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Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) sieht nur geringe Chancen auf ein Linksbündnis.

© dpa

Nach Appell von Günter Grass: Thierse sieht "nicht viele" Chancen für Linksbündnis

Der Literatur-Nobelpreisträger und langjährige SPD-Unterstützer Günter Grass fordert mehr Aufgeschlossenheit der Sozialdemokraten gegenüber der Linkspartei - der Sozialdemokrat Wolfgang Thierse findet das voreilig.

Von Matthias Meisner

Gegen Koalitionsgespräche zwischen SPD und Linkspartei nach der Bundestagswahl am 22. September hätte der Schriftsteller Günter Grass "nichts einzuwenden". Denn schließlich sei die Linke "eine demokratisch gewählte Partei". Und: "Es müsste im Interesse beider Parteien liegen, sich anzunähern", sagte der 85-jährige Literatur-Nobelpreisträger in einem für ein Buch geführten Gespräch, dessen autorisierte Kurzfassung die "Süddeutsche Zeitung" am Dienstag veröffentlichte. Zugleich rechnet Grass darin scharf ab mit dem Ex-Vorsitzenden beider Parteien, Oskar Lafontaine. "Es gab in der Geschichte der sozialdemokratischen Partei keinen schmierigeren Verrat, wie den von Oskar Lafontaine an seinen Genossen."

Kipping weist Verratsvorwurf zurück

Linken-Chefin Katja Kipping wies den Verrats-Vorwurf an die Adresse von Lafontaine zurück. In einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel schrieb sie. "Ist es wirklich Verrat, gegen eine Parteiführung zu opponieren, die systematisch den Wertekonsens der Partei demontiert?" Und fügte hinzu: " Ist es wirklich Verrat, als Sozialdemokrat gegen die Aushöhlung der sozialen Rechte jener Menschen zu streiten, die den gesellschaftlichen Reichtum schaffen? Ist es wirklich Verrat, Herr Grass, sich einfach nicht länger mitschuldig machen zu wollen?" Den Aufruf von Grass an die SPD, sich gegenüber der Linkspartei aufgeschlossener zu zeigen, kommentierte Kipping zustimmend: "Günter Grass sagt zunächst einmal etwas durchaus richtiges, wenn er meint, SPD und Linken müssten sich einander annähern."  Eine Annäherung wäre aus ihrer Sicht "womöglich in einzelnen inhaltlichen Projekten gar nicht so schwierig". Ihr selbst ginge es dabei weniger um Presonen als vielmehr um politische Positionen.

Grass lese offenbar nur noch sehr selten Zeitung und sieht noch seltener fern, schrieb Kipping. "Sonst wäre ihm nämlich nicht entgangen, dass sich Oskar Lafontaine weitgehend aus der Bundespolitik zurückgezogen hat." In diesem Punkt kassierte sie Widerspruch vom SPD-Politiker Wolfgang Thierse. Er sagte dem Tagesspiegel. Die Kritik an Lafontaine sei nicht falsch, werde "geteilt von den größten Teilen der SPD". Unter Hinweis auf einen angeblichen Rückzug von Lafontaine von der bundespolitischen Bühne sagte der Bundestagsvizepräsident: "Er versucht doch immer noch, seinen Einfluss zu nehmen über die weibliche Figur namens Sahra Wagenknecht. Das ist doch unübersehbar." Wagenknecht ist stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei und der Vizechefin der Linken-Bundestagsfraktion, seit einer ganzen Weile auch die Lebensgefährtin von Lafontaine.

Thierse verärgert über Linken-Kritik an Sozialdemokraten

Thierse fügte im Gespräch mit dem Tagesspiegel hinzu, er sehe "in diesem Jahr und in den nächsten Jahren nicht viele Chancen" für ein Linksbündnis. "Aber dass die Zukunft offen ist, wissen wir doch auch", sagte der Politiker der im Herbst aus dem Bundestag ausscheidet, unter Bezug auf die Grass-Äußerungen. Dessen Appell sei "keine tagespolitische Empfehlung, das weiß auch Günter Grass". Thierse fügte hinzu: "Ich kann nur empfehlen hinzugucken, welcher Teil der Linken überhaupt koalitionsfähig ist. Die Linkspartei insgesamt ist es nicht." Und weiter: "Wir müssen den weiteren Veränderungsprozess der Linkspartei abwarten."

Als Grund gegen eine Annäherung beider Parteien nannte Thierse auch die Kritik führender Linken-Politiker wie Gregor Gysi, Katja Kipping und Bernd Riexinger an Sozialdemokraten und sozialdemokratischer Politik. "Ich bleibe bei meiner Beobachtung: Ideologisch-emotional wird die Linkspartei zusammengehalten durch einen Hass auf die Sozialdemokratie." Die Erklärungen von Linken-Politikern, offen zu sein für ein rot-rot-grünes Bündnis seien "nur Wichtigtuerei", wenn zuvor die SPD und ihre führenden Protagonisten beschimpft worden seien. Thierse ist neben dem Publizisten Manfred Bissinger einer der Herausgeber des Buches "Was würde Bebel dazu sagen?", in dem das Gespräch mit Grass erscheint.

Auch Linken-Fraktionschef Gregor Gysi verteidigte Lafontaine gegen die Kritik von Grass. Es sei 2005 völlig berechtigt und geboten" gewesen, dass er, "auch um ein Zeichen zu setzen, die SPD verlassen und zusammen mit anderen Die Linke gegründet hat". Jahrzehntelang habe die SPD nur von rechts unter Druck gestanden, "endlich auch von links". Lafontaine sei kein Verräter und Grass "sollte sich statt mit ihm besser kritisch mit seiner SPD und ihrer Führung auseinandersetzen". Sein Feldzug gegen Lafontaine sei gerade heute, am 100. Todestag von August Bebel, völlig fehl am Platz. "August Bebel stünde heute der Linken deutlich näher als der SPD." Lafontaine selbst wies in der "Süddeutschen Zeitung" die Vorwürfe von Grass zurück: Dieser bekomme "viele Dinge nicht mehr mit".

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