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Nach dem Machtwechsel: Kirgistan plant Demokratie nach Lehrbuch

Die Übergangsregierung in Kirgistan legt einen Fahrplan zur Einführung der parlamentarischen Demokratie vor. Alle wichtigen politischen Gruppen sollen ins Parlament.

Moskau - Knapp drei Wochen nach dem Machtwechsel in der zentralasiatischen Ex-Sowjetrepublik Kirgistan legt die Übergangsregierung einen Fahrplan für das Krisenmanagement vor, der das Zeug zu einem Lehrstück für politikwissenschaftliche Seminare hat. Eingeführt werden soll eine parlamentarische Demokratie, deren Grundgesetz die Vollmachten von Präsidenten, die bisher wie Sonnenkönige regierten, zurechtstutzt und alle Macht an Parteien delegiert. Die neue Verfassung soll per Referendum Ende Juni von der Bevölkerung angenommen werden, und Anfang Oktober sind Parlamentswahlen geplant.

Ob dieser Umbau praxistauglich ist, bleibt abzuwarten. Zwar stellt die Absenkung der Sperrklausel von derzeit fünf auf zwei oder drei Prozent sicher, dass im neuen Parlament alle politisch relevanten Gruppen Sitz und Stimme haben. Doch mit einem Flickenteppich aus mehr als einem Dutzend Parteien lassen sich keine stabilen Mehrheiten organisieren, wie sie das Land zur Überwindung des uralten Nord-Süd-Konflikts braucht. Dazu kommt, dass die Parteien Kirgistans weniger Instrument zur politischen Willensbildung der Massen als vielmehr politischer Arm der regional organisierten Clans sind und daher enge Gruppeninteressen vertreten.

Dies setzt dem Gestaltungsspielraum der Übergangsregierung und deren Chefin Rosa Otunbajewa Grenzen. Sie ist die Frontfrau von Sol – dem zweitmächtigsten Bündnis der südlichen Eliten, das an jene Futterkrippen drängt, aus denen sich bisher der gestürzte Kurmanbek Bakijew und dessen Vorgänger bedienten: Askar Akajew, den die Clans des Nordens 1990, kurz vor Ende der Sowjetunion, auf den Schild hoben. Um deren Interessen durchzusetzen, legte er sich trotz liberaler Positionen einen zunehmend autoritären Regierungsstil zu. Otunbajewa steht offenbar vor dem gleichen Dilemma. Journalisten klagen nach wie vor über Zensur und Druck.

Da der gestürzte Bakijew von Minsk aus die Übergangsregierung kritisiert, internationalisiert sich der Konflikt. Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko drohte mit Sanktionen gegen russische Truppenbasen, sollte Moskau, das die kirgisische Übergangsregierung unterstützt, deren Forderungen nach Auslieferung Bakijews mit wirtschaftlichem Druck auf Minsk befeuern. Dass Russland zur Rettung Bakijews keinen Finger krümmte, werteten die Herrscher Usbekistans und Tadschikistans zurecht als Warnung an die eigene Adresse und beeilten sich, dem Kreml ihre Loyalität zu versichern.

Die kirgisische Übergangsregierung hat derweil den gestürzten Staatschef Bakijew wegen mehrfachen Mordes angeklagt. Bakijew sei überdies wegen Machtmissbrauchs angeklagt worden, erklärte Vize-Regierungschef Asimbek Beknasarow am Dienstag in Bischkek. Mit der Anklage gebe es „eine Grundlage für seine Auslieferung“, Minsk sei dazu „verpflichtet“. Ein Auslieferungsantrag werde bald an die weißrussischen Behörden übermittelt, fügte Beknasarow hinzu.

Bakijew war Anfang April im Zuge gewalttätiger Proteste gegen Korruption und steigende Lebenshaltungskosten gestürzt worden. Bei den Unruhen waren 85 Menschen ums Leben gekommen. Bakijew flüchtete zunächst in den Süden des Landes und fand dann in Weißrussland Zuflucht.

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