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Eberhard Sandschneider

© DGAP

Nach dem Börsencrash: „Der Aufstieg Chinas ist zu unserem Vorteil“

Der Politikexperte Eberhard Sandschneider warnt vor einer feindseligen Haltung im Westen - und vor einer Destabilisierung Chinas.

Wie gefährlich ist der aktuelle Börsencrash für China?

Das ist ein Börsencrash wie jeder andere im Westen auch. Der auch fast denselben Regeln folgt: Die Großanleger sind frühzeitig eingestiegen, sodass sie trotz eines Verlustes von 30 Prozent noch immer in der Gewinnzone sind. Die Kleinanleger sind das Problem. Die kommen in der Regel erst spät an Bord und bluten dann entsprechend. Das ist im Westen nicht einfach zu verkraften, und das ist in China doppelt schwierig.

Warum?
Weil die politische Führung die Menschen ein Stück weit animiert hat, ihr Geld an der Börse anzulegen. Eine Regierung, die so etwas tut, ist natürlich in einer schwierigen Situation, wenn so etwas schiefgeht. Andererseits ist ein Börsencrash eine absolute Momentaufnahme. Die darf man nicht überbewerten. Wenn Sie sich westliche Börsencrashs anschauen: Die Börsen haben danach immer neue Höchststände erreicht. So etwas kann sehr gut auch in China passieren, und dann ist das Thema Börsencrash vom Tisch.

Ist der Crash auch politisch eine Gefahr für China?
Ich beschäftige mich seit 30 Jahren mit China, und ich habe schon so viele Auguren erlebt, die den Untergang Chinas vorausgesagt haben, ohne dass er bis heute eingetreten ist. Da bin ich ausgesprochen vorsichtig. China hat gewaltige Probleme, keine Frage. Aber China hat auch eine Regierung, die um die Probleme weiß und die ihr Möglichstes tut, um diese Probleme zu bewältigen. Dass das auf Dauer gut geht, dafür gibt es keine Garantie. Es ist ein riesiges Land, das sich gewaltig entwickelt hat und das auch seine Schwierigkeiten hat wie jedes andere System. Aber der langfristige Trend ist ungebrochen: China ist im Begriff, zur zweiten globalen Supermacht aufzusteigen.

Dabei scheint das wirtschaftliche Wachstum jetzt an Grenzen zu stoßen.
Man kann nicht erwarten, dass ein Land unaufhörlich mit zweistelligen Zuwachsraten wächst. Das hat China in den letzten 30 Jahren geschafft, aber beginnend auf einem extrem niedrigen Niveau. Und jetzt ist das Niveau schon deutlich höher. Auf diesem Niveau und angesichts der gewaltigen Probleme weiteres Wachstum zu produzieren, ist eine gewaltige Aufgabe. Der Wachstumstrend flacht ab, was eine völlig zu erwartende Entwicklung ist – aber er hört nicht auf.

Ist die Entwicklung nicht trotzdem gefährlich, weil die Menschen sich an zweistellige Wachstumsraten gewöhnt hatten?
Die chinesische Regierung tut ihr Möglichstes, den Menschen zu erklären, dass dieses Turbowachstum der letzten 30 Jahre nicht so weitergehen kann. Aber sieben Prozent heißt: Am Ende eines Jahres geht es den Chinesen ein Stück, nämlich sieben Prozent, besser als am Anfang des Jahres. Und so lange man einen solchen Trend erlebt, ist alles relativ einfach.

Welche Probleme sind in China gegenwärtig die dringlichsten?
Soziale Ungleichheit zum Beispiel, das ist ein absolutes Reizthema in China. Oder die Arbeitsmarktpolitik. Wenn es Millionen und Millionen von jungen, gut ausgebildeten Akademikern gibt, die auf prekären Jobs sitzen und keine Perspektive haben, am Reichtum zu partizipieren – darin besteht ein ungeheures Unruhepotenzial.

