Gründer Abdullah Öcalan gefangen genommen und in die Türkei geflogen. Öcalan sitzt bis heute auf der Gefängnisinsel Imrali bei Istanbul ein. Seit seiner Festnahme gibt es regelmäßig um den Jahrestag herum Gewalttaten kurdischer Extremisten.

Doch nicht nur das Datum ließ die PKK ins Zentrum der Vermutungen rücken. Seit Monaten schon liefern sich türkische Sicherheitskräfte und die PKK schwere Gefechte in Städten im südostanatolischen Kurdengebiet. Dabei geht der Staat gegen eine von den Rebellen ausgerufene „Autonomie“ vor, die von der PKK mit Straßengräben, Barrikaden und Sprengfallen verteidigt wird.

Bis zu tausend PKK-Kämpfer sollen bei den unerbittlichen und mit schweren Waffen ausgetragenen Straßenkämpfen, die ganze Häuserzeilen in Schutt und Asche gelegt haben, bisher ums Leben gekommen sein. Kurdenpolitiker und Menschenrechtler werfen Armee und Polizei vor, mit rücksichtsloser Härte auch gegen Zivilisten vorzugehen. Es ist, als hätte es den Friedensprozess zwischen Staat und PP, der noch vor einem Jahr viel Hoffnung verbreitete, nie gegeben.

Seit einigen Tagen bekämpfen sich türkische Militärs und kurdische Rebellen zudem noch an einer anderen Front: in Syrien. Seit Samstag nimmt die türkische Artillerie von der Grenze aus die Stellungen der syrischen Kurdenmiliz YPG unter Beschuss. Die YPG ist ein syrischer Ableger der PKK und kämpft für kurdische Selbstverwaltung. Nur wenige Stunden vor der Bombe von Ankara hatte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan in einer Rede erklärt, sein Land denke trotz der für Syrien geplanten Waffenruhe nicht daran, den Beschuss der YPG einzustellen.

Merkel verurteilt "neuerlichen terroristischen Akt"

Erdogan und Ministerpräsident Ahmet Davutoglu kamen noch am Abend mit ihren wichtigsten Beratern zu einer Krisensitzung zusammen. Der Präsident kündigte anschließend Vergeltung für den Anschlag an. Die Türkei sei entschlossen, von ihrem "Recht auf Selbstverteidigung" Gebrauch zu machen, sagte er.

Irakischen Medien zufolge bombardierte die türkische Luftwaffe am Abend PKK-Stellungen im Nordirak. Die Angriffe hätten eine Stunde gedauert, berichtete der Fernsehsender Al Sumaria. Ob die Luftschläge im Zusammenhang mit dem Anschlag in Ankara und Erdogans Ankündigung standen, blieb jedoch unklar. Die pro-kurdische Oppositionspartei HDP - der Erdogan eine Nähe zur PKK vorwirft - verurteilte den Anschlag.

Regierungschef Davutoglu sagte unterdessen seine Reise zum EU-Gipfel nach Brüssel ab. Dort wollte er sich mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und seinem griechischen Kollegen Alexis Tsipras treffen. Auch die geplante Zusammenkunft des "Clubs der Willigen" aus elf EU-Staaten und der Türkei wurde nach Davutoglus Ankündigung verschoben. Merkel hatte am Mittwochmittag bei einer Regierungserklärung im Bundestag betont, dass sie auf eine "europäisch-türkische" Lösung der Flüchtlingskrise setzt.

Die Bundeskanzlerin und Außenminister Frank-Walter Steinmeier reagierten entsetzt auf den Anschlag. „Die Bundesregierung verurteilt diesen neuerlichen terroristischen Akt auf das Schärfste“, sagte Merkel nach einer Mitteilung des Bundespresseamtes. Merkel sprach den Angehörigen der Toten und den Verletzten ihr Mitgefühl aus. „Dem türkischen Volk sage ich: Wir Deutsche teilen ihren Schmerz. Im Kampf gegen die Verantwortlichen für solche menschenverachtenden Taten stehen wir an der Seite der Türkei.“ Steinmeier zeigte sich „erschüttert“. Sollte sich bestätigen, dass es sich um einen Terroranschlag handelt, „wäre das ein neuerlicher feiger Akt der Gewalt in der Türkei“. Auch die USA und Frankreich verurteilten den Anschlag und sicherten ihre Unterstützung zu.

Es war der vierte schlimme Anschlag in der Türkei seit dem vergangenen Sommer: Mehr als 130 Menschen starben bei zwei Anschlägen des „Islamischen Staates“ (IS) an der syrischen Grenze und in Ankara im Juli und im Oktober, elf deutsche Touristen fanden bei einem weiteren Anschlag des IS in Istanbul im Januar den Tod – und jetzt schlugen Extremisten erneut zu. (mit dpa, AFP, rtr)

Wohin treibt die Türkei? Lesen Sie hier eine Analyse unseres Korrespondenten Thomas Seibert nach dem Selbstmordanschlag in Istanbul im Januar.

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