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Ein türkischer Polizist sperrt den Platz ab, auf dem sich am Dienstagmorgen ein Selbstmordattentäter in die Luft sprengte.

© dpa

Nach dem Anschlag in Istanbul: Warum der IS zunehmend weiche Ziele angreift

Der IS will mit seinen Attentaten auch in die islamistischen Milieus hineinwirken und weitet seine Angriffe auf weiche Ziele aus. Die Anschläge sind auch ein propagandistischer Ausgleich für die Niederlagen im militärischen Kampf in Syrien und Irak.

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Sicherheitskreise halten die Serie von Anschlägen des IS gegen weiche Ziele wie am Dienstagmorgen in Istanbul für eine strategische Offensive der Terrormiliz. Mit mehreren Komponenten. Der Angriff auf Touristen an einem Strand in Tunesien, die Explosion einer russischen Passagiermaschine über dem Sinai, der verheerende Angriff im November in Paris und die Attacken in der Türkei sollen Staaten bestrafen, die der IS als Unterstützer seiner Feinde wahrnimmt. Tunesien versucht, Dschihadisten an der Ausreise nach Libyen zu hindern, wo der IS eine „Provinz“ erobert hat. Russland, Frankreich und die Türkei nimmt der IS als Gegner im syrisch-irakischen Konfliktgebiet wahr.

Weiche Ziele wie Strandhotels, die Restaurants in Paris und nun die Touristenattraktionen in Istanbul sind schwer zu schützen. Hier erwartet der IS am ehesten blutige Erfolge und eine entsprechende Schockwirkung in den getroffenen Staaten und über sie hinaus. Damit ist auch Deutschland gemeint, das die Kurden mit militärischer Ausrüstung für den Kampf gegen den IS unterstützt und mit dem Einsatz von Tornados für Aufklärungsflüge über Syrien am militärischen Kampf gegen den IS beteiligt ist. Der Tod deutscher Touristen wird von der Terrormiliz bewusst einkalkuliert, zumal es bisher nicht gelungen ist, in der Bundesrepublik selbst zuzuschlagen. Der IS will mit den Anschlägen aber auch in die islamistischen Milieus hineinwirken, mit einer Art Propaganda der Tat. Denn jeder schwere Angriffe belegt, dass der IS zuschlagen kann wie der Rivale Al Qaida. So nehmen Sicherheitsexperten die Anschläge des IS auch als Konkurrenzkampf der beiden Terrororganisationen wahr. Für den IS sind die Anschläge zudem ein propagandistischer Ausgleich für die Niederlagen im klassisch militärischen Kampf in Syrien und Irak.

IS-Kämpfer konnten bis vor kurzem weitgehend unbehelligt über die Türkei nach Syrien einreisen

Die Türkei unterstützt in Syrien die Opposition gegen Präsident Baschar al Assad – offiziell lediglich politisch, doch nach Angaben von Kritikern und der Opposition in Ankara auch mit Waffen. Auch direkte militärische Hilfe gibt es wohl.

Erst in den vergangenen Tagen meldete die regierungsnahe Presse, die türkische Armee habe den Vormarsch einer Rebellenallianz im Norden Syriens mit Artillerie und Panzern von der türkischen Seite der Grenze aus verstärkt. Ziel der Türkei ist ein Machtwechsel in Damaskus und die Einrichtung einer Regierung in Syrien, die allen Belangen der Bevölkerung Rechnung trägt. Westliche Diplomaten berichten, zumindest in der ersten Phase des Syrien-Konflikts seien radikalislamische Gruppen von Ankara gestützt worden. Die türkische Führung weist dies zurück. Ebenso wie den Vorwurf, sie habe den „Islamischen Staat“ zu lange gewähren lassen. Doch Experten sind sich einig: IS-Kämpfer konnten bis vor wenigen Monaten weitgehend unbehelligt über die Türkei in das Bürgerkriegsland gelangen, sogar Erdöl sollen die „Gotteskrieger“ in der Türkei verkauft haben.

Doch der Anschlag von Suruc, bei dem im Juli 2015 mehr als 30 Menschen ums Leben kamen, zwang Erdogan zu einem Kurswechsel. Denn das Selbstmordattentat wird dem IS zugeschrieben. Die Terroristen hatten damit ihren Krieg in die Türkei getragen. Das zwang die Regierenden, entschlossener als zuvor gegen die Dschihadisten vorzugehen. In der Folge gab es erste direkte Angriffe der türkischen Armee auf IS-Stellungen in Syrien. Auch wurde den USA der wichtige Luftwaffenstützpunkt Incirlik für Angriffe auf das „Kalifat“ zur Verfügung gestellt. Aus Sicht des „Islamischen Staats“ hatte sich die Türkei damit endgültig auf die Seite der christlichen „Kreuzfahrer“ gestellt.

Wenige Wochen nach Suruc wurde der Türkei dann in einem minutenlangen IS-Propagandavideo unmissverständlich und öffentlichkeitswirksam gedroht. Darin wurden alle „Gläubigen“ aufgefordert, „Istanbul zu erobern“.

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