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Demonstration gegen TTIP.

© dpa

Nach dem Brexit-Referendum: Ist das Freihandelsabkommen TTIP noch zu retten?

Seit Langem ist das Handelsabkommen zwischen den USA und Europa umstritten. Nach dem Brexit droht ihm nun das Aus.

Von Antje Sirleschtov

Als die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Wirtschaftsnationen vor drei Jahren im nordirischen Lough Erne zum G-8-Gipfel zusammenkamen, gaben sie den Startschuss für das Handelsabkommen namens TTIP zwischen der EU und den Vereinigten Staaten. Damals war es ausgerechnet der britische Premier David Cameron, der als Gastgeber von einem „Meilenstein“ sprach, den man mit dem Abkommen für „Wachstum und Wohlstand auf der ganzen Welt“ setzen wolle. Und auch noch vor acht Wochen warb Cameron in Hannover gemeinsam mit US-Präsident Barack Obama für das Abkommen.

Seit sich die Briten vergangene Woche von der EU losgesagt haben, ist nun wohl nicht nur das politische Schicksal von David Cameron endgültig besiegelt. Es deutet auch vieles darauf hin, dass vom Strudel der Folgen des Brexits ebenso das Freihandelsabkommen TTIP betroffen sein wird. Schon wenige Stunden nach Bekanntgabe des Ausgangs des britischen Referendums war die Rede vom „Ende des TTIP“.

Für die Verhandler des Abkommens kommt der Brexit zur Unzeit. Zwar beteuerten am Wochenanfang sowohl die europäische als auch die amerikanische Seite, dass London formal noch zur EU gehöre, mithin die Gespräche unberührt vom Ausgang des Referendums im Juli fortgesetzt würden. Und EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström stellte in Aussicht, noch in dieser Woche wolle sie die Verhandlungen in Washington „weiter voranbringen“.

Unstrittig ist jedoch, dass ein Erfolg von TTIP auch ohne Brexit schon auf der Kippe stand: Weil die Stimmung im amerikanischen Wahlkampf nicht auf einen zügigen Abschluss bis zum Ende der Amtszeit Obamas hindeutet. Und weil auch in Europa die Kritiker des geplanten Abkommens immer mehr Zulauf erfahren und damit die Legitimationsbasis für einen Abschluss der transatlantischen Verträge schwindet. Zuletzt hatte die Veröffentlichung von Dokumenten dem neue Nahrung gegeben. Darin wurden wesentliche Meinungsverschiedenheiten der Verhandlungsparteien offenbart, während offiziell von wenigen noch zu klärenden Details die Rede war.

Unterstützer fehlen

Nun offenbarte der Verhandlungsführer des EU-Parlaments, Bernd Lange (SPD), unumwunden: „Ich sehe praktisch keine Chance mehr, dass es mit der aktuellen US-Regierung noch eine Einigung über TTIP geben wird.“ Was heißt: De facto sind die TTIP-Gespräche geplatzt. Denn wenn es mit der amtierenden US-Regierung keine Einigung gibt, dann mit keiner. Hillary Clinton und Donald Trump haben sich beide gegen TTIP positioniert.

Doch auch wenn die amerikanische Seite auf den letzten Metern noch Zugeständnisse machen und damit die Gespräche erleichtern würde: In Europa ist ihnen mit Großbritannien einer der wichtigen Unterstützer abhandengekommen. Mit den Briten fehlt einer am Tisch, der die skeptischen Europäer von der Notwendigkeit des transatlantischen Bündnisses überzeugt.

Auch beim Thema TTIP wird deutlich, dass die Union eine ihrer liberalen und wirtschaftsfreundlicheren Größen verliert und sich die politischen Gewichte verschieben – und zwar eindeutig hin zu den TTIP-Kritikern. Am Sonntag bereits erläuterte der französische Premier Manuel Valls, wohin die Reise geht: „Ich sage es Ihnen ganz offen, es wird kein Einverständnis zum transatlantischen Vertrag geben“, sagte er. „Diese Vereinbarungen gehen nicht in die richtige Richtung“, sie seien „einfach schlecht für unsere Wirtschaft“.

Von nun an, so Valls, könne kein Freihandelsabkommen mehr beschlossen werden, wenn es nicht den Interessen der EU entspreche. „Wenn Frankreich will, kann es Tafta (das transatlantische Freihandelsabkommen) stoppen.“ Eine eindeutige Botschaft der Franzosen war das in den Augen des deutschen Vizekanzlers und SPD-Chefs Sigmar Gabriel: „Es ist tot“, sagte er über TTIP, „wenn nix rauskommt und die USA weiterhin Forderungen stellen, die Europa nicht erfüllen darf und kann“. Und Gabriel, dem es als Chef der TTIP-skeptischen SPD ohnehin immer schwerer fällt, sich als Wirtschaftsminister hinter das Abkommen zu stellen, kommt dann zu dem Schluss: „Leider sieht es so aus.“

Mitsprache gefordert

Einen ersten Vorgeschmack auf den womöglich letzten Kampf um das Handelsabkommen lieferten die europäischen Staatsoberhäupter und Spitzenpolitiker am Dienstag selbst. Und zwar bezeichnenderweise gleich am ersten Tag des Gipfeltreffens ohne die Beteiligung der Briten: Als sei das das oberste Gebot der Stunde, stellte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker fest, dass man das – bereits fertig ausgehandelte und als Blaupause zu TTIP zu verstehende – Ceta-Abkommen zwischen der EU und Kanada den nationalen Parlamenten erst gar nicht zu einer Abstimmung vorlegen müsse und werde.

Erwartungsgemäß sorgte Junckers Absage vor allem dort, wo die Kritik am lautesten ist, also in Deutschland, für heftige Reaktionen. Während Kanzlerin Merkel noch vorsichtig davon sprach, ein „Meinungsbild“ des Bundestages einzuholen, wurde ihr Vizekanzler sehr viel deutlicher; und auch CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt ließ keinen Zweifel aufkommen: „Internationale Handelsabkommen wie Ceta nehmen einen großen Teil in der öffentlichen Debatte ein. Deshalb dürfen die nationalen Parlamente gerade in der jetzigen Situation nicht außen vor gelassen werden“, sagte sie. Der Bundestag brauche ein Mitspracherecht.

Das Bündnis „Ceta und TTIP stoppen" hat den Krach in Brüssel übrigens unmittelbar zur Fortsetzung seiner – ohnehin erfolgreichen – Strategie genutzt und rief am Mittwoch zu mehreren bundesweiten Kundgebungen in sieben großen Städten gleichzeitig auf. „Weit mehr“ als 100 000 Teilnehmer würden am 17. September erwartet.

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