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Nach dem Parteitag: CSU – zwischen Hybris und Selbstzerfleischung

Horst Seehofer ist umstritten. Die Geister seiner Vorgänger sind noch immer sehr präsent und sein Modernisierer Söder scheitert. G'schichten aus dem CSU-Innenleben.

Es war der erste CSU-Parteitag unter neuer Führung, der zweite nach dem Erdbeben des vergangenen Herbstes. Damals verlor die CSU nicht nur gut 17 Prozentpunkte bei der Landtagswahl, sondern auch ihr Selbstvertrauen. Sie war nicht länger unumstrittene Regierungspartei in Bayern. Zum ersten Mal seit 49 Jahren regiert sie in einer Koalition. Und seither wird sie von Horst Seehofer geführt, dem die frühere CSU-Elite jahrelang vorwarf, ein Querulant und Egomane zu sein. ZEIT ONLINE hat sich umgehört: Was bewegt die CSU im Jahr eins der Ära Seehofer?

Die Abgesägten

Zunächst ist die CSU eine Partei, in der es von ehemaligen Vorsitzenden, Ministerpräsidenten und Ministern nur so wimmelt. Die Partei erlebte im vergangenen Jahrzehnt mehrere Führungswechsel und Putsche. So richtig gewahr wird einem das erst auf Parteitagen, wenn sämtliche "Ehemaligen", die früher das Geschehen bestimmten, beim Parteitag eher unbemerkt über die Flure wandeln.

Was einen Edmund Stoiber ausmachte, merkt man erst so recht, wenn man ihn wieder reden hört. Der frühere CSU-Chef und heutige Ehrenvorsitzende steht vor der Nürnberger Messehalle. Es regnet. Ein paar Raucher haben sich unter das Vordach gezwängt. Stoiber unterhält sie.

"Ach, die Merkel, die hat schon bessere Reden gehalten als heute", analysiert er laut. Dass der Auftritt der Kanzlerin vor ein paar Stunden beim Publikum trotzdem auf gewissen Anklang stieß, wundert ihn nicht. "Über der schwebt halt ihr Schutzschild als Kanzlerin." Danach erklärt er einigen Nachwuchspolitikern die Weltpolitik. Stoiber rät zum strategischen Umgang mit den "Global Playern". Mit "den Chinesen und Russen kannst du nicht über Menschenrechte reden", sagt er. Deswegen sollte man dennoch gemeinsame Klimaschutzziele mit ihnen vereinbaren.

Als alle Fragen geklärt sind, geht Stoiber beschwingt, aber alleine zurück in die Halle. Fast wäre er Erwin Huber in die Arme gelaufen, seinem Nachfolger als Parteichef. Auch Günther Beckstein, Stoibers glückloser Nachfolger als Ministerpräsident, und Theo Waigel, Stoibers Vorgänger als Parteichef, sind in Nürnberg.

Alle vier haben noch immer ihre Anhänger. Sie verbindet, dass sie aus ihrem Herzen keine Mördergrube machen. Sie nehmen sich heraus, mehr oder weniger öffentlich zu schimpfen: auf ihre jeweiligen Vorgänger, auf die Nachfolger, auf die Bundespolitik und auf die amtierende bayerische Regierung. Waigel zum Beispiel kritisierte in dieser Woche, in der er zum Ehrenvorsitzenden der CSU gewählt wurde, unverblümt Seehofers latent EU-kritischen Kurs. Die grantelnden alten Herren sind derzeit charakteristisch für die Stimmungslage bei der CSU.

Der Zankapfel
Der Streit mit der CDU über das gemeinsame Wahlprogramm, über Europa und den Termin für die nächste Steuersenkung beschäftigt die CSU. Noch mehr: Er spaltet sie.

Auf der einen Seite befindet sich das Seehofer-Lager. Es ist glücklich darüber, dass die CSU bundespolitisch wieder eine größere Rolle spielt. Unter Beckstein/Huber fand die Partei nördlich des Mains kaum statt. Jetzt, unter Seehofer, muss sich die Kanzlerin fast wöchentlich zu neuen Plänen Seehofers äußern. Einer aus diesem Lager ist Siegfried Schneider, der mächtige Bezirkschef aus Oberbayern. Er sagt: "Horst, du hast der CSU ihren Stolz wiedergegeben." Den Wunsch nach einer bayerischen Sonderrolle, nach "mir san mir", nach Protest gegen die Preußen in Berlin - all das bedient Seehofer perfekt.

Auch Peter Gauweiler gehört zu den Gewinnern dieser wiederentdeckten Protestkultur. Unter Seehofers Vorgängern galt Gauweiler als randständiger Politclown, der Glück hatte, dass man ihn duldete. Bei Seehofer erfuhr der Münchner, der gegen den Vertrag von Lissabon klagte, eine Aufwertung. Seehofer machte sich Gauweilers Kritik zu eigen. Als Legitimation dient Seehofer und seinem Generalsekretär Alexander Dobrindt ausgerechnet die Europawahl. Dass man hier wieder nah an die 50 Prozent heran kam, zeige doch, dass die bayerische Volksseele den mag, der für bayerische Interessen kämpft, sagen sie. Dobrindt legte auf dem Parteitag am Wochenende nach, indem er beteuerte: Die CSU werde einen möglichen EU-Beitritt Islands verhindern.

