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Nach dem Nato-Gipfel: Allianz der großen Worte

Die Nato hat sich auf ihrem Gipfel stark geredet – doch die Zukunft ist nicht so klar wie die Beschlusslage. Mit Russland dürften noch viele Debatten anstehen.

Von Michael Schmidt

Nach der Gipfel-Euphorie droht der Katzenjammer. Zwei Tage lang haben die 28 Staats- und Regierungschefs der Nato in Lissabon mit großer autosuggestiver Verve ihre Allianz starkgeredet. Sie haben eine ganze Reihe als „historisch“ apostrophierter Entscheidungen getroffen: zum neuen strategischen Konzept, zur Schaffung eines Raketenschirms in Europa, zum Beginn des Rückzugs aus Afghanistan, zur Annäherung an Russland. Und quasi nebenher gleich mehrfach den Kalten Krieg „endgültig“ beendet und die Fitness des transatlantischen Bündnisses für die Bedrohungen im 21. Jahrhundert beschworen. Doch wenn der Rausch verflogen ist, Nüchternheit ein- und der klare Blick zurückkehrt, könnte das Erwachen schmerzhaft enttäuschend werden.

Das Gipfeltreffen hat Aufbruchstimmung erzeugt. Doch schon bei der Frage, ob die Beschlüsse „wegweisend“ waren, wird man die Entwicklung der nächsten Jahre und die Umsetzung der vagen Konzeptformeln in konkrete Politik abwarten müssen. Wohin der Weg der Nato führt, bleibt offen, wohin er führen sollte, durchaus umstritten – und ob das Bündnis das wie auch immer geartete Ziel erreicht, ist keineswegs ausgemacht.

Beispiel strategisches Konzept: Es schreibt die vernetzte Sicherheit fest und schafft die Grundlage für eine kooperative Sicherheitspolitik des Bündnisses. Mit anderen Worten: Die Nato sieht ein, dass sie die Probleme der Welt nicht allein und nicht allein mit militärischen Mitteln lösen kann. Neue Partnerschaften rücken in den Mittelpunkt des Interesses. Dabei geht es vor allem um die Zusammenarbeit der Allianz mit internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen und der Europäischen Union, aber auch mit Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF).

Die Nato will Teil eines globalen Sicherheitsnetzwerkes werden. Damit ist sie auf dem besten Weg, sich zunehmend vom militärischen zu einem politischen Forum zu wandeln – und damit in der Gefahr, sich überflüssig zu machen. Denn politisches Krisenmanagement und zivile Aufbauhilfe, dafür gibt es die UN, EU und IWF schon. Die Nato ist keine eigenständige und bisher schon gar nicht politische Organisation, sondern ein militärisches Instrument ihrer Mitglieder, das diese nutzen können oder auch nicht. Und die haben durchaus kein – jedenfalls kein gemeinsames – Interesse daran, diesen Status quo zu ändern.

Beispiel Raketenschirm und Annäherung an Russland: Die Rede ist von einem gigantischen Projekt, von dem derzeit niemand zu sagen weiß, welcher Art es sein wird, welchen Umfang es haben, ob es technisch funktionieren und was es kosten wird. Vermutlich wird es viel kosten. Ob der Iran, wie zur Begründung des Abwehrschildes behauptet wird, tatsächlich über Europa bedrohende Raketen verfügt, ist nicht sicher.

Nun hat die Allianz Russland eingeladen, sich an dem Projekt zu beteiligen. Und Russland hat überraschend zugesagt. Aber unter Bedingungen. Und die könnten der Nato noch zu schaffen machen: Moskau, sagte Russlands Präsident Dmitri Medwedew, werde sich nur gleichberechtigt oder gar nicht beteiligen und besteht deshalb auf einem umfassenden Informationsaustausch, gegenseitigem Einblick in die Technik des Systems und, vor allem, volle Teilhabe am Kommando. Dieser letzte Punkt dürfte für die Nato schwer hinnehmbar sein, bedeutet er doch nichts anderes, als dass Russland mitentscheidet, ob, und wenn ja wann und wie die Raketenabwehr eingesetzt wird. Wie sagte Medwedew: Eine Entscheidung ist noch nicht gefallen, die Tür steht offen für weitere Diskussionen. Die werden unumgänglich sein.

Beispiel Afghanistan: Am Hindukusch, wo das Bündnis Stärke demonstrieren wollte, offenbart es seine Schwäche: Im asymmetrischen Krieg, hier die hoch aufgerüsteten Hightech-Soldaten mit milliardenschwerem Material, dort die Bauern in Sandalen mit selbstgebastelten Sprengsätzen, ist für die Nato nichts zu gewinnen. Afghanistan ist zum Albtraum der Allianz geworden. Zu Recht macht man sich in den Hauptstädten der Mitgliedsländer Sorgen, ob der in Lissabon eingeleitete Rückzug der internationalen Truppen bis 2014 in den Augen der Weltöffentlichkeit nicht als Niederlage begriffen wird. Leicht lässt sich ausmalen, welch verheerende Folgen das für die conditio sine qua non des Bündnisses hätte: Ihre Abschreckungswirkung wäre dahin.

Was also bleibt der Nato? Am Ende aller Diskussionen über Cyberattacken, Energiesicherheit, Massenvernichtungswaffen womöglich die Einsicht, dass das Bündnis noch immer vor allem als eines gut ist: als ein Forum, auf dem die Bündnispartner die Probleme ihrer Sicherheit diskutieren – und sich im Falle eines Falles gemeinsam verteidigen können.

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