Könnte die Regierung angesichts dieser innenpolitischen Probleme außenpolitisch davon ablenken – wir denken dabei an den Territorialstreit im Südchinesischen Meer?
Das kann punktuell passieren, aber das wird auf Dauer nicht helfen. Da es innenpolitisch so viele Probleme hat, ist China außenpolitisch darauf angewiesen, möglichst viel Stabilität zu erhalten.

Ist der wachsende Nationalismus in China nicht eine Gefahr für die Nachbarstaaten?
Der Nationalismus ist eine unglaublich starke Triebkraft chinesischer Politik. Das darf man nicht unterschätzen. Bedauerlicherweise für die Region ist das ein Phänomen, das man nicht nur in China beobachtet, sondern auch in allen anderen wichtigen Anrainerstaaten. In Japan vor allem, aber auch in Korea. Also, die Großwetterlage in Ostasien ist alles andere als freundlich.

Ist der Nationalismus ein Mittel, um die ideologische Leere zu füllen, die sich in den letzten Jahren aufgetan hat?
Das ist eine Gesellschaft, die sich sehr schnell entwickelt hat. Die heutige Generation der 30-Jährigen kennt China nur in diesem unglaublichen Steilflug. Aber sie hat dabei alles, was wir Wertesystem nennen, irgendwo auf der Strecke verloren. Und eine Gesellschaft mit dieser ideologischen Leere ist eine prekäre Gesellschaft, eine für Destabilisierung leicht anfällige Gesellschaft. Es ist nicht auszuschließen, dass der Nationalismus benutzt wird, um diese Leere zu füllen. Ob er auf Dauer trägt, vermag niemand zu sagen.

Was ist eigentlich der chinesische Traum, von dem Staatspräsident Xi Jinping redet?
Der chinesische Traum hat viel mit dem Jahr 1435 zu tun. Damals hat China seine Überseeflotte von 40 000 Mann eingemottet und begonnen, eine Mauer zu bauen – seitdem war China in einem kontinuierlichen Niedergang. Damals war China die technologisch führende Weltmacht – das hat man nur damals bei uns noch nicht gespürt, weil die Kontinente noch nicht so verbunden waren. Ich denke, der chinesische Traum besteht darin, China wieder dorthin zurückzuführen, wo es damals war: An die Spitze. Das aber wird Ihnen kein chinesischer Politiker und Diplomat sagen, sie werden stattdessen sehr viel über Multilateralismus und Win-Win-Situationen erzählen.

Sind diese Ambitionen eine Bedrohung für uns?
Ich habe 2007 in einem Buch den Titel gewählt: Globale Rivalen. Und China ist für uns ein globaler Rivale in allen Themen, die uns berühren. Es wird höchste Zeit, dass wir – ohne es feindselig zu meinen – China so lesen, wie China sich in den nächsten Jahren entwickeln wird. Die eher aggressive Perspektive, die man in den USA findet, ist dabei wenig hilfreich. Dieser Prozess wird sich nicht stoppen lassen, man wird einen Weg finden müssen, damit konstruktiv umzugehen. Und wie wir in den letzten 30 Jahren gesehen haben, ist der Aufstieg Chinas nichts, was uns schadet. Sondern etwas, was deutschen Unternehmen nicht nur Umsatz gebracht hat, sondern auch Arbeitsplätze in Deutschland gesichert hat. Der globale Aufstieg Chinas ist also durchaus in unserem Sinne und zu unserem Vorteil.

Müssen wir demnach froh sein, wenn das dortige politische System stabil bleibt?
Da haben wir so ein kleines Problem mit unserem Wertesystem, das in China natürlich nicht in dem Sinne umgesetzt wird. Aber unter dem Strich muss man ganz hart sagen: Ja, die Stabilität Chinas bei erhofftem politischen Wandel in Richtung der Werte, die wir uns vorstellen, ist in unserem Interesse. Man mag sich gar nicht vorstellen bei der derzeitigen wirtschaftlichen Situation, was eine Destabilisierung Chinas bedeuten würde.

Eberhard Sandschneider, 60, ist Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

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