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Dies ist nur eine Übung. Doch bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr sind bereits viele Soldaten so schwer verletzt worden, dass sie ihren Dienst nicht wieder antreten konnten.

© picture-alliance/ dpa

Nach dem Krieg: Vom Stabsunteroffizier zum Hartz-IV-Empfänger

Ein ehemaliger Fallschirmjäger ist nach zwölf Jahren wieder Zivilist. Nun kämpft er gegen Posttraumatische Belastungsstörung und drohendes Hartz-IV.

Das Boot tuckert vorbei an weißen Villen, an Yachthäfen und Restaurants am Elbstrand, alles wirkt friedlich, doch Robert Sedlatzek-Müller kommt nicht zur Ruhe. Er lehnt an der Reling des weißen Ausflugsschiffs, das in Richtung Hamburg fährt, und schaut auf das Wasser. Er hat für den Bund Deutscher Veteranen, einer Organisation für ehemalige Einsatzsoldaten der Bundeswehr, einen Bootsausflug auf der Elbe organisiert. Fallschirmjäger aus Seedorf, die in Afghanistan mehrfach in schwere Feuergefechte verwickelt waren und einige Verluste zu beklagen haben, sollen ein paar Stunden entspannen.

Eine Sonnenbrille verdeckt die geröteten Augen Sedlatzek-Müllers, er schläft seit Tagen schlecht. Denn im fernen Berlin wird über ein Gesetz entschieden, das sein Leben verändern könnte. Sedlatzek-Müller, der selbst zu den Fallschirmjägern gehörte und 2002 in Afghanistan bei der misslungenen Entschärfung einer Rakete schwer verletzt wurde, kämpft seit Jahren um eine bessere Versorgung. Wie oft er in verschiedenen Bundeswehrkrankenhäusern war und von Ärzten und Psychologen begutachtet wurde, weiß er nicht mehr.

Im Mai endete seine Ausbildung zum Erzieher, die die Bundeswehr bezahlte. Nun ist er wieder Zivilist, nach zwölf Jahren als Soldat. Als Stabsunteroffizier diente er im Kosovo. In Afghanistan gehörte er mit seinem Diensthund Idor zu einem der ersten Kontingente. Er erhielt mehrere Orden und Auszeichnungen und bestand sogar den ersten Aufnahmetest beim Kommando Spezialkräfte (KSK), der Elite der Bundeswehr.

Heute lassen ihn die Erinnerungen an die Explosion nicht mehr los. Alpträume plagen ihn. Bundeswehrärzte stellten eine Posttraumatische Belastungsstörung, kurz PTBS, fest. Im Zivilleben kommt Sedlatzek-Müller nur schwer zurecht. Wegen seiner Traumatisierung kann er nicht als Erzieher mit Jugendlichen arbeiten. Zu schnell rastet er bei Widerständen aus, zu schlecht kann er sich konzentrieren, zu leicht vergisst er viele Dinge. Der 34-Jährige macht nun ein von der Bundeswehr bezahltes Praktikum. „Danach droht mir Hartz-IV“, sagt er. „Nie hätte ich gedacht, dass einem Soldaten ein solcher Absturz droht.“ Seit der Explosion ist er nicht mehr der Alte.

Lesen Sie auf Seite 2 über die Neuerungen des Einsatzversorgungsgesetzes und ihre möglichen Auswirkungen auf Soldaten wie Sedlatzek-Müller.

Versehrten Soldaten wie Sedlatzek-Müller wollten Bundestagsabgeordnete aller Parteien helfen. Im Oktober 2010 beauftragte das Parlament die Regierung, das Einsatzversorgungsgesetz zu überarbeiten. Am Mittwoch beschloss das Bundeskabinett eine neue Fassung: Die finanzielle Entschädigung bei schweren Verwundungen soll von 80 000 auf 150 000 Euro steigen. Und eine Stichtagregelung wird gekippt, die Soldaten, die vor Dezember 2002 verletzt wurden, bislang benachteiligt. Doch Sedlatzek-Müller gehen diese Änderungen nicht weit genug. Versehrte Soldaten, fordert er, sollen nach ihrem Dienstende nicht einfach aus der Bundeswehr ausscheiden, sondern weiterbeschäftigt werden.

Das Gesetz sieht dies erst ab einem Grad der Wehrdienstbeschädigung von 50 Prozent vor. „Traumatisierte Soldaten bekommen aber fast nie einen so hohen Beschädigungsgrad zuerkannt“, sagt Sedlatzek-Müller. „Wenn ich ein Bein oder einen Arm verloren hätte, wäre ich heute wohl immer noch bei der Bundeswehr beschäftigt.“ Psychische Erkrankungen lassen sich schwerer belegen als große Wunden. Die Betroffenen fordern, dass Soldaten bereits bei 30 Prozent bei der Bundeswehr angestellt bleiben.

Gutachter der Bundeswehr haben Sedlatzek-Müller 40 Prozent bescheinigt. Er hat dagegen Widerspruch eingelegt. Erneut stehen nun Untersuchungen in den Bundeswehrkliniken an. Eine Neuregelung würde ihm die Chance geben, wieder Fuß zu fassen, sagt Sedlatzek-Müller. Er würde sich als Angestellter der Bundeswehr gerne um Veteranen kümmern, ihnen als Lotse beim Umgang mit der Bürokratie helfen. Doch dafür müsste der Gesetzesentwurf geändert werden. Am 19. September soll der Bundestag darüber entscheiden. Robert Sedlatzek-Müller will dann auf der Zuschauertribüne sitzen. Sein jahrelanger Kampf könnte dann immer noch nicht zu Ende sein.

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