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Mühsame Spurensuche. UN-Waffeninspekteure besuchten am Montag ein Krankenhaus, in dem Opfer der vermuteten Giftgasattacke vom vergangenen Mittwoch in einem Vorort von Damaskus behandelt werden.

© REUTERS

Nach dem Massaker in Syrien: Niemand will für das Giftgas verantwortlich sein

Offenbar schieben sich syrische Kommandeure gegenseitig die Verantwortung für den Giftgaseinsatz zu. Niemand will verantwortlich sein - handelt es sich sogar um ein furchtbares Versehen?

Die UN-Inspekteure in Syrien waren erst Stunden zurück von ihrer ersten Inspektion vor Ort, da ließ der US-Außenminister alle diplomatischen Rücksichten fallen. Der Einsatz von Giftgas sei „unbestreitbar“, erklärte John Kerry am Montag in Washington. Die Obama-Administration werde die syrische Regierung zur Verantwortung ziehen für diese „moralische Obszönität“, die das Gewissen der Welt erschüttert habe. Er beschuldigte das syrische Regime, vergangene Woche ein wahlloses Massaker an Zivilisten angerichtet zu haben und jetzt in zynischer Weise zu versuchen, das „feige Verbrechen“ zu vertuschen.

Was Kerry so aufbrachte, waren offenbar auch Umstände und Erkenntnisse der ersten UN-Kontrollfahrt am Montag in die betroffene Ortschaft Moadamiya westlich von Damaskus. Zunächst beschossen Heckenschützen den Konvoi. Dann mussten die zwölf UN-Inspekteure ihre Ermittlungen auf Druck der Regimebegleiter von sechs Stunden auf 90 Minuten reduzieren, berichtete ein Arzt des örtlichen Hospitals dem britischen „Guardian“.

Die Fachleute nahmen Blut- und Urinproben, sprachen mit Überlebenden und untersuchten den Einschlagsort der Rakete. Kaum waren die Besucher wieder weg, beschoss die Armee erneut – wie in den vergangenen Tagen – das Gebiet stundenlang mit Artillerie und Raketen, offenbar um die Spuren des Giftgasangriffes weiter zu verwischen.

Die geplante Fahrt zum anderen Tatort, den dicht besiedelten Vierteln Zamalka, Ain Tarma und Erbin in der östlichen Ghuta-Region, wo es die Mehrzahl der Opfer gegeben hatte, sagte Außenminister Walid Muallem am Dienstag ab. Nach seinen Angaben haben die Regimegegner einer Waffenruhe nicht zugestimmt, so dass seine Regierung die Sicherheit der UN-Experten nicht garantieren könne.

Derweil berichtete die in Dubai erscheinende Zeitung „The National“, Angehörige des Regimes beschuldigten sich gegenseitig, für den Giftgaseinsatz verantwortlich zu sein. Unter Berufung auf eine „sehr gut vernetzte Familie, die Kontakte zum Regime und zur Opposition unterhält“, berichtete das Blatt, die örtlichen Kommandeure pochten darauf, sie hätten nicht gewusst, dass die Raketenköpfe mit Kampfgas beladen gewesen seien. Sie hätten die Geschosse erst wenige Stunden vorher bekommen und abgefeuert in der Annahme, es seien konventionelle Raketen. In den Vereinigten Arabischen Emiraten leben nicht nur die Schwester und Mutter von Syriens Präsident Baschar al Assad, sondern auch zahlreiche andere mit dem syrischen Regime sowie der Opposition gut vernetzte Leute.

Wie die Zeitung weiter berichtet, wurden die Giftgasraketen nach Erkenntnissen der syrischen Opposition von der 155. Brigade aus verschossen, die etwa zehn Kilometer entfernt liegt. Nach diesen Informationen gab es bis zum Dienstagabend vergangener Woche erbitterte Kämpfe in der Region Ghuta, dann hätten sich die Regierungstruppen zurückgezogen. Gegen 2.30 Uhr am darauffolgenden Morgen hätte die Armee dann unter dem Kommando von General Ghassan Abbas mehr als ein Dutzend Raketen abgeschossen, darunter mindestens vier mit Giftgas bestückte, die in Zamalka und Ain Tarma einschlugen. Starke Winde hätten die tödliche Fracht auch in das benachbarte Viertel Erbin getragen, wo es ebenfalls zahlreiche Opfer gab.

Um 4.20 Uhr seien dann am Stadtrand von Damaskus weitere Raketen explodiert, mindestens ein Nervengasgeschoss traf die in West-Ghuta liegende Ortschaft Moadamiya, die die Inspektoren am Montag besuchten. Wie die örtlichen Klinikärzte dem UN-Team berichteten, wurden in der Giftgasnacht an die 2000 Menschen eingeliefert, die der Angriff alle im Schlaf überrascht hatte. 500 von ihnen befanden sich demnach in kritischem Zustand, 80 starben. 20 Menschen liegen noch immer auf der Intensivstation.

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