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Nach dem Karlsruher Urteil: Bundestag muss bei Euro-Hilfen stärker beteiligt werden

Die Richter haben entschieden, der Bundestag muss folgen. Was bedeutet das Urteil des Bundesverfassungsgerichts für zukünftige Entscheidungen?

Das Bundesverfassungsgericht hat die bisherige Regelung über die Mitsprache des Bundestages bei der Auszahlung von Hilfen aus dem Euro-Rettungsschirm EFSF weitgehend gekippt. Künftig sollen sich möglichst alle Abgeordneten – nicht nur ein kleiner Kreis von neun Parlamentariern – mit den Hilfsleistungen befassen.

Warum gibt es das Neuner-Gremium?

Im September hat der Bundestag eine Änderung des sogenannten Stabilitätsmechanismusgesetzes beschlossen, in dem unter anderem die Beteiligungsrechte des Parlamentes bei der Euro-Rettung geregelt sind. In den Monaten zuvor war die Euro-Krise hochgekocht: Italien und Spanien gerieten an den Anleihemärkten unter Druck, selbst über ein Übergreifen auf Frankreich war spekuliert worden. Um die Spekulationen einzudämmen, war auf EU-Ebene die Ausleihkapazität des bestehenden Euro-Rettungsschirms EFSF auf 440 Milliarden Euro ausgeweitet worden – für Deutschland erhöhte sich damit die Haftungssumme auf 211 Milliarden Euro. Allerdings kann Deutschland Gelder aus dem EFSF nur dann freigeben, wenn der Bundestag auch zustimmt.

Und so stimmte der Bundestag im vergangenen Jahr ab:

Wie war die Beteiligung geregelt?

Wenn Entscheidungen besonders eilbedürftig sind oder vertraulich bleiben müssen, sollte darüber im kleinen Kreis von neun Bundestagsabgeordneten unter Ausschluss der Öffentlichkeit entschieden werden. Der EFSF verfügt über die Möglichkeit, Staatsanleihen notleidender Euro-Staaten am Sekundärmarkt aufzukaufen. Allerdings sollen solche Aufkäufe nicht publik werden, bevor sie endgültig abgesegnet sind – ansonsten wäre ihre Wirkung an den Finanzmärkten vorzeitig verpufft. Durch die vertraulichen Beratungen im „Neuner-Gremium“ sollte sichergestellt werden, dass bevorstehende Anleiheaufkäufe nicht vorzeitig bekannt werden. Dies soll auch künftig so bleiben: Nach dem Karlsruher Urteil soll über den Ankauf von Staatsanleihen durch den EFSF weiterhin in dem Mini-Ausschuss entschieden werden. Andere Anwendungsfälle seien jedoch verfassungswidrig.

Wie begründen die Richter ihr Urteil?

Der Bundestag habe eine Repräsentationsfunktion, betonten die Richter. Weder einer Gruppe noch einzelne Abgeordnete oder eine Mehrheit könnten diese wahrnehmen, es bedürfe der Gesamtheit und Mitwirkung aller. Dies sei grundsätzlich auch so, wenn die Parlamentarier ihrer „haushaltspolitischen Gesamtverantwortung“ gerecht werden müssten. Ein Ausschluss einzelner Mitglieder sei nur zum Schutz anderer Rechtsgüter mit Verfassungsrang möglich. Dann müsse dieser aber ein „verkleinertes Abbild des Plenums“ sein. Das Sondergremium als, wie das Gesetz sagt, „kleinstmögliches“ Gremium genügte diesen Anforderungen nicht. Zumal es „regelmäßig“ angerufen werden sollte, wenn die Bundesregierung einen Eilfall sieht. Maßnahmen etwa zur Rekapitalisierung von Banken seien aber so dringlich nicht, meinen die Richter. Dafür ließen sie eine Vorschrift passieren, die die nachträgliche Unterrichtung des Plenums betrifft.

Was sprach für die gekippte Regelung?

Die mögliche schnelle und geheim vorbereitete Reaktion auf den Finanzmärkten – und die Funktionsfähigkeit des Bundestags. Aber die sei „kein Selbstzweck“, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle, sondern solle „viel parlamentarische Legitimation ermöglichen“. Lasse man diese Spielregeln außer Acht, „liefen wir Gefahr, der Funktionsfähigkeit des Parlaments insgesamt zu schaden“.

Wie reagiert die Politik?

Während die SPD und die Grünen das Urteil begrüßten und der Linken-Politiker Wolfgang Neskovic von einem „Weckruf“ für den Bundestag sprach, wollten Koalitionsabgeordnete in dem Karlsruher Richterspruch keine Niederlage erkennen. Es sei zu begrüßen, dass das Verfassungsgericht Entscheidungen über Euro-Hilfen „auf eine breitere parlamentarische Grundlage“ gestellt habe, sagte Gunther Krichbaum, Vorsitzender des EU-Ausschusses im Bundestag. Der CDU- Politiker sieht einen Trend zur stärkeren Einbindung von Abgeordneten bestätigt. Dagegen kann sich der Chef der FDP-Gruppe im EU-Parlament, Alexander Graf Lambsdorff, mit dem Urteil nicht ohne Weiteres anfreunden. Zwar sei das Neuner-Gremium durch das Verfassungsgericht „im Grundsatz legitimiert“ worden, allerdings würden seine Aufgaben durch das Urteil beschnitten. „Man muss sich fragen, ob ein solches Mikromanagement durch ein Verfassungsorgan gegenüber einem anderen angebracht ist.“

Welche Entscheidungen müssen in nächster Zeit getroffen werden?

Es ist derzeit nicht zu erwarten, dass der Bundestag in die Bredouille kommt, möglichst schnell über Ankäufe von Anleihen aus Euro-Krisenländern durch den EFSF entscheiden zu müssen. Im Vergleich zum vergangenen November, als Investoren Rekordzinsen von über sieben Prozent für zehnjährige italienische Anleihen verlangten, hat sich die Lage inzwischen deutlich entspannt. Am Dienstag musste Italien nur noch einen Zinssatz von 5,5 Prozent für zehnjährige Bonds bieten. Zudem trägt auch die Europäische Zentralbank durch ihre Interventionen zu einer Beruhigung der Lage bei – ein unmittelbares Eingreifen des EFSF ist daher nicht zu erwarten.

Am 1. Juli soll der EFSF dann durch den dauerhaften Rettungsschirm ESM abgelöst werden, der derzeit über ein Volumen von 500 Milliarden Euro verfügt. Deutschland steht im Kreis der internationalen Partner derzeit unter großem Druck, einer Aufstockung dieser Summe zuzustimmen und damit die „Brandmauer“ zur Eindämmung der Euro-Krise, die in Griechenland ihren Anfang nahm, zu verstärken. Auch wenn sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) möglicherweise nicht mehr grundsätzlich gegen eine Aufstockung des ESM sperrt, so wird zumindest in dieser Woche noch keine Entscheidung in diesem Punkt fallen: Auf den Druck Deutschlands hin ist inzwischen ein ursprünglich am Freitag geplantes Treffen der Staats- und Regierungschefs aus der Euro-Zone im Anschluss an den regulären EU-Gipfel wieder abgesagt worden. Bei dem Euro-Zonen-Gipfel wäre es unweigerlich zur Diskussion um eine Erhöhung der „Brandmauer“ gekommen – doch daraus wird jetzt erst einmal nichts.

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