Abgestiegen sind dagegen jene, denen die Kritik an Brüssel suspekt ist, die fürchten, dass der anti-europäische Ton salonfähig wird, denen missfällt, dass man seitens der CDU schon mit der Linkspartei verglichen wird. So wurde der Innenminister Joachim Herrmann in Nürnberg abschätzig von Seehofer-Getreuen mit "Ach, der Europäer" begrüßt. Auch den EU-Spitzenkandidat Markus Ferber kanzelte Seehofer ab, weil der auf die Vorzüge Europas hingewiesen hatte. Aber, und das trägt zum Bild der Grantel-Partei bei: Viele scheuen sich nicht, flankiert von abgesägten Ex-Chefs, ihre Bedenken zum Ausdruck zu bringen.

Die "moderne" CSU
Auch die CSU-ler, die im Bundestag und im Kabinett sitzen, halten Seehofers EU-Kurs größtenteils für falsch. Und nicht nur den: Der Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg stört sich vor allem an Seehofers Wirtschaftspolitik. Er ist gegen Steuergeschenke und gegen die Rettung maroder Unternehmen. Beides brachte er öffentlich zum Ausdruck. Seither hat er Seehofers Gunst verloren, was ihm aber nicht zu schaden scheint.

Im Gegenteil, zu Guttenberg ist der neue Shooting-Start der CSU. Für ihn war es der erste Parteitag, seit er Minister und einer der beliebtesten Politiker der Republik ist. In Nürnberg bekam er neben Beckstein den meisten Applaus, was ihm sichtlich gefiel. Bei der Wahl des Parteivorstands erhielt er das mit Abstand beste Ergebnis unter den Bezirksvorsitzenden. Der Jubel wird ihn animieren, von Berlin aus weiter gegen die Regierung in Bayern zu granteln, wenn es sein muss.

Zu Guttenberg wird von den Delegierten als heißester Kandidat für die mittelfristig anstehende Seehofer-Nachfolge gehandelt. Markus Söder dagegen, der jahrelang als Kronprinz galt, verließ Nürnberg als großer Verlierer. Der Umweltminister verlor eine der wenigen Kampfabstimmungen, und das sensationell. Gerade einmal elf Delegierte stimmten für sein Vorhaben, den Ausbau der Donau zu verzögern, um vorher ökologische Gutachten einzuholen. Die übrigen knapp tausend wollten an dem alten Ziel Donauausbau festhalten, von dem man sich wirtschaftliche Vorteile erhofft.

Söder, der auch bei der Vorstandswahl abgestraft wurde, hatte mit seinem Donau-Vorstoß versucht, Seehofers Wunsch zu exekutieren: Die CSU müsse "grüner" und moderner werden, wie der Parteichef regelmäßig verkündet. Dieses Ansinnen war dem gesamten Parteitag anzumerken, der ausgesprochen modernistisch daherkam: Es gab Videobeamer, neon-blaue Schriftzüge, und zu Seehofers Ehren tanzte eine Hip-Hop-Gruppe. Allerdings zeigte sich an der Donau-Abstimmung, dass die oft Dirndl und Trachten tragenden Delegierten nicht bedingungslos zur Modernisierung bereit sind. Sie misstrauten in Nürnberg zuweilen dem "neumodische Zeugs".

Fazit
Das Granteln gehört zur bayerischen Mentalität. Aber gleichzeitig ist es momentan ein vorherrschender Ton in der CSU. Die Wunden der Vergangenheit sind noch nicht verheilt: die herbe Wahlniederlage, die Putsche, die Streitereien, das Pauli-Theater – all das ist noch reichlich präsent. Hinzu kommt das tief wurzelnde Misstrauen gegen Horst Seehofer, das viele hegen.

Er hat zu seinem Amtsantritt versprochen, die CSU demokratischer und transparenter zu machen. Allerdings gibt es bereits etliche Klagen über seinen autoritären, launischen Führungsstil. Zudem wurden viele Anträge in Nürnberg nicht zur Abstimmung gestellt, sondern an innerparteiliche Fachausschüsse überwiesen. Dafür sei genug Zeit nach der Bundestagswahl, heißt es aus dem Seehofer-Lager. Tatsächlich hat die CSU dann erstmals nach Jahren des Dauerwahlkampfs vier Jahre Zeit, weil in Bayern keine einzige Wahl ansteht. Vielleicht kommt sie dann ein wenig zur Ruhe.

Quelle: ZEIT ONLINE

Michael Schlieben[Nürnberg]

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